Entscheidungsstichwort (Thema)
Zustellung an fast achtzehnjährige Tochter
Leitsatz (NV)
Ob eine Person ,,erwachsen" i.S. von § 181 Abs. 1 ZPO ist, richtet sich nach deren äußerer Erscheinung.
Normenkette
FGO § 53 Abs. 2; VwZG § 3 Abs. 3; ZPO § 181 Abs. 1, § 195 Abs. 2, § 418 Abs. 1
Tatbestand
Durch Beschluß vom 23. Mai 1991 hat der erkennende Senat auf die Beschwerde der Kläger und Revisionskläger (Kläger) die Revision zugelassen. Der Beschluß wurde dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger am 8. Juni 1991 durch Postzustellungsurkunde (PZU) zugestellt, und zwar - weil dieser nicht selbst in der Wohnung, die zugleich die Adresse seiner Kanzlei ist, angetroffen worden ist - in der Weise, daß die Sendung an dessen Tochter ausgehändigt wurde.
Am Mittwoch, dem 10. Juli 1991, ging beim Finanzgericht (FG) die Revisionsschrift ein, in der der Prozeßbevollmächtigte darauf hinwies, er sei am 8. und 9. Juni 1991 verreist gewesen und habe die Sendung erst am 10. Juni 1991 von seiner Tochter erhalten. Der Vorsitzende des erkennenden Senats teilte ihm daraufhin mit, die Revision sei verspätet eingegangen, und wies auf § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hin. Dagegen machte der Prozeßbevollmächtigte geltend, seine Tochter sei am 8. August 1973 geboren, die Zustellung sei daher nicht wirksam, weil das Schriftstück einem erwachsenen Hausgenossen übergeben werden müsse.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) ist dem entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig; sie ist durch Beschluß zu verwerfen (§ 124 FGO).
Die Kläger haben die Revisionsfrist versäumt. Gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils oder nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 5 FGO) schriftlich beim dem FG einzulegen. Die Frist berechnet sich nach § 54 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) und §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Da der Beschluß über die Zulassung der Revision am 8. Juni 1991 zugestellt wurde, endete die Revisionsfrist am Montag, dem 8. Juli 1991.
Entgegen der Auffassung der Kläger ist die Ersatzzustellung an die zu diesem Zeitpunkt fast achtzehnjährige, noch minderjährige Tochter ihres Prozeßbevollmächtigten wirksam. Die Zustellung im finanzgerichtlichen Verfahren erfolgt nach § 53 Abs. 2 FGO nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG). Bei der Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde gelten gemäß § 3 Abs. 3 VwZG die Vorschriften der §§ 180 bis 186 und 195 Abs. 2 ZPO. Da der Zusteller den Prozeßbevollmächtigten in seiner Wohnung nicht angetroffen hatte, konnte er die Zustellung gemäß § 181 Abs. 1 ZPO auch an einen zu der Familie gehörenden erwachsenen Hausgenossen vornehmen. Ob eine Person als ,,erwachsen" i.S. von § 181 Abs. 1 ZPO anzusehen ist, richtet sich nicht nach der Volljährigkeit (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 13. Januar 1981 VI ZR 180/79, Neue Juristische Wochenschrift 1981, 1613). Erwachsen im Sinne dieser Vorschrift ist vielmehr ein Minderjähriger, der nach seiner körperlichen Entwicklung - der äußeren Erscheinung - als erwachsen und einsichtsfähig zu gelten hat, weil der Zusteller regelmäßig keine anderen Erkenntnismöglichkeiten hat (Urteil des Bundessozialgerichtes vom 24. August 1976 8 RU 130/75, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1977, 203, Monatsschrift für Deutsches Recht 1977, 82; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 3 VwZG Anm.6; Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, Zivilprozeßordnung, 50. Aufl., § 181 Anm. 1 B a) b); vgl. auch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. April 1977 VIII C 81/75, HFR 1977, 550). Danach können im allgemeinen sogar fünfzehnjährige Personen als erwachsen angesehen werden (Beschluß des Landgerichts Frankenthal vom 24. Juni 1982 1 T 1282/82, Der Deutsche Rechtspfleger 1982, 384).
Die Wirksamkeit der Ersatzzustellung wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, daß nach der erstmals in der Erklärung des Prozeßbevollmächtigten vom 9. Oktober 1991 aufgestellten Behauptung der Zusteller das Schriftstück nicht in der Wohnung, wie in § 181 Abs. 1 ZPO gefordert (vgl. Baumbach/ Lauterbach / Albers / Hartmann, a.a.O., § 181 Anm.1 C), sondern etwa 20m von der Haustür entfernt ausgehändigt haben soll. Denn daß die Übergabe in der Wohnung erfolgt ist, wird gemäß § 418 Abs. 1 ZPO durch die Zustellungsurkunde bewiesen. Die PZU (§ 195 Abs. 2 ZPO) begründet als öffentliche Urkunde den vollen Beweis der in ihr bekundeten Tatsachen (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 27. Januar 1988 VII B 165/87, BFH/ NV 1988, 790, und Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Juni 1991 2 BvR 511/89, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Verwaltungszustellungsgesetz, § 3, Rechtsspruch 75), zu denen nach § 191 Nr.1 ZPO u.a. der Ort und die Zeit der Zustellung gehören (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a.a.O., § 191 Anm.2 A). Zwar ist nach § 418 Abs. 2 ZPO der Beweis der Unrichtigkeit der durch die PZU bezeugten Tatsachen zulässig. Dazu ist aber der volle Nachweis eines anderen Geschehensablaufs erforderlich. Das bloße Bestreiten des von dem Postbediensteten dargelegten Geschehensablaufs und eine gegenteilige Behauptung genügen dafür nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO; sie erfaßt auch die Kostendes Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens (BFH-Urteil vom 6. Februar 1991 II R 36/87, BFHE 163, 125, BStBl II 1991, 367).
Fundstellen
Haufe-Index 418389 |
BFH/NV 1993, 300 |