Leitsatz (amtlich)
1. Bei summarischer Prüfung bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Tarifierung von Rückständen von der Tapiokastärkeherstellung nach der Erläuterung I Abs. 2 zu Tarifnr. 23.03 ZT.
2. Aus der in der Vorbemerkung 2 zum Abschöpfungstarif vorgesehenen entsprechenden Anwendbarkeit der allgemeinen Tarifierungsvorschriften des ZT und der Erläuterungen zum ZT bei Abweichungen des Abschöpfungstarifs vom Zolltarifschema ist zu entnehmen, daß, soweit Abschöpfungstarif und Zolltarifschema nicht voneinander abweichen, die Erläuterungen zum ZT auf den Abschöpfungstarif unmittelbar anwendbar sind.
3. Da im summarischen Verfahren nach § 69 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 FOG nur die Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs beurteilt werden, nicht aber über die für die Entscheidung der Hauptsache erheblichen Fragen und damit auch nicht über die in Art. 177 Abs. 1 des EWG-Vertrages genannten Fragen endgültig entschieden wird, ist der BFH nicht durch Abs. 3 a. a. O. verpflichtet, in diesem Verfahren eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften einzuholen.
Normenkette
Zolltarif 1966 Tarifnr. 11.06; Zolltarif 1966 Tarifnr. 23.03; Abschöpfungstarif Tarifnr. 11.06; Zweite Verordnung zur Änderung der Erläuterungen zum Deutschen Zolltarif 1966 vom 27. Juni 1966 (BGBl II S. 509); FGO § 69 Abs. 2-3; EWGVtr Art. 177 Abs. 1, 3
Tatbestand
Am 20. Juli 1966 beantragte die Antragstellerin (Astin.) beim Zollamt (ZA) 3 600 Säcke – nach Auffassung der Astin. – Tapiokawaste aus Thailand (Rückstände aus der Tapiokastärkeherstellung) zum freien Verkehr abzufertigen. Das ZA wies die Ware, ausgehend von einem Stärkegehalt von mehr als 40 % im Trockenstoff, der Tarifnr. 11.06 A des Deutschen Zolltarifs (DZT) bzw. der Tarifnr. 11.06 (A) des Abschöpfungstarifs zu und erhob Abschöpfung in Höhe von 14 115,07 DM. Außerdem bezog es die Abschöpfung in die Bemessungsgrundlage der Umsatzausgleichsteuer ein, die auf 3 401,74 DM berechnet wurde. Es stützte sich bei seiner Entscheidung auf die Erläuterungen zum DZT 1966 in der Fassung der Zweiten Verordnung zur Änderung der Erläuterungen zum Deutschen Zolltarif 1966 vom 27. Juni 1966 (Bundesgesetzblatt II S 509 – BGBl II, 509 –, Bundeszollblatt 1966 S. 528 – BZBl 1966, 528 –). Gegen die Abgabenbescheide legte die Astin. Einspruch ein.
Mit Schreiben vom 9. August 1966 beantragte die Astin. beim Finanzgericht (FG)B:
- Die Vollziehung des Abschöpfungsbescheids ganz auszusetzen,
- die Vollziehung des damit verbundenen Umsatzausgleichsteuerbescheids in Höhe von 564,60 DM auszusetzen,
- anzuordnen, daß die Vollziehung dieser Abgabenbescheide, soweit sie bereits vollzogen sind, aufgehoben wird und ihr die vereinbarten Beträge vorläufig zurückgezahlt werden,
- anzuordnen, daß die Beträge, die ihr auf ihrem Aufschubkonto zwar belastet, von ihr aber noch nicht entrichtet worden sind, vorläufig wieder gutgeschrieben werden,
- die Kosten des Verfahrens der Staatskasse aufzuerlegen.
Das FG hat in seinem Beschluß vom 18. August 1966 die Vollziehung des Abschöpfungsbescheids vom 27. Juli 1966 aufgehoben, desgleichen die Vollziehung des damit verbundenen Umsatzausgleichsteuerbescheids in Höhe von 564,60 DM.
