Leitsatz (amtlich)
1. Hat das FG im Verfahren des § 114 FGO eine einstweilige Anordnung erlassen, so kann das betroffene FA den Beschluß über diese Anordnung nicht mit der Beschwerde anfechten. Einziger Rechtsbehelf dagegen ist vielmehr der Antrag auf mündliche Verhandlung, über den das FG endgültig durch unanfechtbares Endurteil entscheidet.
2. Nur in einem nach § 926 ZPO in Gang gesetzten Verfahren der Hauptsache kann der BFH als Revisionsgericht mit der Sache befaßt werden.
Normenkette
FGO §§ 114, 117, 128; ZPO § 920 ff.
Tatbestand
Die Beschwerdegegnerin hatte beim Beschwerdeführer (FA) im September 1971 beantragt, auf ihrer Lohnsteuerkarte 1971 einen Freibetrag einzutragen, weil ihr nach § 14a BerlinFG erhöhte Absetzungen für Abnutzung auf die Anschaffungskosten einer Eigentumswohnung zustünden. Nachdem das FA dies abgelehnt hatte, hat die Beschwerdegegnerin beim FG Sprungklage erhoben. Da wegen der gleichen Frage in einer anderen Sache ein Revisionsverfahren beim BFH anhängig war, bat die Beschwerdegegnerin das FG, vor seiner Entscheidung den Ausgang des Revisionsverfahrens abzuwarten, und beantragte beim FG, das FA im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, auf der Lohnsteuerkarte 1972 einen Freibetrag von 20 000 DM einzutragen. Obwohl das FA in seiner Stellungnahme darauf hinwies, daß die Beschwerdegegnerin bisher beim FA keinen derartigen Antrag gestellt habe und deshalb ein anfechtbarer Verwaltungsakt noch nicht vorliege, erließ das FG einen Beschluß, mit dem das FA verpflichtet wurde, innerhalb einer Woche nach Vorlage der Lohnsteuerkarte 1972 auf dieser einen Freibetrag von 20 000 DM vorläufig einzutragen. Das FG fügte eine Rechtsmittelbelehrung dahin bei, daß gegen diesen Beschluß Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt werden könne.
Gegen diesen Beschluß hat das FA "Beschwerde" eingelegt. Es führte dazu aus, es habe die begehrte Eintragung auf der Lohnsteuerkarte 1972 vorgenommen. Es sei damit dem Beschluß des FG nachgekommen; ein Antrag auf mündliche Verhandlung sei bisher nicht gestellt worden. Nach dem Beschluß des BFH vom 18. November 1966 III B 18/66 (BFHE 87, 335, BStBl III 1967, 142) sei hier die Beschwerde der zulässige Rechtsbehelf. Ein Antrag auf mündliche Verhandlung gegen die einstweilige Anordnung wäre nur dann sinnvoll, wenn Zweifel hinsichtlich des der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalts oder des vorangegangenen Verfahrens beständen. Derartige Zweifel lägen im Streitfall aber nicht vor. Werde ein Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt, so sei das FG gezwungen, durch Endurteil zu entscheiden, das dann nach § 117 FGO unanfechtbar wäre. Damit wäre der Rechtsstreit endgültig entschieden und abgeschlossen. Das FG habe hier der Beschwerdegegnerin das gewährt, was sie mit einer Klage hätte begehren können. Zu einem Klageverfahren werde es aber nicht kommen, weil das FA keine Befugnis gehabt habe, den begehrten Verwaltungsakt abzulehnen und die Beschwerdegegnerin nun in keiner Weise beschwert sei. Zu einer Klage, wie sie nach §§ 114 Abs. 3 FGO, 926 ZPO vorgesehen sei, könne es deshalb nicht kommen. Der Konflikt zwischen FA und FG müsse in rechtlicher Weise gelöst werden können; dazu diene die Beschwerde an den BFH.
Zur Sache legte das FA dar, daß Arbeitnehmer die Vergünstigungen nach § 14a BerlinFG nicht als Verluste auf der Lohnsteuerkarte eintragen lassen könnten. § 40 Abs. 1 Nr. 6 EStG 1969 in Verbindung mit § 26b LStDV 1971 gelte nur für erhöhte Absetzungen nach §§ 7 b, 54 EStG. Das FA sei deshalb nicht imstande, die begehrte Eintragung vorzunehmen.
Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Das FA habe von dem zulässigen Rechtsbehelf des Antrags auf mündliche Verhandlung keinen Gebrauch gemacht.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde des FA ist unzulässig.
