Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Bestellung als Steuerberater durch einstweilige Anordung
Leitsatz (NV)
Zu den Fragen der Vorwegnahme des Hauptprozesses und des Anordungsgrundes bei einem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordung, die auf die (prüfungsfreie Bestellung als Steuerberater gerichtet ist.
Normenkette
FGO §§ 33, 114; StBerO (DDR)
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) beantragte zunächst beim Ministerium der Finanzen der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und nach der Einigung Deutschlands beim Antragsgegner und Beschwerdegegner (Antragsgegner) die prüfungsfreie Bestellung als Steuerberater nach den §§ 15 und 17 der Verordnung über die Hilfeleistung in Steuersachen der DDR - StBerO (DDR) - vom 27. Juni 1990 (Gesetzblatt der DDR vom 17. Juli 1990, Sonderdruck Nr. 1455). Der Antragsteller ist, seitdem er am 17. Dezember 1990 zum Steuerbevollmächtigten bestellt worden ist, im Gebiet der neuen Bundesländer steuerberatend tätig. Der Antragsgegner lehnte die prüfungsfreie Bestellung des Antragstellers als Steuerberater ab; dagegen ist ein Klage beim Bezirksgericht -Senat für Finanzrecht - (Bezirksgericht) anhängig.
Der Antragsteller beantragte ferner beim Bezirksgericht, ihn im Wege der einstweiligen Anordnung prüfungsfrei als Steuerberater zu bestellen. Zum Anordnungsgrund trug er vor, er habe zur Zeit Gelegenheit, mit anderen Steuerberatern eine Steuerberatungsgesellschaft zu gründen. Dies sei aber nur möglich, wenn er kurzfristig zum Steuerberater bestellt werde; anderenfalls sei zu befürchten, daß ein Konkurrent als Gesellschafter in die Steuerberatungsgesellschaft aufgenommen werde.
Das Bezirksgericht lehnte den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ab. Es führte u.a. aus, eine vorläufige prüfungsfreie Bestellung als Steuerberater, durch die die Entscheidung zur Hauptsache nicht vorweggenommen würde, wäre nicht geeignet, die vom Antragsteller vorgetragenen drohenden Nachteile abzuwenden. Denn die Personen, die die Gründung einer Steuerberatungsgesellschaft mit dem Antragsteller von dessen Bestellung als Steuerberater abhängig machen würden, wären mit Sicherheit nicht bereit, die Gesellschaft mit dem nur vorläufig als Steuerberater bestellten Antragsteller zu gründen und das Risiko zu tragen, daß seine Bestellung mit einem evtl. negativen Ausgang des Hauptverfahrens ende.
Mit der Beschwerde macht der Antragsteller geltend, durch seine Bestellung als Steuerberater auf Grund einer einstweiligen Anordnung werde das Ergebnis der Hauptsache nicht vorweggenommen. Aber auch durch eine vorläufige prüfungsfreie Bestellung könnten - entgegen der Vorentscheidung - die von ihm vorgetragenen wesentlichen Nachteile abgewendet werden. Wie sich aus einem vorgelegten Schreiben der Steuerberatungsgesellschaft X ergebe, sei diese Gesellschaft bereit, ihn auch als vorläufig bestellten Steuerberater in eine zu gründende Steuerberatungsgesellschaft als Geschäftsführer für die neuen Bundesländer aufzunehmen. Darüber hinaus seien auch andere Gesellschaften bereit, ihn als vorläufig bestellten Steuerberater anzustellen. Ihm seien durch die ausstehende Bestellung schon Nachteile entstanden, die durch weitere Verzögerungen vermehrt würden.