Mit seiner Beschwerde beantragt das Hauptzollamt (HZA), die Vorentscheidung aufzuheben. Zur Begründung trägt es im wesentlichen vor, daß nach den Erläuterungen zur Tarifnr. 11.06 I (1) und (2) in Verbindung mit den Erläuterungen zur Tarifnr. 23.03 I (2) zur Tarifnr. 11.06 alle aus den Wurzelknollen des Kassavastrauches gewonnenen Mehle ohne Rücksicht auf das Herstellungsverfahren und ihre Bezeichnung gehörten, wenn sie einen Stärkegehalt von mehr als 4 % im Trockenstoff aufwiesen. Die Regierungssachverständigen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) hätten festgestellt, daß sog. „Tapiokawaste” mit einem Stärkegehalt von mehr als 40 % im Trockenstoff als Mehl von Manihot (Tapiokamehl) zu der Tarifnr. 11.06 des Zolltarifs (ZT) gehöre. Die EWG-Kommission habe die einzelnen Mitgliedstaaten aufgefordert, sich dementsprechend im nationalen Recht festzulegen. Die Änderungsverordnung vom 27. Juni 1966 stehe im Einklang mit der Ermächtigung in § 78 Abs. 2 ZG. Sie wäre nur dann rechtsunwirksam, wenn die Klarstellung der Tarifierung von Tapiokamehlen durch den Text der Tarifnr. 11.06 bzw. Tarifnr. 23.03 nicht abgedeckt wäre. Das sei jedoch nicht der Fall. Es könne mangels geeigneter Untersuchungsverfahren nicht bewiesen werden, wie die eingeführte Ware hergestellt worden sei, ob als Mehl durch Vermahlen von Manihotknollen, ob als Gemisch aus Tapiokamehl und echten Rückständen oder als Mehl durch Vermahlen relativ stärkereicher Manihotknollen und nachträglichem Entzug einer geringen Menge Stärke.
Bei Mehlen des Kap. 11 sei keine Unmittelbarkeit zwischen Ausgangsstoff und Endprodukt erforderlich. Tapiokamehle der Tarifnr. 11.06 lägen auch dann vor, wenn dem durch Zerreiben gewonnenen Mehl durch einen Schlämmprozeß gewisse Teilmengen entzogen worden seien.
Die Aussetzung der Vollziehung sei nach den Beschlüssen des Bundesfinanzhofs (BFH) I B 3/66 vom 9. August 1966 (Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 86 S. 723 – BFH 86, 723 –, BStBl III 1966, 646, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1967 S. 14 – HFR 1967, 14 –) und VII B 46/66 vom 6. Februar 1967 (BFH 87, 414, BStBl III 1967, 123, HFR 1967, 184) unzulässig. Das FG H habe in einem neuerlichen gleichgelagerten Fall die Aussetzung der Vollziehung abgelehnt. Ernstliche Zweifel an der Rechtsmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestünden somit nicht.
Die Astin. beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet zurückzuweisen.
Sie trägt im wesentlichen vor:
Im Gegensatz zum FG B habe das FG H bei Einfuhren von Tapiokawaste nach dem 10. Juli 1966 in verschiedenen Aussetzungsverfahren die Zuweisung zur Tarifnr. 11.06 bestätigt. Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschöpfungserhebung verneint und die Aussetzungsanträge deshalb zurückgewiesen. Die Tatsache, daß zwei FG die Rechtslage verschieden beurteilten, zeige gerade, daß die Rechtslage zweifelhaft sei. Das FG B habe bereits ein Urteil in einem Hauptverfahren gefällt (Vorbescheid vom 27. Januar 1967), das von der Zollverwaltung angefochten worden sei. Diesem Urteil komme Tatbestandswirkung zu.
