Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Verletzung des Rechts auf Gehör im Verwaltungsverfahren; zur Auslegung des § 57 Abs. 2 Satz 2 ZG
Leitsatz (NV)
1. Eine etwaige Verletzung des Rechts auf Gehör im Festsetzungsverfahren kann durch ausreichende Anhörung im Rechtsbehelfsverfahren geheilt werden.
2. Bei der Entscheidung der Frage, ob jemand i. S. des § 57 Abs. 2 Satz 2 ZG wußte oder wissen mußte, daß es sich um Zollgut handelte, kommt es allein auf das genannte Wissen oder Wissenmüssen an; eines ,,Unrechtsbewußtseins" bedarf es nicht.
Normenkette
AO 1977 § 126 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2; ZG § 57 Abs. 2 S. 2
Tatbestand
Der arbeitslose Antragsteller war seit September 1979 bis zu seiner Entlassung bei den US-Streitkräften in . . . als Küchenhilfe beschäftigt. Anläßlich der Aufdeckung eines Zigarettendiebstahls, an dem auch der Antragsteller beteiligt gewesen sein soll, ermittelte das HZA wegen der Übernahme von unversteuerten Zigaretten aus US-Kaufeinrichtungen durch den Antragsteller. In einer Vernehmung vor dem ZFA sagte der Antragsteller ausweislich der Vernehmungsniederschrift aus, daß er mindestens 150 Stangen unversteuerter Zigaretten erworben habe; ihm sei auch bekannt gewesen, daß es sich um unversteuerte Ware gehandelte habe. Lt. der Niederschrift erklärte der Antragsteller im übrigen, daß seine deutschen Sprachkenntnisse zwar sehr gut seien, er aber dennoch darum bitte, daß sein Sohn, der noch besser deutsch spreche und auch die deutsche Sprache in Schrift beherrsche, an der Verhandlung als Übersetzer teilnehmen dürfe. Der Sohn des Antragstellers bestätigte in seiner Vernehmung am gleichen Tage, daß sein Vater tatsächlich die genannten Aussagen gemacht habe; er habe eine deutsche Schule besucht und beherrsche die deutsche Sprache. Der in . . . lebende US-amerikanische Staatsbürger B, der die Zigaretten geliefert hatte, bestätigte vor dem ZFA die Menge der vom Antragsteller übernommenen unversteuerten Ware.
Mit ,,Zollbescheid" vom 3. August 1984 beanspruchte das HZA vom Antragsteller als Gesamtschuldner 4 855,50 DM Eingangsabgaben (Zoll, Tabaksteuer und Einfuhrumsatzsteuer) mit folgender Begründung: Die in . . . stationierten alliierten Streitkräfte seien nach den Regeln des Völkerrechts exterritorial. Eine Übernahme durch von ihnen in das Zollgebiet der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) eingeführten Waren stehe zollrechtlich einer Einfuhr in das Zollgebiet gleich. Mit der Übernahme würden die Waren Zollgut (§ 5 des Zollgesetzes - ZG -). Nach §§ 6, 12 ZG sei B verpflichtet gewesen, die Waren unverzüglich der zuständigen Zollstelle zu gestellen und anzumelden. Er habe durch Unterlassen seiner zollrechtlichen Pflichten erstmals Zollgut der zollamtlichen Überwachung vorenthalten. Damit habe er nach § 57 Abs. 1 bis 3 ZG, § 133 der Allgemeinen Zollordnung (AZO) i. V. m. § 21 des Umsatzsteuergesetzes (UStG), § 10 des Tabaksteuergesetzes (TabStG) bewirkt, daß in seiner Person die Zoll- und Steuerschuld entstanden und sofort fällig geworden sei. Wer derartige Waren nach Entstehen, aber vor Erlöschen der Abgabenschuld übernehme oder an sich bringe und wisse oder wissen müsse, daß es sich um Zollgut handle, werde damit weiterer Abgabenschuldner (§ 57 Abs. 2 Satz 2 ZG). Da der Antragsteller nach seinen Einlassungen beim ZFA von B mindestens 150 Stangen = 30 000 Stück Zigaretten in der Zeit von etwa Juli 1981 bis 1984 übernommen habe, sei er insoweit weiterer Abgabenschuldner.