Der Antragsgegner ist der Auffassung, auch eine nur vorläufige Bestellung des Antragstellers als Steuerberater würde der Hauptsache endgültig vorgreifen, denn die nach der StBerO (DDR) bestellten Steuerberater und Steuerbevollmächtigten würden bereits nach dem Einigungsvertragsgesetz als vorläufig bestellt gelten; ihre endgültige Bestellung sei von der erfolgreichen Teilnahme an einem Übungsseminar abhängig. Im übrigen erfülle der Antragsteller auch nicht die Voraussetzungen, die nach der StBerO (DDR) an eine prüfungsfreie Bestellung zum Steuerberater gestellt würden.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Der Senat für Finanzrecht beim Bezirksgericht hat seine Zuständigkeit für den vorliegenden Rechtsstreit zu Recht bejaht. Wie der Senat durch Beschluß vom 10. September 1991 VII B 143/91 (BFHE 165, 315, BStBl II 1991, 896) entschieden hat, ist der Finanzrechtsweg für Streitigkeiten wegen prüfungsfreier Bestellung zum Steuerberater nach der StBerO (DDR), die im Beitrittsgebiet noch bis zum 31. Dezember 1990 gültig war, auch dann gegeben, wenn diese erst nach dem 3. Oktober 1990 (Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland) rechtshängig geworden sind. Der Senat hat indes in der genannten Entscheidung das Rechtsschutzinteresse für eine im Wege der einstweiligen Anordnung begehrte Bestellung zum Steuerberater, deren Eilbedürftigkeit allein auf das Außerkrafttreten der StBerO (DDR) zum 31. Dezember 1990 (Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 8 und 9 des Einigungsvertragsgesetzes) gestützt war, verneint. Der Antragsteller begehrt aber - unabhängig vom Zeitpunkt des Außerkrafttretens der StBerO (DDR) - eine Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren deshalb, weil ihm - nach seinem Vorbringen - bei einer Bestellung zum Steuerberater erst nach Abschluß des gerichtlichen Hauptverfahrens berufliche Nachteile erwachsen würden. Es kann dahinstehen, ob und ggf. welche Rechte der Antragsteller aus den Vorschriften der StBerO (DDR) überhaupt noch geltend machen kann, nachdem diese außer Kraft getreten ist. Die Beschwerde ist jedenfalls deshalb unbegründet, weil die Voraussetzungen für eine einstweilige Anordnung, die auf die prüfungsfreie Bestellung als Steuerberater gerichtet ist, nicht vorliegen.
2. Mit der Bestellung als Steuerberater begehrt der Antragsteller eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis i.S. des § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) darf eine Regelungsanordnung i.S. dieser Vorschrift nur eine einstweilige Regelung enthalten und das Ergebnis des Hauptprozesses nicht vorwegnehmen oder diesem endgültig vorgreifen (Beschluß des Senats vom 20. September 1988 VII B 129/88, BFHE 154, 31, BStBl II 1988, 956). Eine solche Vorwegnahme des Ergebnisses des Hauptprozesses liegt nicht schon ohne weiteres vor, wenn dem Antragsteller die beantragte Rechtsposition bei Verlust des Hauptprozesses wieder rückgängig zu machen ist. Der Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist vielmehr, wie der Senat im Beschluß vom 21. Februar 1984 VII B 78/83 (BFHE 140, 163, BStBl II 1984, 449) entschieden hat, nur dann ausgeschlossen, wenn diese Anordnung "endgültig vorgreiflich" ist, also irreparable Zustände schafft, d.h. den Hauptprozeß nicht mehr entscheidungsfähig hält.
Unter Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ist der Senat für eine beantragte Verpflichtung der Behörde zur Zulassung eines Bewerbers zur Steuerberaterprüfung im Wege der Regelungsanordnung zu dem Ergebnis gelangt, daß diese das Ergebnis des Hauptprozesses vorwegnehmen würde, weil die Hauptsache nicht mehr entscheidungsfähig gehalten werden kann, wenn der Antragsteller bereits auf Grund der einstweiligen Anordnung der Prüfung zugelassen wird und an dieser teilnimmt (BFHE 140, 163, BStBl II 1984, 449). Der Senat hat deshalb in den Fällen des Antrags auf Zulassung zur Steuerberaterprüfung den einstweiligen Rechtsschutz auf besondere Fälle beschränkt, in denen die Anordnung zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes unumgänglich ist, weil die Hauptsacheentscheidung für einen wirksamen Rechtsschutz zu spät käme und dies für den Antragsteller zu unerträglichen Folgen führen würde. Er verlangt hierfür neben einer erheblichen Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg des Antragstellers in der Hauptsache eine besondere Intensität des Anordnungsgrundes (BFHE 154, 31, BStBl II 1988, 956, 958).