Die Verordnung vom 27. Juni 1966 sei ungültig, denn die Einführung einer Stärkegrenze von 40 % sei absolut willkürlich. Es sei produktionstechnisch unmöglich, aus thailändischen Tapiokawurzeln Rückstände mit einem Stärkegehalt von weniger als 40 % im Trockenstoff herzustellen, wie sich aus dem Gutachten des Staatsinstituts für angewandte Botanik vom 22. Dezember 1966 ergebe. Der Verordnungsgeber habe unzulässigerweise eine Fiktion aufgestellt. Gemäß Abschnitt I (2) der geänderten Erläuterungen zu Tarifnr. 23.03 sollten als Rückstände von der Tapiokastärkeherstellung nur Waren gelten, deren Stärkegehalt im Trockenstoff nicht mehr als 40 % betrage. Durch die Wahl der Fiktion gebe der Verordnungsgeber selbst zu, daß es Rückstände mit mehr als 40 % Stärke gebe. Der Bundesminister der Finanzen (BdF) sei gemäß § 78 Abs. 2 des Zollgesetzes (ZG) nur befugt, Durchführungsvorschriften zur Auslegung und Anwendung des ZT, insbesondere zur Abgrenzung der Tarifnummern und Tarifstellen zu erlassen. Eine Fiktion, mit deren Hilfe der Verordnungsgeber echte Rückstände der Stärkegewinnung aus der Tarifnr. 23.03 herausnehme, liege jedoch nicht im Rahmen einer Durchführungsvorschrift zur Auslegung und Anwendung des ZT, sondern sei in Wahrheit eine Änderung des Gesetzes. Zu gesetzesändernden Verordnungen sei aber der BdF nicht befugt (arg. Art. 129 III des Grundgesetzes – GG –). Unzulässig sei außerdem, daß der Erläuterungsgeber nur für Rückstände aus der Tapiokastärkeherstellung einen maximalen Stärkegehalt aufgestellt habe, nicht hingegen für Rückstände, die bei der Stärkeproduktion aus anderen Grunderzeugnissen wie z. B. Mais, Kartoffeln usw. anfielen. Die offensichtliche Benachteiligung der Tapiokastärkeerzeugung verstoße gegen den Grundsatz der Steuergleichheit.
Die Erläuterungen zum ZT könnten nicht stets automatisch auch zur Auslegung des Abschöpfungstarifs herangezogen werden, weil sonst § 9 Abs. 3 des Abschöpfungserhebungsgesetzes gegenstandslos wäre. Die Verordnung über den Abschöpfungstarif vom 13. August 1962 sei im übrigen aufgehoben und durch die neue Abschöpfungstarifverordnung vom 17. Dezember 1963 (BGBl II 1963, 1498) ersetzt worden, in der sich bezeichnenderweise kein Hinweis darauf finde, daß die Erläuterungen zum ZT automatisch auch für die Auslegung des Abschöpfungstarifs herangezogen werden sollten.
Um feststellen zu können, ob gegen die Rechtmäßigkeit des auf die Verordnung vom 27. Juni 1966 gestützten Abschöpfungsbescheids ernsthafte rechtliche Bedenken bestünden, müsse der BFH den Begriff Mehl von Manihot im Sinne des Art. 1 d der Verordnung Nr. 19 des Rates der EWG vom 4. April 1962 (Anlage) auslegen. Der BFH sei verpflichtet, die Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zu dieser Frage gemäß Art. 177 Abs. 3 des EWG-Vertrages einzuholen, denn die Entscheidung des BFH unterliege keinem weiteren Rechtsmittel. Die Anwendung dieser Bestimmung sei nicht auf das Hauptverfahren beschränkt, sondern gelte auch im summarischen Verfahren der Aussetzung der Vollziehung.
Die Astin. habe bei der Einfuhr- und Vorratsstelle Übernahmeverträge beantragt und erhalten. Diese Übernahmeverträge hätten eine Laufzeit bis zum 31. Juli 1966. Die Einfuhr- und Vorratsstelle habe den Abschöpfungsbetrag im Übernahmevertrag auf 0 DM festgesetzt und damit für die Einfuhrbehörden der Bundesrepublik Deutschland verbindlich erklärt, daß auf die Ware keine Abschöpfung erhoben werden dürfe. Die Verordnung vom 27. Juni 1966 habe also in bestehende Einfuhranrechte der Astin. eingegriffen. Darin liege ein enteignungsgleicher Eingriff. Selbst wenn aber die Ware zur Tarifnr. 11.06 gehöre und die Einfuhr- und Vorratsstelle einen rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt erlassen habe, so könne dieser nicht widerrufen werden, weil die Astin. gutgläubig gewesen sei.
Aus den Untersuchungsbefunden des öffentlich bestellten und vereidigten Handelschemikers und des Staatsinstituts für angewandte Botanik in … ergebe sich übereinstimmend, daß Tapiokamehl und Tapiokawaste deutlich voneinander zu unterscheiden seien, und zwar vor allem bei der mikroskopischen Untersuchung.
