Entscheidungsstichwort (Thema)
Ungeklärter Vermögenszuwachs - Verwerfung der Buchführung
Leitsatz (NV)
1. Der Besteuerung sind grundsätzlich die Buchführung und die Aufzeichnungen eines Steuerpflichtigen, die den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO 1977 entsprechen, zugrunde zu legen. Ergibt jedoch die Würdigung des Sachverhalts, daß die formell ordnungsmäßige Buchführung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ganz oder teilweise sachlich unrichtig ist, so kann das Ergebnis der Buchführung ganz oder teilweise verworfen werden.
2. Bei einer formell ordnungsmäßigen Buchführung rechtfertigt ein ungeklärter Vermögenszuwachs die Annahme, daß höhere Betriebseinnahmen erzielt und höhere Privatentnahmen getätigt als verbucht wurden.
3. Wird mit einer dem Einzelfall angepaßten Vermögenszuwachsrechnung ein ungeklärter Vermögenszuwachs aufgedeckt, so trägt der Steuerpflichtige die objektive Beweislast für die Herkunft des Vermögens.
4. Die zur Gewährung von Prozeßkostenhilfe erforderliche ,,hinreichende Aussicht auf Erfolg" der beabsichtigten Rechtsverfolgung ist gegeben, wenn bei summarischer Prüfung für den Eintritt des Erfolgs eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweiswürdigung überzeugt ist.
Normenkette
AO 1977 §§ 140-148, 158, 162 Abs. 2 S. 2; FGO § 142; ZPO § 114 S. 1
Tatbestand
In dem vor dem Finanzgericht (FG) anhängigen Hauptsacheverfahren streiten die Beteiligten um die Rechtmäßigkeit der (geänderten) Bescheide über die Einkommensteuer und Umsatzsteuer 1976 bis 1982. Dabei geht es um die Frage, ob die vom Beklagten (Finanzamt - FA -) der Besteuerung zugrunde gelegte Vermögenszuwachsrechnung zutreffend ist.
Der Kläger betrieb in den Streitjahren 1976 bis 1982 die ,,A-Bar" in X und ab 27. August 1982 die Gastwirtschaft ,,. . ." in Y. Er beschäftigte in der ,,A-Bar" Bardamen, die mit den Gästen Intimverkehr hatten. Die hierfür gezahlten Entgelte wurden zunächst vom Kläger vereinnahmt und nach Geschäftsschluß mit den Bardamen abgerechnet. Auch die Ehefrau des Klägers, die inzwischen von ihm geschieden wurde, war in der ,,A-Bar" angestellt. Nach ihren Angaben erzielte sie dort aus Intimverkehr mit den Gästen zeitweilig monatliche Einnahmen von . . . DM bis . . . DM.
Im Rahmen einer Steuerfahndungsprüfung beim Kläger ergaben sich u. a. aufgrund der Aussage der früheren Ehefrau des Klägers Anhaltspunkte dafür, daß die Umsätze aus dem Barbetrieb nicht ordnungsgemäß verbucht und versteuert wurden. Deshalb nahmen die Fahndungsprüfer aufgrund einer Vermögenszuwachsrechnung eine Umsatz- und Gewinnschätzung für die Jahre 1976 bis 1982 vor.
Die Prüfer gingen dabei für die Jahre 1976 bis 1978 von folgenden - im einzelnen belegten - Vermögenszuwächsen aus:
. . .
Nach dem gleichen Berechnungsschema ergaben sich für die Jahre 1979 bis 1982 folgende Beträge:
. . .
Der jeweilige Gesamtbetrag der zu versteuernden Einkünfte wurde den vom Kläger und seiner Ehefrau erklärten Einkünften gegenübergestellt. Die hierbei sich ergebenden Unterschiedsbeträge wurden dem Kläger als nicht versteuerte Einkünfte aus Gewerbebetrieb und aus Kapitalvermögen zugerechnet.
Die Beträge, die dem Kläger zusätzlich als gewerbliche Einkünfte zugerechnet wurden, sahen die Prüfer gleichzeitig als nicht versteuerte Umsätze an.
Wegen der Berechnung im einzelnen wird auf den Bericht der Steuerfahndungsstelle vom 8. August 1986 Bezug genommen.
Auf dieser Grundlage erließ das FA geänderte Bescheide über die Einkommensteuer und Umsatzsteuer 1976 bis 1982. Die hiergegen eingelegten Einsprüche hatten keinen Erfolg.
Mit der Klage wendet sich der Kläger gegen die aufgrund der Vermögenszuwachsrechnung vorgenommene Erhöhung der gewerblichen Einkünfte und der Umsätze. Die von der Steuerfahndung vorgenommene Vermögenszuwachsrechnung sei nicht ausreichend dem Einzelfall angepaßt worden und könne deshalb nicht zur Grundlage der gegen ihn festgesetzten Steuern gemacht werden. - Die Vermögenszuwachsrechnung beruhe allein auf den Aussagen seiner Ehefrau, die ihn bewußt schädigen wolle. Außer den Aussagen der Ehefrau gebe es keine konkreten Anhaltspunkte, aus denen entnommen werden könnte, daß es sich bei dem ungeklärten Vermögenszuwachs um eigene Einkünfte bzw. Einnahmen gehandelt habe. Entgegen der Annahme des FA stammten sämtliche bei ihm festgestellten Vermögensmehrungen ausschließlich aus dem Vermögen seiner Ehefrau.