Das Verfahren der einstweiligen Anordnung nach § 114 FGO entspricht weitgehend dem Arrestverfahren der ZPO und unterscheidet sich hinsichtlich der Rechtsbehelfe von den sonst im finanzgerichtlichen Verfahren in Betracht kommenden Vorschriften. Nach § 114 Abs. 3 FGO gelten für den Erlaß einstweiliger Anordnungen bestimmte Vorschriften der §§ 920 ff. ZPO sinngemäß. Nur gegen die Ablehnung einer solchen Anordnung käme, da insoweit Sondervorschriften fehlen, eine Beschwerde nach § 128 Abs. 1 FGO in Betracht (so der Beschluß des Senats vom 24. April 1967 VI B 3/66, BFHE 88, 231, BStBl III 1967, 343). Anders ist die Rechtslage, wenn das Gericht eine einstweilige Anordnung gemäß § 114 Abs. 1 FGO getroffen hat. Es greift dann die besondere Regelung des § 114 Abs. 4 FGO ein. Die Finanzgerichtsordnung gibt hier noch nicht, wie dies nach §§ 114 Abs. 3 FGO, 924 Abs. 1 ZPO in Betracht gekommen wäre, dem Antragsgegner - nämlich dem FA - den Rechtsbehelf des Widerspruchs, sondern nur das Recht, gegen die einstweilige Anordnung einen Antrag auf mündliche Verhandlung zu stellen. Selbst wenn das FG die einstweilige Anordnung erst aufgrund einer mündlichen Verhandlung (vgl. § 921 Abs. 1 ZPO) getroffen hat, läßt die FGO hier als einzigen Rechtsbehelf zunächst nur den Antrag auf erneute mündliche Verhandlung zu. Das hat auch einen guten Grund. Nach §§ 114 Abs. 4 FGO, 925 Abs. 1 ZPO ist über einen Widerspruch über die Rechtmäßigkeit der einstweiligen Anordnung durch Endurteil zu entscheiden, gegen das nach § 117 FGO eine Revision nicht zulässig ist. Die mehrfache mündliche Verhandlung ermöglicht eine ausreichende Erörterung des tatsächlichen Vorbringens (vgl. dazu Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Tz. 17 zu § 114 FGO). Entsprechend läßt § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung nur einen Antrag auf mündliche Verhandlung, aber nicht die Beschwerde gegen die einstweilige Anordnung zu (so die Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts Koblenz vom 8. Februar 1971 1 B 4/71, NJW 1971, 1766, und OVG Münster vom 16. September 1971 VIII A 558/71, MDR 1972, 359). Der Beschluß des BFH III B 18/66 steht der vorstehenden Auffassung nicht entgegen. Er betrifft eine anders gelagerte Entscheidung des FG, mit der dieses statt einer einstweiligen Anordnung eine Vollziehungsaussetzung nach § 69 FGO angeordnet und hiergegen die Beschwerde für gegeben erachtet hatte.
Die Rechtsausführungen des FA, das FG habe bereits eine Entscheidung in der Hauptsache getroffen, weshalb der Rechtsbehelf der Beschwerde an den BFH gegeben sein müsse, treffen nicht zu. Das FG hat in dem vom FA beanstandeten Beschluß nur die "vorläufige" Eintragung eines Freibetrages angeordnet und damit keine Entscheidung in der Sache selbst getroffen. Im Verfahren auf eine beantragte mündliche Verhandlung nach § 114 Abs. 4 FGO wie auch in einem weiteren Verfahren nach einem Widerspruch gemäß §§ 114 Abs. 4 FGO, 924 Abs. 1 ZPO kann Gegenstand der Verhandlung und Entscheidung nur der Anspruch auf einstweilige Anordnung seitens der Klägerin, nicht aber die Hauptsache - der endgültig begehrte Freibetrag von 20 000 DM - sein (ebenso für das Arrestverfahren Stein-Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 17. Aufl., Anm. 2 zu § 925 ZPO). Eine Klärung in dem Verfahren der Hauptsache ist nicht ausgeschlossen. Diese Möglichkeit wird durch § 114 Abs. 3 FGO in Verbindung mit § 926 ZPO eröffnet. Danach muß das FG auf Antrag des FA anordnen, daß die Klage in der Hauptsache binnen einer bestimmten Frist zu erheben ist. Wird daraufhin fristgemäß die Klage erhoben, so hat das FG - und gegebenenfalls in einem Revisionsverfahren der BFH - in der Sache selbst zu entscheiden. Wenn die Klageerhebung nicht rechtzeitig erfolgt, hat das FG die einstweilige Anordnung aufzuheben.
In dem im vorliegenden Streitfall zu klärenden Verfahren ist nur über die Streitfrage zu entscheiden, ob die einstweilige Anordnung getroffen werden durfte. Soweit das FG dies dann im Verfahren nach § 925 Abs. 1 ZPO durch Endurteil entschieden hat, schließt § 117 FGO den Rechtsweg zum BFH aus.
Fundstellen
Haufe-Index 70171 |
BStBl II 1973, 245 |
BFHE 1973, 492 |