Tapiokawastemehl werde nicht unmittelbar aus Tapiokawurzeln gewonnen, sondern erst aus Rückständen der Stärkegewinnung, nämlich den zerstückelten, ausgeschlämmten Wurzeln, die noch einem Trocknungs- und Mahlprozeß unterzogen werden müßten. Selbst wenn also die Erläuterungen zur Tarifnr. 11.06 in der Fassung der Änderungsverordnung vom 27. Juni 1966 (BGBl II 569) gültig wären, könnte ihnen zufolge das Tapiokawastemehl nicht der Tarifnr. 11.06 zugeordnet werden. Die Erläuterungen setzten nämlich voraus (Ziffer I, 1), daß das Mehl aus Waren der Tarifnr. 07.06 (Wurzeln oder Knollen von Manihot) hergestellt worden sei. Bei der müllerischen Bearbeitung müsse das Mahlen der Hauptvorgang bleiben und die Ware müsse während des Bearbeitungsvorgangs unmittelbar von der Ausgangstarifnummer in die Tarifnummer des Kap. 11 übergegangen sein. Tapiokamehl hingegen werde aus einem Erzeugnis der Tarifnr. 23.03 gewonnen.
Der ZT spreche von Rückständen, nicht hingegen – wie bei Zuckerrübenschnitzeln – von „ausgelaugten Abfällen”. Bei den in Thailand gebräuchlichen Stärkegewinnungsmethoden würden den Tapiokawurzeln rd. 80 % der in ihnen befindlichen Stärke entzogen. Von einem oberflächlichen Stärkeentzug könne daher nicht die Rede sein.
Die Astin, weise im Hinblick auf den Beschluß des BFH VII B 46/66 vom 6. Februar 1967, a. a. O., darauf hin, daß sie die vom ZA geforderte Abschöpfung nicht auf ihre Abnehmer habe abwälzen können. Das HZA könne sich auch nicht unter Hinweis auf den Beschluß des BFH I B 3/66 vom 9. August 1966, a. a. O., darauf berufen, daß die Astin. die angeforderten Abgaben freiwillig gezahlt habe. Die Verwaltung hätte sofort auf die als Aufschubsicherung gestellte Bürgschaft zurückgegriffen und den Bürgen in Anspruch genommen.
Hinsichtlich der Einzelheiten des umfangreichen Vorbringens der Verfahrensbeteiligten wird im übrigen auf deren Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat Erfolg.
Daß die Astin einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung derselben Bescheide auch bei der Verwaltung gestellt hat und darüber noch nicht entschieden war, als die Astin, den Aussetzungsantrag beim FG nach § 69 Abs. 3 FGO stellte, machte diesen Antrag nicht unzulässig, denn der bei der Verwaltung gestellte Antrag begründete keine Rechtshängigkeit (vgl. BFH-Beschluß V S 8/66 vom 16. Dezember 1966, BFH 87, 340, BStBl III 1967, 144, HFR 1967, 182).
Nach § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO – der auch für die Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 FGO gilt – soll die Vollziehung ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Steuerpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Prüfung der Sach- und Rechtslage in einem Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung kann nur eine summarische sein, keine umfassende, und soll der Entscheidung in der Hauptsache nicht vorgreifen (vgl. BFH-Beschluß VI S 2/66 vom 15. Februar 1967, BFH 87, 602, BStBl III 1967, 256, HFR 1967, 278). Nach der Rechtsprechung des BFH sind ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes dann anzunehmen, wenn bei der summarischen Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (vgl. BFH-Beschluß III B 9/66 vom 10. Februar 1967, BFH 87, 447, BStBl III 1967, 182, HFR 1967, 185).
Eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage des Streitfalles durch das FG konnte nicht zu dem Ergebnis führen, daß auf Grund des Vorbringens der Astin, ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Festsetzung und Anforderung der Abschöpfung und der anteiligen Umsatzausgleichsteuer bestünde.
Die Tatsache, daß zwei FG die Rechtslage verschieden beurteilen, braucht noch nicht zu besagen, daß ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte bestehen. Fehl geht auch die Ansicht der Astin., daß die in einem Verfahren, das eine gleichartige Ware betrifft, in der Hauptsache ergangene Entscheidung des FG vom 27. Januar 1967 Tatbestandswirkung für den vorliegenden Fall habe. Es ist aus dem Gesetz kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, daß einer ergangenen Entscheidung für das Aussetzungsverfahren eine über den Einzelfall hinausgehende bindende Wirkung zukomme.