Gegen den Zollbescheid erhob der Antragsteller nach erfolglosem Einspruch Klage, mit der er geltend macht, er habe wegen seiner unzureichenden deutschen Sprachkenntnisse nicht erkennen können, daß es sich bei den Zigaretten um Zollgut gehandelt habe; außerdem könne es sich höchstens um 30 Stangen gehandelt haben. Den Antrag des Antragstellers, ihm Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung seines Prozeßvertreters zu gewähren, lehnte das Finanzgericht (FG) ab.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Das FG hat den Antrag zu Recht als unbegründet abgelehnt, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 142 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i. V. m. §§ 114 ff. der Zivilprozeßordnung - ZPO -).
1. Die Rüge des Antragstellers, das ZFA habe bei seiner Vernehmung am 7. Juni 1984 sein Recht auf Gehör verletzt, vermag seiner Klage nicht zum Erfolg zu verhelfen. Das ZFA, das insoweit (auch) im Besteuerungsverfahren tätig geworden ist, war nach § 91 der Abgabenordnung (AO 1977) verpflichtet, den Antragsteller anzuhören. Diese Anhörung konnte aber bis zum Abschluß des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens nachgeholt werden (§ 126 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 AO 1977). Da dem Antragsteller während des Einspruchsverfahrens Gelegenheit zur Äußerung gegeben war, ist, falls seine Vernehmung am 7. Juni 1984 vor dem ZFA fehlerhaft gewesen sein sollte, dieser Fehler jedenfalls inzwischen geheilt worden.
2. Der Senat ist mit dem FG der Auffassung, daß die Klage keine hinreichende Erfolgsaussicht hat.
Im angefochtenen Bescheid sind die Rechtsgrundlagen für den Abgabenanspruch aufgeführt. Insoweit begegnet der Bescheid keinen Bedenken; der Antragsteller hat sich dazu auch nicht geäußert (vgl. auch Urteil des Senats vom 25. Januar 1977 VII R 11/74, BFHE 121, 559). Es kommt also darauf an, ob die Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 Satz 2 ZG erfüllt sind, ob also der Antragsteller Zollgut, das von den Streitkräften stammt, an sich gebracht hat und ob er dabei wußte oder wissen mußte, daß es sich um Zollgut handelte. Wie sich aus dem Wortlaut dieser Vorschrift klar ergibt, kommt es allein auf das genannte Wissen (oder Wissenmüssen) an. Zu Unrecht beruft sich daher der Antragsteller in seiner Beschwerdebegründung darauf, ihm habe das ,,Unrechtsbewußtsein" gefehlt.
Der erkennende Senat ist mit der Vorinstanz der Auffassung, daß in Anbetracht der gesamten Umstände des Falles und der eigenen Aussagen des Antragstellers bei seiner Vernehmung durch das ZFA im Rahmen des vorliegenden Verfahrens davon auszugehen ist, daß die tatsächlichen Annahmen, auf denen der angefochtene Bescheid beruht, zutreffen. Für die Annahme, daß der Antragsteller die Zollguteigenschaft der übernommenen Zigaretten kannte, spricht schon der Umstand, daß er damals bereits fünf Jahre bei den Streitkräften angestellt war. Es ist höchst unwahrscheinlich, wie das FG zu Recht ausgeführt hat, daß er dennoch nichts von dem Handel mit unversteuerten Zigaretten aus US-Einkaufseinrichtungen wußte.
Die Richtigkeit dieser Auffassung wird - ebenso wie die Mengenannahmen im Zollbescheid - von den Aussagen des Antragstellers am 7. Juni 1984 bestätigt. Der Einwand des Antragstellers ist nicht glaubwürdig, die in der Niederschrift über diese Vernehmung wiedergegebenen Aussagen seien nicht beweiskräftig, da ihm und seinem Sohn genügende Kenntnisse der deutschen Sprache gefehlt hätten. Gegen die Richtigkeit dieses Einwandes spricht schon der Umstand, daß der Antragsteller seit 1964 mit acht Jahren Unterbrechung in Deutschland lebt. Zumindest aber muß davon ausgegangen werden, daß die Zuziehung seines Sohnes zu der Vernehmung etwaige sprachliche Mißverständnisse ausgeschlossen hat. Der Sohn des Antragstellers ist in Deutschland zur Schule gegangen und nach seinen eigenen glaubwürdigen Aussagen der deutschen Sprache in Wort und Schrift mächtig. Überdies hätten sich Mißverständnisse oder Fehler aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse des Antragstellers auch in den in der Niederschrift wiedergegebenen Aussagen niederschlagen müssen. Diese sind aber in jeder Beziehung deutlich und klar. Ihre Richtigkeit wird überdies wenigstens teilweise auch durch die Aussagen des US-Pensionärs B bestätigt.
Fundstellen
Haufe-Index 413994 |
BFH/NV 1986, 146 |