Den Antrag des Klägers, ihm für das Klageverfahren Prozeßkostenhilfe (PKH) zu gewähren, hat das FG mit Beschluß vom 25. Mai 1990 abgelehnt, da die Rechtsverfolgung i. S. des § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Die aufgrund der Vermögenszuwachsrechnung durchgeführte Besteuerung sei bei summarischer Prüfung nicht zu beanstanden. Entgegen der Behauptung des Klägers beruhe die Berechnung der Steuerfahndung nicht ausschließlich auf den Angaben der Ehefrau des Klägers. Mit Ausnahme der Ausgaben des Klägers für seinen Haushalt und für seinen persönlichen Bedarf seien alle angesetzten Werte durch Belege nachgewiesen. - Die Herkunft des festgestellten Vermögens sei trotz Ausschöpfung aller Erkenntnismittel ungeklärt geblieben. Es könne deshalb angenommen werden, daß dem Kläger mehr Einnahmen aus steuerpflichtigen Quellen zur Verfügung standen, als er erklärt habe (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28. Mai 1986 I R 265/83, BFHE 147, 105, BStBl II 1986, 732). Unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Beweismittel sei nicht zu erwarten, daß der Kläger den Nachweis führen könne, der gesamte bei ihm festgestellte Vermögenszuwachs - mit Ausnahme der von ihm als zutreffend anerkannten zusätzlichen Kapitaleinkünfte - stamme aus freiwilligen Zuwendungen seiner Ehefrau und damit nicht aus seinen Einnahmen aus Gewerbebetrieb. - Der Beschluß des FG wurde dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 29. Juni 1990 bekanntgegeben.
Gegen den Beschluß des FG legte der Kläger durch seine Prozeßbevollmächtigten Beschwerde ein. Die Entscheidung baue auf den Aussagen der Ehefrau des Klägers auf. Wenn man den Aussagen der Ehefrau glaube, dann müsse auch ihrer Aussage geglaubt werden, sie selbst habe monatlich . . . DM bis . . . DM durch Prostitution eingenommen. Dann sei aber nicht plausibel, daß sie nur über derart wenig Einkommen verfügt habe; es spreche vielmehr alles dafür, daß der Vermögenszuwachs, der dem Kläger allein zugerechnet worden sei, nicht durch seine Tätigkeit erzielt worden sei. Diese Fragen könnten aber nicht mehr aufgeklärt werden. Es komme deshalb auf die Beweislastverteilung an. Entgegen der Auffassung des FG brauche nicht der Kläger den Nachweis zu führen, daß der ermittelte Vermögenszuwachs auf den Leistungen und Zuwendungen seiner Ehefrau beruhe; vielmehr müsse das FA den Nachweis führen, daß es sich um eigene Einkünfte des Klägers handle. Der Sachverhalt hätte aufgeklärt werden können, wenn die Steuerfahndung ordnungsgemäß ermittelt hätte.
Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
1. Nach § 142 FGO i. V. m. § 114 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Die Rechtsverfolgung verspricht hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn bei summarischer Prüfung für seinen Eintritt eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (BFH-Beschlüsse vom 25. März 1986 III B 5-6/86, BFHE 146, 223, BStBl II 1986, 526, m. w. N.; vom 16. Dezember 1986 VIII B 115/86, BFHE 148, 215, BStBl II 1987, 217).
2. Legt man diese Maßstäbe der Beurteilung des Streitfalls zugrunde, so hat die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
a) Dies gilt hinsichtlich der Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 1981 schon deshalb, weil die dort vorgenommenen Änderungen auf einer gesonderten Gewinnfeststellung (§ 180 Abs. 1 Nr. 2 b der Abgabenordnung - AO 1977 -) beruhen. Entscheidungen in einem Grundlagenbescheid können gemäß § 351 Abs. 2 AO 1977 nur durch Anfechtung dieses Bescheids, nicht auch durch Anfechtung des Folgebescheids angegriffen werden.
b) Auch die Rechtmäßigkeit der übrigen Bescheide (Einkommensteuer 1976 bis 1980 und 1982, Umsatzsteuer 1976 bis 1982) ist bei summarischer Würdigung nicht zu bezweifeln.