Die Begriffe „Mehl von Manihot” und „Rückstände von der Tapiokastärkeherstellung” sind im ZT nicht erläutert. Bis zum Inkrafttreten der Zweiten Verordnung zur Änderung der Erläuterungen zum Deutschen Zolltarif 1966 vom 27. Juni 1966 (BGBl II, 509, BZBl 1966, 528) war in der Erläuterung I zu Tarifnr. 11.06 lediglich gesagt, daß zu dieser Tarifnummer nur Mehl und Grieß gehören, die durch grobes oder feines Zerreiben oder Mahlen der in der Tarifnr. 07.06 erfaßten Waren gewonnen sind. Zum Begriff „Rückstände von der Tapiokastärkeherstellung” war in der Erläuterung zu Tarifnr. 23.03 nichts gesagt. Mit der vorbezeichneten Verordnung vom 27. Juni 1966 wurde die Erläuterung I zu Tarifnr. 11.06 durch einen Absatz 2 dahin ergänzt, daß Mehl von Manihot insbesondere – ohne Rücksicht auf das Herstellungsverfahren und die Bezeichnung – alle aus den Wurzelknollen des Kassavastrauches (Manihot utilissima) gewonnenen feinen oder gröberen Mehle darstellen, auch wenn sie zu Pellets gepreßt sind oder die Form von Brocken oder eine andere Form besitzen. Im Abschnitt II dieser Erläuterung wurde unter Einfügung des Buchst. e bestimmt, daß zur Tarifnr. 11.06 nicht Rückstände von der Tapiokastärkegewinnung gehören, auch zu Pellets gepreßt, auch in Form von Brocken oder in anderer Form, und daß solche Waren zur Tarifnr. 23.03 gehören.
Die Erläuterungen zu Tarifnr. 23.03 wurden durch Anfügung eines neuen Absatzes 2 in Abschnitt I dahin geändert, daß als „Rückstände von der Tapiokastärkeherstellung” nur Waren gelten, deren Stärkegehalt, bezogen auf den Trockenstoff, nicht mehr als 40 Gewichtshundertteile beträgt, und durch Einfügung eines neuen Buchst. b in Abschn. II weiter dahin geändert, daß aus den Wurzeln des Kassavastrauches gewonnene Mehle mit einem Stärkegehalt von mehr als 40 Gewichtshundertteilen im Trockenstoff ohne Rücksicht auf das Herstellungsverfahren und die Bezeichnung nicht zur Tarifnr. 23.03, sondern zur Tarifnr. 11.06 gehören, Somit sind durch eine Rechtsverordnung die Begriffe „Mehl von Manihot” und „Rückstände von der Tapiokastärkeherstellung” eindeutig definiert worden. Die Zweite Verordnung der Erläuterungen zum Deutschen Zolltarif 1966 vom 27. Juni 1966 ist auf § 78 Abs. 2 ZG 1961 gestützt. Nach dieser Bestimmung kann der BdF durch Rechtsverordnung Durchführungsvorschriften zur Auslegung und Anwendung des ZT, besonders zur Abgrenzung der Tarifnummern und Tarifstellen erlassen. Er hat dabei Auskünfte, Empfehlungen und Erläuterungen zwischenstaatlicher und überstaatlicher Organisationen im Rahmen der vertraglichen Verpflichtungen zu berücksichtigen.
