Entscheidungsstichwort (Thema)
Übersehen einer Sachentscheidungsvoraussetzung
Leitsatz (NV)
Sieht sich das FG wegen der angeblichen Bestandskraft eines Bescheids an einer dem Klagebegehren entsprechenden vollständigen Überprüfung des während des Klageverfahrens ergangenen Änderungsbescheids gehindert, liegt hierin ein Verfahrensmangel.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
Verfahrensgang
FG des Landes Brandenburg (Urteil vom 27.04.2004; Aktenzeichen 3 K 1663/01) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH & Co. KG, erwarb am 28. Oktober 1998 Eigentumswohnungen zu einem Gesamtkaufpreis von 11 991 630 DM. Für diesen Erwerbsvorgang setzte das zuständige Finanzamt (FA) mit Bescheid vom 17. Februar 1999 gegen die Klägerin Grunderwerbsteuer in Höhe von 419 707 DM fest. Am 3. März 1999 setzten die Vertragsbeteiligten in einem Nachtragsvertrag den Kaufpreis auf 10 400 000 DM herab.
Das FA sah einen am 12. März 1999 bei ihm eingegangenen Schriftsatz als Einspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 17. Februar 1999 an und berücksichtigte mit Änderungsbescheid vom 24. November 1999 die Herabsetzung des Kaufpreises, indem es die Grunderwerbsteuer auf 364 000 DM ermäßigte. Den Einspruch, mit dem die Klägerin wegen Gesellschafteridentität bei ihr und der Verkäuferin die Anwendung des § 6 Abs. 3 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) begehrte, wies das FA am 7. Juni 2001 im Übrigen als unbegründet zurück.
Während des Klageverfahrens half das FA dem auf § 6 Abs. 3 GrEStG gestützten Klagebegehren teilweise ab und setzte mit Änderungsbescheid vom 28. März 2002 die Steuer auf 259 896 DM herab. Die Klage, mit der die Klägerin zunächst die Aufhebung des Bescheids vom 24. November 1999 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 7. Juni 2001 beantragt hatte und nunmehr die Aufhebung aller drei Steuerbescheide sowie der Einspruchsentscheidung begehrte, blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab und ging davon aus, dass der während des finanzgerichtlichen Verfahrens ergangene Änderungsbescheid vom 28. März 2002 zum Gegenstand des Verfahrens geworden sei. Dieser Bescheid ändere den Bescheid vom 24. November 1999, der mangels Einspruchs der Klägerin bestandskräftig geworden sei. Er sei deshalb nur in dem Umfang anfechtbar, wie die Änderung reiche. Da das FA zu Gunsten der Klägerin eine Teilabhilfe vorgenommen habe, fehle ihr insoweit die Klagebefugnis. Hinsichtlich des belastenden Teils der Regelung setze sich die Bestandskraft der vorangegangenen Bescheide hinsichtlich der im Bescheid vom 28. März 2002 ermäßigten Steuer fort, so dass die Klage ohne weitere Sachprüfung abzuweisen sei. Im Übrigen fehle es auch an einem wirksamen Einspruch der Klägerin gegen den ursprünglichen Bescheid vom 17. Februar 1999.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) geltend. Das FG habe übersehen, dass gegen den Steuerbescheid vom 24. November 1999 Einspruch eingelegt worden sei. Über diesen Einspruch habe das FA in seiner Einspruchsentscheidung vom 7. Juni 2001 konkludent mitentschieden, so dass das FG eine Entscheidung in der Sache hätte treffen müssen.
Die Zuständigkeit des FA ist während des Klageverfahrens auf den Beklagten und Beschwerdegegner übergegangen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist begründet (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO); der Senat hat es für sachgerecht erachtet, das Urteil des FG aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO).
Die Rüge der Klägerin, das FG habe den Einspruch gegen den Bescheid vom 24. November 1999 und damit verfahrensfehlerhaft eine Sachentscheidungsvoraussetzung übersehen, ist begründet.
1. Das FG hat sich zu Unrecht wegen der von ihm angenommenen Bestandskraft des Änderungsbescheids vom 24. November 1999 an einer Entscheidung in der Sache gehindert gesehen.
