Entscheidungsstichwort (Thema)
Eigenverbrauch bei Lieferungen in das Ausland
Leitsatz (NV)
1. Die Vollziehung eines Umsatzsteuerbescheids, der für den Steuerpflichtigen ein Restguthaben begründet, kann regelmäßig nicht ausgesetzt werden.
2. Die kostenlose Abgabe von religiösen Druckerzeugnissen kann eine Entnahme i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a UStG 1980 sein.
3. Sie ist nicht deshalb steuerfrei, weil die Druckerzeugnisse in das Ausland geliefert werden und eine entgeltliche Ausfuhrlieferung steuerfrei wäre.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 2-3; UStG 1980 § 1 Abs. 1 Nrn. 1, 2 Buchst. a, § 4 Nr. 1, § 6
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) ist ein gemeinnütziger Verein. Er stellt satzungsgemäß biblische Veröffentlichungen her. Einen Teil dieser Veröffentlichungen gab er in den Streitjahren (1981 bis 1985) gegen geringe Kostensätze an interessierte Personen ab. Einen anderen Teil lieferte er unentgeltlich an rechtlich selbständige Zweigbüros im Ausland.
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (das Finanzamt - FA -) sah hierin eine steuerpflichtige Entnahme i.S. von § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 und veranlagte den Antragsteller entsprechend zur Umsatzsteuer.
Der Antragsteller hat gegen die Umsatzsteuerbescheide Einspruch eingelegt und beim Finanzgericht (FG) die Aussetzung der Vollziehung der Bescheide gemäß § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beantragt. Der Antrag hatte Erfolg. Das FG hielt es für ernstlich zweifelhaft, ob der vom FA versteuerte Eigenverbrauch nicht als Ausfuhrlieferung nach § 4 Nr. 1 UStG 1980 steuerfrei sei.
Hiergegen wendet sich das FA mit der - vom FG zugelassenen - Beschwerde. Es meint, der Eigenverbrauch sei keine Ausfuhrlieferung i.S. des § 4 Nr. 1, § 6 UStG 1980. Es beantragt, die vom FG gewährte Aussetzung der Vollziehung aufzuheben, hilfsweise, die Aussetzung der Vollziehung von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist begründet.
1. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides für 1981 ist unzulässig. Voraussetzung für die Statthaftigkeit eines solchen Antrags ist, daß der Verwaltungsakt, dessen Aussetzung begehrt wird, vollzogen werden kann. Dies ist bei einem Umsatzsteuerbescheid regelmäßig nur dann der Fall, wenn er dem Steuerpflichtigen eine Leistungspflicht auferlegt (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28. November 1974 V B 44/74, BFHE 114, 171, BStBl II 1975, 240, und vom 23. Februar 1989 V B 60/88, BFHE 155, 503, BStBl II 1989, 396). Der angefochtene Umsatzsteuerbescheid für 1981 begründet für den Antragsteller ein Restguthaben von ... DM und keine Leistungspflicht. Er ist deshalb einer Aussetzung der Vollziehung nicht fähig.
2. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide für 1982 bis 1985 ist unbegründet.
Nach § 69 Abs. 2 und 3 FGO soll die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts auf Antrag ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bestehen. Ernstliche Zweifel bestehen, wenn bei Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund präsenter Beweismittel und des unstreitigen Sachverhalts erkennbar wird, daß aus gewichtigen Gründen Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen besteht und sich bei abschließender Klärung dieser Fragen der Verwaltungsakt als rechtswidrig erweisen könnte (BFH-Beschluß vom 16. Oktober 1991 I B 227/90, I B 228/90, BFH/NV 1992, 341).
a) Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a UStG 1980 liegt Eigenverbrauch vor, wenn ein Unternehmer Gegenstände aus seinem Unternehmen für Zwecke entnimmt, die außerhalb des Unternehmens liegen.
Die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, daß die Voraussetzungen dieser Vorschrift in der Person des Antragstellers erfüllt sind. Der Senat braucht dieser Ansicht im vorliegenden Verfahren nicht weiter nachzugehen. Selbst wenn der Antragsteller infolge seiner religiösen Zielsetzung nach den Grundsätzen der neueren Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B. Urteil des BFH vom 18. Juli 1991 V R 86/87, BFHE 165, 116, BStBl II 1991, 776) nicht unternehmerisch tätig geworden sein sollte, oder gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG nicht selbständig gewesen sein sollte, würde dies die Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide nicht rechtfertigen, da dann keine Umsatzsteuer festzusetzen wäre, der Antragsteller also schlechter stünde als nach den angefochtenen Umsatzsteuerbescheiden, die ausnahmslos eine negative Umsatzsteuer festsetzen.
Nach dem bisher bekannten Sachverhalt muß der Senat auch davon ausgehen, daß die kostenlose Abgabe der Druckerzeugnisse an die ausländischen Zweigbüros ausschließlich für religiöse und damit nichtunternehmerische Zwecke erfolgte.
b) Liegt demzufolge ein Eigenverbrauch durch Gegenstandsentnahme vor, ist nicht ernstlich zweifelhaft, daß dieser keine steuerfreie Ausfuhrlieferung i.S. von § 4 Nr. 1, § 6 UStG 1980 ist. Diese setzt nämlich eine steuerbare Lieferung im Rahmen des Unternehmens voraus. Als solche kommt nur eine Lieferung gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980 in Betracht. Die Annahme eines Eigenverbrauchs hat aber zur Folge, daß die Lieferung der Druckwerke nicht im Rahmen des Unternehmens gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980, sondern im nichtunternehmerischen Bereich erfolgte.
Daß die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 1 UStG 1980 auf den Eigenverbrauchstatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a UStG 1980 keine Anwendung findet, ist - soweit ersichtlich - auch die einhellige Ansicht des Schrifttums (vgl. Mößlang in Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, § 1 Bem.186; Bülow in Vogel/Reinisch/Hoffmann, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, § 1 Bem.215; Birkenfeld, Umsatzsteuer-Handbuch, I Rz. 1386).
Aus dem Gemeinschaftsrecht folgt nichts anderes. Nach Art. 5 Abs. 6 der 6. Richtlinie zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage - vom 17. Mai 1977 - 6. Richtlinie - (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 145, S. 1) werden zwar unentgeltliche Zuwendungen unter den dort genannten weiteren Bedingungen einer Lieferung gegen Entgelt gleichgestellt; dies besagt aber nicht, daß der Zuwendende auch Verkäufer i.S. der Befreiungsvorschrift des Art. 15 Nr. 1 der 6. Richtlinie ist. Soweit die Versteuerung des Eigenverbrauchs im Bereich der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu einer unerlaubten Doppelbesteuerung führen würde, ist diese durch Anrechnung der deutschen Umsatzsteuer auf die Einfuhrumsatzsteuer des Bestimmungslandes zu vermeiden (vgl. für einen Fall einer unentgeltlichen grenzüberschreitenden Lieferung eines Gegenstandes durch einen Privaten Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 23. Januar 1986 Rs. 39/85, EuGHE 1986, 259, Recht der Internationalen Wirtschaft 1986, 402).
Fundstellen