Die vorbezeichneten Erläuterungen sind nicht deshalb unwirksam, weil etwa § 78 Abs. 2 ZG nicht mit dem GG vereinbar wäre. Diese Bestimmung entspricht inhaltlich dem § 49 Abs. 3 ZG 1939, wonach die Bundesregierung durch Rechtsverordnung Erläuterungen zur Auslegung und Anwendung des ZT geben konnte. In seinem Beschluß 2 BvL 4/63 vom 5. Mai 1965 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß § 49 Abs. 2 ZG 1939 mit dem GG vereinbar ist (BVerfGE 19, 17 ff., HFR 1965, 298, BZBl 1965, 612). Die genannten Erläuterungen könnten allerdings dann rechtsunwirksam sein, wenn die durch die Erläuterung gegebene Auslegung der im ZT verwendeten Warenbegriffe nicht möglich wäre (vgl. BFH-Urteil VII 79/63 vom 10. August 1966, BFH 86, 695, HFR 1966, 565, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 1966 S. 367). Eine summarische Prüfung ergibt jedoch, daß dies nicht der Fall ist. Aus dem Tarif selbst geht nicht hervor, daß Rückstände von der Tapiokastärkeherstellung stets nur als solche tarifiert werden und nicht nach weiterer Be- oder Verarbeitung Waren der Tarifnr. 11.06 werden könnten. Insofern war für eine Abgrenzung der Warenbegriffe voneinander Raum und ist eine solche nicht mit dem Gesetz unvereinbar. Es kann dabei nicht darauf ankommen, ob es nach den in Thailand vorhandenen technischen Einrichtungen möglich ist, Rückstände der Stärkegewinnung mit einem Stärkegehalt von höchstens 40 % im Trockenstoff herzustellen. Vielmehr kann nur entscheidend sein, daß es überhaupt möglich ist, derartige Erzeugnisse herzustellen. Davon muß aber ausgegangen werden, wenn die EWG-Kommission den Mitgliedstaaten eine Empfehlung für die Festlegung eines Stärkegehalts von 40 % im Trockenstoff für Rückstände von der Stärkeherstellung aus Manihotwurzeln im Sinne der Tarifnr. 23.03 des Gemeinsamen ZT gegeben hat.
Der Senat vermag auch die Auffassung der Astin. nicht zu teilen, daß „Tapiokawaste” deshalb nicht unter die Tarifnr. 11.06 fallen könne, weil das Erzeugnis nicht unmittelbar aus Tapiokawurzeln gewonnen werde, sondern erst aus Rückständen der Stärkegewinnung, nämlich den zerstückelten, ausgeschlämmten Wurzeln, die noch einem Trocknungs- und Mahlprozeß unterzogen werden müßten. Auch zerstückelte Wurzeln und auch obendrein mit Wasser ausgeschlämmte Wurzeln sind noch Wurzeln im Sinne der Tarifnr. 07.06, jedenfalls dann, wenn aus ihnen Tapiokamehl mit einem Stärkegehalt von mehr als 40 % hergestellt werden kann. Andernfalls müßten alle Tapiokawurzeln, denen in ganz geringer Menge Stärke entzogen worden ist, als Rückstände von der Stärkeherstellung angesehen werden.
Es kann auch der Meinung der Astin. nicht gefolgt werden, daß unter „Mehl von Manihot” nur ein Erzeugnis zu verstehen sei, daß durch Mahlen gewonnen worden sei. Dem ZT kann nicht entnommen werden, daß es für die Tarifierung von Tapiokamehl auf das Herstellungsverfahren ankomme.
Unzutreffend ist auch der Einwand, der Verordnungsgeber habe sich bei der Begriffsbestimmung von „Rückständen von der Tapiokastärkeherstellung” einer unzulässigen Fiktion bedient. Wenn es in der Erläuterung heißt, daß als Rückstände von der Tapiokastärkeherstellung nur Waren bis zu einem Stärkegehalt von 40 % gelten, so bedeutet das, daß nicht alle Rückstände auch als solche zu tarifieren sind, sondern zum Teil als etwas anderes, und daß nur Rückstände mit niedrigem Stärkegehalt noch als Rückstände im tariflichen Sinne angesehen werden.
Fehl geht auch die Annahme der Astin., die geänderten Erläuterungen zum ZT seien für den Abschöpfungstarif nicht verbindlich. Die Vorbemerkung 2 zum Abschöpfungstarif, die sich als Bestandteil des Abschöpfungstarifs wie dieser auf die Abschöpfungstarifverordnung vom 17. Dezember 1963 (BGBl II 1963, 1498) gründet, welche ihrerseits auf Grund von § 9 Abs. 2 und 3 des Abschöpfungserhebungsgesetzes im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ergangen ist, lautet:
„Weicht der Abschöpfungstarif vom Zolltarifschema ab, so gelten für die Tarifierung, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist, die allgemeinen Tarifierungsvorschriften des Zolltarifs und die Erläuterungen zum DZT entsprechend.”