Die Klägerin hat mit ihrer Beschwerdebegründung schlüssig vorgetragen, mit Schreiben vom 6. Dezember 1999 Einspruch (auch) gegen den Änderungsbescheid vom 24. November 1999 eingelegt zu haben. Hierin wird der angefochtene Bescheid nach Datum und Steuerbetrag eindeutig bezeichnet und erklärt, gegen diesen "form- und fristgerecht Einspruch einzulegen". Das Schreiben ist zwar von der Grundstücksveräußerin verfasst, enthält aber den Hinweis, dass diese "gleichzeitig namens und in Vollmacht für die Klägerin" handele. Es ist in den Akten abgeheftet und trägt den Eingangsstempel des FA vom 10. Dezember 1999. Danach ist die Annahme des FG, gegen den Bescheid vom 24. November 1999 sei kein Einspruch eingelegt worden, fehlerhaft.
Das FG hat zwar --was auf der Grundlage seiner Annahme, es sei kein Einspruch eingelegt worden, konsequent gewesen wäre-- die "gegen den Grunderwerbsteuerbescheid vom 24. November 1999 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 7. Juni 2001" erhobene Klage nicht insgesamt als unzulässig behandelt, es hat sich aber wegen der angeblichen Bestandskraft des Bescheids vom 24. November 1999 an einer dem Klagebegehren entsprechenden vollständigen Überprüfung des während des Klageverfahrens ergangenen und damit --die Zulässigkeit der Klage vorausgesetzt-- nach § 68 FGO zum Verfahrensgegenstand gewordenen Änderungsbescheids vom 28. März 2002 gehindert gesehen. Hierin liegt ein Verfahrensmangel (vgl. m.w.N. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 1. März 2000 II B 89/99, BFH/NV 2000, 1209, und vom 6. Juli 1988 II B 183/87, BFHE 153, 509, BStBl II 1988, 897), der in der Revisionsinstanz ohne Bindung an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz zu prüfen ist (vgl. BFH-Urteil vom 11. Dezember 1985 I R 31/84, BFHE 146, 196, BStBl II 1986, 474). Liegt ein solcher Verfahrensverstoß vor, bedarf es keinerlei Prüfung der Rechtserheblichkeit dieses Mangels mehr. Solche Verstöße machen das FG-Urteil ohne weiteres fehlerhaft (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 116 Anm. 50).
2. Das FG wird im zweiten Rechtsgang davon auszugehen haben, dass der Bescheid vom 24. November 1999 nicht bestandskräftig geworden ist und mit der Einspruchsentscheidung vom 7. Juni 2001 auch über den Einspruch der Klägerin (mit-)entschieden wurde. Denn im letzten Satz dieser Entscheidung heißt es, dass "die entsprechende Steuerfestsetzung mit geändertem Bescheid vom 24. November 1999 nicht zu beanstanden und somit dem Einspruch der Erfolg zu versagen" sei.
Das FG wird ferner zu beachten haben, dass Gegenstand des Klageverfahrens der während des finanzgerichtlichen Verfahrens ergangene Änderungsbescheid vom 28. März 2002 ist und über dessen Rechtmäßigkeit unter Berücksichtigung dessen zu entscheiden ist, dass die durch diesen Bescheid geänderten Bescheide keine Wirksamkeit mehr entfalten (vgl. BFH-Beschluss vom 23. Dezember 2004 XI B 60/03, BFH/NV 2005, 1311; BFH-Urteil vom 16. September 1986 IX R 61/81, BFHE 148, 104, BStBl II 1987, 435).
Materiell-rechtlich wird das FG zu prüfen haben, ob und in welchem Umfang die Klägerin wegen der von ihr behaupteten Gesellschafteridentität bei den am Erwerbsvorgang beteiligten Gesamthandsgemeinschaften im Hinblick auf § 6 Abs. 3 GrEStG noch eine Änderung der Steuerfestsetzung erreichen kann.
Fundstellen
Haufe-Index 1453993 |
BFH/NV 2006, 99 |