b) Im Streitfall würde zwar - wie das Bezirksgericht zutreffend ausgeführt hat - das Ergebnis des Hauptprozesses vorweggenommen, wenn der Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung prüfungsfrei endgültig zum Steuerberater bestellt würde. Es ist aber zweifelhaft, ob eine Vorgreiflichkeit in diesem Sinne auch gegeben wäre, wenn die Berufszulassung über den einstweiligen Rechtsschutz - wie mit der Beschwerde begehrt - nur vorläufig erfolgen würde. Mit einer zeitlichen Beschränkung der einstweiligen Bestellung als Steuerberater bis zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Hauptsache wäre noch kein irreparabler Zustand geschaffen und der Hauptprozeß könnte noch entscheidungsfähig gehalten werden. Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, daß nach der StBerO (DDR) bestellte Steuerberater und Steuerbevollmächtigte schon kraft Gesetzes (vgl. § 40 a des Steuerberatungsgesetzes - StBerG -) als vorläufig bestellt gelten und über ihre endgültige Bestellung erst nach dem 31. Dezember 1994 entschieden wird. Auch wenn im Hauptprozeß weiterhin nur eine Bestellung mit vorläufiger Wirkung bestätigt werden könnte, hätte diese Entscheidung doch eine eigenständige Bedeutung, die sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich ihrer zeitlichen Geltungsdauer über die einstweilige prüfungsfreie Bestellung im Wege der einstweiligen Anordnung hinausginge.
Der Senat braucht die Frage der Vorgreiflichkeit der beantragten einstweiligen Anordnung gegenüber dem Klagebegehren im Hauptprozeß jedoch nicht zu vertiefen. Das Bezirksgericht hat den Erlaß einer einstweiligen Anordnung jedenfalls deshalb zu Recht abgelehnt, weil der Antragsteller einen Anordnungsgrund, der neben dem - hier offengelassenen - Anordnungsanspruch schlüssig darzulegen war (§ 114 Abs. 3 FGO i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -), nicht glaubhaft gemacht hat. Dabei stellt der Senat nur auf die für die Regelungsanordnung gesetzlich vorgeschriebenen Anordnungsgründe ab, ohne eine besondere Intensität des Anordnungsgrundes zu verlangen, wie er in den Ausnahmefällen des zwingenden einstweiligen Rechtsschutzes trotz endgültiger Vorgreiflichkeit der einstweiligen Anordnung gegeben sein muß.
3.a) Aus den in § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO für die Regelungsanordnung ausdrücklich genannten Gründen ("wesentliche Nachteile", "drohende Gefahr") ergibt sich, daß auch die "anderen (Anordnungs-)Gründe" von ähnlicher Bedeutung und Gewichtung sein müssen. Die einstweilige Anordnung ist "nötig" i.S. des § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO, wenn das Interesse des Antragstellers an der erstrebten Anordnung das öffentliche Interesse an der Beibehaltung des gegenwärtigen Zustands überwiegt und die Maßnahme unumgänglich ist, um ihn gegen wesentliche Nachteile zu schützen. Die für die einstweilige Anordnung sprechenden Gründe müssen also so schwerwiegend sein, daß sie ihren Erlaß unabweisbar machen. Ein solcher Anordnungsgrund wird im allgemeinen nur angenommen, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Antragstellers unmittelbar bedroht ist (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 114 FGO Tz. 17, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung; vgl. auch Senat in BFHE 154, 31, BStBl II 1988, 956, 958).