Aus dieser entsprechenden Anwendbarkeit bei Abweichungen ist nach Auffassung des Senats zu entnehmen, daß die Erläuterungen zum ZT, soweit das Zolltarifschema und der Abschöpfungstarif nicht voneinander abweichen, auf den Abschöpfungstarif unmittelbar anwendbar sind. Das ergibt sich auch daraus, daß nach der Vorbemerkung 1 zum Abschöpfungstarif dieser auf dem Zolltarifschema aufbaut. Ferner ist von der in § 9 Abs. 3 des Abschöpfungserhebungsgesetzes vorgesehenen Ermächtigung, besondere Erläuterungen zum Abschöpfungstarif zu erlassen, bisher noch nicht Gebrauch gemacht worden.
Der Senat läßt dahingestellt, ob die Annahme, daß Tapiokawaste der Abschöpfung unterliege, gleichzeitig eine Auslegung des Begriffs „Mehl von Manihot” im Sinne der Anlage zur Verordnung Nr. 19 des Rates der EWG vom 4. April 1962 (Nr. 11.06 des gemeinsamen ZT) darstellt. Im summarischen Verfahren, in dem nur die Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs beurteilt werden, nicht aber über die für die Entscheidung der Hauptsache erheblichen Fragen und damit auch nicht über die in Art. 177 Abs. 1 des EWG-Vertrages genannten Fragen endgültig entschieden wird, ist der BFH nicht durch Art. 177 Abs. 3 des EWG-Vertrages verpflichtet, eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften einzuholen.
Fehl geht auch die Ansicht der Astin., es sei dadurch, daß die Einfuhr- und Vorratsstelle im Übernahmevertrag den Abschöpfungsbetrag auf o DM festgesetzt habe, für die Einfuhrbehörde verbindlich erklärt, daß auf die Ware keine Abschöpfung erhoben werden dürfe. Wie die Einfuhr- und Vorratsstelle die Ware bezeichnet und welchen Abschöpfungsbetrag sie im Übernahmevertrag festgesetzt hat, ist für die Tarifierung ohne Bedeutung, da für diese nur der ZT und der Abschöpfungstarif und die dazu als Rechtsverordnung erlassenen Erläuterungen maßgebend sind (vgl. BFH-Urteil VII 15/62 vom 8. März 1966, BFH 85, 365, BStBl III 1966, 340, HFR 1966, 327). Der Steuerpflichtige kann sich durch Einholung einer verbindlichen Zolltarifauskunft gegen Nachforderungen sichern. Die der Astin. über eine gleichartige Ware von der Oberfinanzdirektion erteilte verbindliche Zolltarifauskunft vom 21. März 1963 ist jedoch von dieser mit Verfügung vom 10. Januar 1966 widerrufen worden und wäre ohne diesen Widerruf jedenfalls mit dem Inkrafttreten der Zweiten Änderungsverordnung vom 27. Juni 1966 am 10. Juli 1966 gemäß § 23 Abs. 2 ZG außer Kraft getreten. Für die hier in Rede stehende Ware ist aber erst am 20. Juli 1966 der Antrag auf zollamtliche Abfertigung gestellt worden.
Der Behauptung der Astin., daß das ZA im vorliegenden Falle keine Untersuchung der Ware vorgenommen habe, brauchte bei einer summarischen Überprüfung des Streitstoffes nicht nachgegangen zu werden, da die Astin, im Aussetzungsantrag selbst ausgeführt hat, daß die strittige Ware einen Stärkegehalt von mehr als 40 % im Trockenstoff gehabt habe.
Bei dieser Sach- und Rechtslage kommt es nicht darauf an, ob die Astin. den Abschöpfungsbetrag und die anteilige Umsatzausgleichsteuer auf ihre Abnehmer hat abwälzen können und ob sie die Abgaben freiwillig gezahlt hat. Auch die sonstigen Einwendungen der Astin. sind nicht geeignet, eine andere Entscheidung herbeizuführen.
Auf die andere in § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO normierte Voraussetzung für eine Vollziehungsaussetzung, nämlich das Vorliegen einer unbilligen Härte, hat sich die Astin. nicht berufen, auch ergaben sich aus ihrem Vorbringen keine dafür sprechenden Umstände.
Nach allem war demnach der Beschwerde des HZA stattzugeben.
Fundstellen
Haufe-Index 514629 |
BFHE 1968, 328 |