Es bestehen insbesondere keine Bedenken dagegen, daß das FA seinen Bescheiden das Ergebnis einer Schätzung zugrunde gelegt hat. Zwar sind der Besteuerung grundsätzlich die Buchführung und die Aufzeichnungen eines Steuerpflichtigen, die den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO 1977 entsprechen, zugrunde zu legen; dies gilt indessen nur, ,,soweit nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlaß ist, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden" (§ 158 AO 1977). Ergibt die Würdigung des Sachverhalts, daß die formell ordnungsmäßige Buchführung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ganz oder teilweise sachlich unrichtig ist, so kann das Ergebnis dieser Buchführung ganz oder teilweise verworfen werden (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 158 AO 1977 Tz. 2). Ein solcher Fall war hier im Hinblick auf den ungeklärten Vermögenszuwachs gegeben.
Bei einer formell ordnungsmäßigen Buchführung rechtfertigt ein ungeklärter Vermögenszuwachs die Annahme, daß höhere Betriebseinnahmen erzielt und höhere Privatentnahmen getätigt als gebucht wurden (BFHE 147, 105, BStBl II 1986, 732). Der Vermögenszuwachsrechnung liegt die Überlegung zugrunde, daß niemand mehr Geld ausgeben oder einlegen kann, als ihm aus seinen steuerpflichtigen und sonstigen Quellen zur Verfügung steht. Wird auf diese Weise ein ungeklärter Vermögenszuwachs dargelegt, kann angenommen werden, daß der Steuerpflichtige mehr Einnahmen erzielt als er erklärt hat. Damit sind ein eigenständiger Schätzungsgrund und ein ausreichend sicherer Anhalt für die Höhe der Schätzung gegeben (BFHE 147, 105, BStBl II 1986, 732).
Im Streitfall hat das FA einen Vermögenszuwachs des Klägers mit einer auf den Einzelfall angepaßten Vermögenszuwachsrechnung in nicht angreifbarer Weise festgestellt. Es hat insbesondere das für die Ermittlung des Vermögenszuwachses zu beachtende Rechenschema eingehalten (hierzu Wittkowski, Prüfungstechnik des Betriebsprüfers, 1986, S. 127 ff.). Auch die dem Rechenwerk zugrunde gelegten Zahlenangaben können nicht beanstandet werden. Sie sind großenteils belegt. Lediglich die Privataufwendungen mußten geschätzt werden, da über den Privatverbrauch des Klägers keine verwertbaren Aufzeichnungen vorgefunden wurden. Soweit es sich dabei um die allgemeinen Ausgaben für den Haushalt des Klägers und seiner Ehefrau (ab 1979 außerdem für ein Kind) handelt, sind die geschätzten Beträge gemessen an den für die verschiedenen Verbrauchergruppen bestehenden statistischen Feststellungen (vgl. hierzu Wittkowski, a.a.O., S. 125) - eher zu niedrig als zu hoch geschätzt. Dagegen sind die für den persönlichen Aufwand des Klägers angesetzten Beträge verhältnismäßig hoch. Die Höhe findet aber ihre hinreichende Erklärung in den hohen Aufwendungen des Klägers in Gaststätten und Bordellen; hierzu liegen Aussagen vor, die in einem Strafverfahren gegen den Kläger wegen Steuerhinterziehung u. a. von Zeugen gemacht wurden.
Verbleibende Unsicherheiten gehen zu Lasten des Klägers. Wird mit einer dem Einzelfall angepaßten Vermögenszuwachsrechnung ein ungeklärter Vermögenszuwachs aufgedeckt, so trägt der Steuerpflichtige die objektive Beweislast (Feststellungslast) für die Herkunft des Vermögens (BFHE 147, 105, BStBl II 1986, 732). Bleibt die Herkunft des ermittelten Vermögens trotz Ausschöpfung aller Erkenntnismittel ungeklärt, so kann angenommen werden, daß dem Steuerpflichtigen mehr Einnahmen aus steuerpflichtigen Quellen zur Verfügung standen, als er erklärt hat. Im Streitfall ist - wie das FG zutreffend entschieden hat - im Hinblick auf die bereits im Strafverfahren gegen den Kläger erhobenen Beweise nicht mehr zu erwarten, daß der Kläger den Nachweis führen kann, der bei ihm festgestellte ungeklärte Vermögenszuwachs stamme aus freiwilligen Zuwendungen seiner früheren Ehefrau und deshalb nicht aus seinen Einkünften aus Gewerbebetrieb. Die frühere Ehefrau des Klägers hat bei ihrer richterlichen Vernehmung am 5. Juni 1985 angegeben, die von ihr erzielten Einnahmen seien - wie auch bei den anderen Angestellten - ungekürzt vom Kläger vereinnahmt worden und sie habe dem Kläger aus ihrem Vermögen oder aus ihren laufenden Einkünften (Gehalt, Einkünfte aus Prostitution) nichts zugewendet. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß die frühere Ehefrau des Klägers bei einer erneuten Vernehmung ihre frühere Aussage widerrufen und die Aussagen des Klägers bestätigen würde. Abgesehen hiervon kann sie mangels ladungsfähiger Anschrift nicht gehört werden. Weitere Beweismöglichkeiten sind nicht erkennbar.
Fundstellen
Haufe-Index 63035 |
BFH/NV 1991, 724 |