b) Der Antragsteller beruft sich als Grund für die begehrte einstweilige Anordnung darauf, daß er ohne die (vorläufige) Bestellung als Steuerberater nicht als Gesellschafter in eine noch zu gründende und im Gebiet der ehemaligen DDR tätige Steuerberatungsgesellschaft aufgenommen werde und sich bei einem Abwarten der Entscheidung zur Hauptsache diese berufliche Chance zerschlagen könnte. Da der Antragsteller aber bereits zum Steuerbevollmächtigten bestellt ist, ist er grundsätzlich nicht daran gehindert, Gesellschafter, Mitglied des Vorstands, Geschäftsführer oder persönlich Haftender Gesellschafter einer Steuerberatungsgesellschaft zu werden (§ 50 Abs. 1 und 2 StBerG). Er hat zwar im Beschwerdeverfahren durch Vorlage des Schreibens der Steuerberatungsgesellschaft X glaubhaft gemacht, daß diese Gesellschaft die eigenverantwortliche Vertretung einer mit dem Antragsteller in ... zu gründenden Steuerberatungsgesellschaft durch den Antragsteller von dessen (vorläufigen Bestellung zum Steuerberater abhängig macht. Der Antragsteller ist aber hinsichtlich der von ihm angestrebten Gründung und verantwortlichen Tätigkeit in einer Steuerberatungsgesellschaft nicht auf diesen Vertragspartner beschränkt. Er steht - wie er selbst vorträgt - insoweit auch in Verhandlungen mit anderen Steuerberatungsgesellschaften. Nach der vorgelegten Korrespondenz des Antragstellers mit der von den Steuerberatern A und B beherrschten Gesellschaft hat z.B. der Antragsteller dieser Gesellschaft seinen Eintritt als Gesellschafter sowie eine Tätigkeit als Geschäftsführer und Leiter eine Niederlassung im Beitrittsgebiet angeboten und um Prüfung gebeten, ob er als vorläufig bestellter Steuerbevollmächtigter Mitglied der Geschäftsführung und Gesellschafter werden könne, worauf die Wirtschaftsprüfer und Steuerberater A und B ihre Überzeugung zum Ausdruck gebracht haben, sich mit dem Antragsteller in den angesprochenen Punkten einigen zu können.
Der Antragsteller hat demnach keine schwerwiegenden Gründe für seine (vorläufige) Bestellung als Steuerberater glaubhaft gemacht, die den Erlaß der begehrten einstweiligen Anordnung unabweisbar machen. Eine Existenzgefährdung liegt schon deshalb nicht vor, weil er auf Grund seiner Bestellung zum Steuerbevollmächtigten im Gebiet der ehemaligen DDR eine steuerberatende Tätigkeit ausübt und daraus seinen ausreichenden Lebensunterhalt bezieht (vgl. Beschluß des Senats in BFHE 154, 31, BStBl II 1988, 956, 959). Darüber hinaus erscheint nach der im Beschwerdeverfahren vorgelegten Korrespondenz auch die vom Antragsteller angestrebte Tätigkeit als Gesellschafter, Geschäftsführer und Niederlassungsleiter einer Steuerberatungsgesellschaft im Beitrittsgebiet schon für den gegenwärtigen Zeitraum nicht ausgeschlossen. Jedenfalls ist es nicht glaubhaft, daß bei einer Verweisung des Antragstellers auf den erfolgreichen Ausgang des Hauptprozesses ernsthaft zu besorgen wäre, seine berufliche Chance, als Gesellschafter und Geschäftsführer für eine im Beitrittsgebiet bestehende oder zu gründende Steuerberatungsgesellschaft tätig zu werden, werde sich bis dahin endgültig zerschlagen. Hierfür kann nicht auf das Verhalten eines bestimmten potentiellen Vertragspartners abgestellt werden. Vielmehr ist davon auszugehen, daß dem Antragsteller auf Grund seiner im Beitrittsgebiet gesammelten Erfahrungen als Steuerbevollmächtigter nach einer obsiegenden Entscheidung im Hauptverfahren ohne weiteres die Möglichkeit verbleibt, dort als Steuerberater in eine Steuerberatungsgesellschaft einzutreten. Etwaige Verdienstminderungen, die sich auf Grund des Status des Steuerbevollmächtigten gegenüber dem des Steuerberaters oder auf Grund der auf das Gebiet eines Bezirks beschränkten Befugnis zur Hilfeleistung in Steuersachen (§ 40 a StBerG) ergeben sollten, stellen keine so wesentlichen Nachteile dar, daß der Erlaß der begehrten einstweiligen Anordnung nötig erscheint. Bei der gebotenen Abwägung der Interessen des Antragstellers und der öffentlichen Interessen ist auch zu berücksichtigen, daß die StBerO DDR, nach der die Bestellung als Steuerberater erfolgen soll, nicht mehr gültig ist.
Dem Antragsteller ist demnach im Hinblick auf die begehrte Rechtsstellung zuzumuten, den Ausgang des vor dem Bezirksgericht anhängigen Hauptprozesses abzuwarten. Da der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung bereits aus den vorstehenden Gründen abzulehnen war, erübrigt sich eine Stellungnahme zu der zwischen den Beteiligten streitigen Frage, ob der Antragsgegner für die begehrte Verwaltungsentscheidung zuständig wäre.
Fundstellen
Haufe-Index 418391 |
BFH/NV 1993, 273 |