Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung; Divergenz und Sachaufklärungsrüge
Leitsatz (NV)
1. Verzögerungen bei der Briefbeförderung oder -zustellung, die der Rechtsmittelführer nicht zu vertreten und auf die er keinen Einfluß hat, dürfen nicht als dessen Verschulden gewertet werden.
2. Unterläßt es das FG, bestimmte Verträge heranzuziehen, weil es von seinem materiell- rechtlichen Standpunkt aus gesehen auf deren Inhalt nicht ankommt, so liegt darin kein Verfahrensfehler i. S. des §76 FGO.
Normenkette
AO 1977 § 42; FGO §§ 76, 115 Abs. 2 Nrn. 2-3, Abs. 3 S. 3, § 56
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war zu 1/3 an der E-GmbH Steuerberatungsgesellschaft beteiligt (Stammeinlage 7000 DM). Mit Kaufvertrag vom ... 1980 hat die GmbH die bisherige Einzelpraxis des E zum Kaufpreis von ... DM übernommen. Mit Vertrag vom gleichen Tage wurde zwischen der GmbH und dem Kläger eine stille Gesellschaft errichtet (Einlage des Klägers ... DM). Nach den Vereinbarungen sollte der Kläger am Vermögen der GmbH nicht beteiligt sein, nimmt jedoch am Gewinn und Verlust teil. Zum 31. Dezember 1983 betrug der Einlagewert der stillen Beteiligung -- bedingt durch Verlustzuweisungen -- unstreitig 0 DM.
Mit Vertrag über den Verkauf und Abtretung einer stillen Beteiligung vom ... 1984 veräußerte der Kläger seine stille Beteiligung an den Mitgesellschafter B zum Preis von ... DM. Am Gewinn/Verlust der GmbH sollte der Kläger ab 1. Januar 1984 nicht mehr teilnehmen.
Mit notariellem Vertrag vom ... 1984 beschlossen die Gesellschafter der GmbH, diese nach §§24, 21, 3 des Umwandlungsgesetzes (UmwG) in eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) umzuwandeln, die den Namen B und Partner führen sollte. Die Umwandlung erfolgte durch Übertragung des Vermögens der GmbH auf die GbR.
Mit Vertrag vom ... 1984 verkaufte der Kläger seine 1/3-Beteiligung an der GbR an B zum Preis von 7000 DM. Ebenfalls am ... 1984 schlossen die Gesellschafter der GbR B, K und der Kläger eine weitere Vereinbarung, in der es heißt: "Mit Vertrag vom ... 1984 hat B die stille Beteiligung an der GmbH vom Kläger erworben. Grundlage für die Kaufpreisfindung war die Umsatzliste 1983 der GmbH aus der sich ein Nettoumsatz von ... DM ergibt, der mit einem Durchschnittssatz von 128 % zu bewerten ist. Danach ergibt sich ein Praxiswert in Höhe von ... DM."
Nach einer beim Kläger durchgeführten Außenprüfung folgte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) der Auffassung des Prüfers, daß die Veräußerung der stillen Beteiligung durch den Kläger nach §20 Abs. 2 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerpflichtig sei, und erließ einen entsprechenden Änderungsbescheid gemäß §164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977). Im Einspruchsverfahren gewährte das FA darauf den ermäßigten Steuersatz nach §34 Abs. 2 EStG.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen und führt zur Begründung aus, die vertraglichen Regelungen im Jahre 1984 über den Verkauf der stillen Beteiligung stellten einen Gestaltungsmißbrauch i. S. des §42 AO 1977 dar, mit dem die Wirkungen des §17 EStG umgangen werden sollten. Entscheidend sei, ob die von den Beteiligten gewählte rechtliche Gestaltung einen vernünftigen wirtschaftlichen Zweck beinhalte. Daran fehle es.
Das FG hat die Revision nicht zugelassen.
Der Kläger hat gegen das lt. Postzustellungsurkunde am 16. Januar 1997 zugestellte Urteil des FG Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision eingelegt. Die Beschwerde ist am 18. Februar 1997 beim FG eingegangen. Der vorgelegte Briefumschlag, in dem sich der Schriftsatz des Klägervertreters vom 14. Februar 1997 befunden hat, enthält die zutreffende Anschrift, Postleitzahl und Postfachnummer des FG und wurde ausweislich des amtlichen Poststempels am 14. Februar 1997, 19.00 Uhr, beim Postamt abgestempelt. Nach Hinweis auf den verspäteten Eingang wurde Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt und eine eidesstattliche Versicherung über die Aufgabe zur Post vorgelegt.
Der Kläger stützt die Beschwerde auf Divergenz und mangelnde Sachverhaltsaufklärung.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die Beschwerde ist nicht schon deshalb unzulässig, weil die Beschwerdefrist von einem Monat (§115 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) versäumt worden ist; denn dem Kläger ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
1. Die Beschwerde ist nicht rechtzeitig eingelegt worden. Nach §115 Abs. 3 Satz 1 FGO muß die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils des FG eingelegt werden. Im Streitfall ist das FG- Urteil mit Postzustellungsurkunde am 16. Januar 1997 zugestellt worden; die Beschwerdefrist mithin am Montag, den 17. Februar 1997 (§54 FGO i. V. m. §222 Abs. 1, Abs. 2 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --, §§187, 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches -- BGB --), abgelaufen gewesen. Die Beschwerde ist erst am Dienstag, dem 18. Februar 1997, also nach Ablauf der Beschwerdefrist, beim FG eingegangen.
Dem Kläger ist wegen Versäumung dieser Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach §56 Abs. 1 FGO zu gewähren, weil er ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist gehindert war. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) dürfen Verzögerungen bei der Briefbeförderung oder -zustellung, die der Rechtsmittelführer nicht zu vertreten hat und auf die er keinen Einfluß besitzt, nicht als dessen Verschulden gewertet werden. Für die Postlaufzeit bei Inlandsbeförderungen kann der Bürger darauf vertrauen, daß die von der Deutschen Post AG nach ihren organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen für den Normalfall festgelegten Postlaufzeiten auch eingehalten werden (vgl. BVerfG-Beschluß vom 27. Februar 1992 1 BvR 1294/91, Steuerrechtsprechung in Karteiform -- StRK --, Finanzgerichtsordnung, §56, Rechtsspruch 394, m. w. N.; Zwischenurteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 7. Mai 1996 VIII R 60/95, BFH/NV 1997, 34).
Die Dauer einer Inlandsbeförderung ist nach den amtlichen Verlautbarungen der Deutschen Post AG und dem Erfahrungswissen der Gerichte grundsätzlich gerichtsbekannt (BFH-Beschluß vom 6. April 1995 VIII B 61/94, BFH/NV 1996, 137, 138). Ist eine Briefsendung so rechtzeitig bei der Post aufgegeben worden, daß sie bei regelmäßigem Dienstablauf den Empfänger fristgerecht erreichen müßte, ist dem Bürger das Überschreiten der üblichen Postlaufzeit nicht anzulasten (vgl. BFH-Beschluß vom 9. Januar 1990 VII B 127/89, BFH/NV 1990, 473, 474).
Nach diesen Grundsätzen ist dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist zu gewähren. Nach dem dem Senat vorliegenden Briefumschlag i. V. m. dem Poststempel ist glaubhaft, daß der Klägervertreter die Beschwerdeschrift beim Postamt am Freitag, dem 14. Februar 1997, 19.00 Uhr, aufgegeben hat. Er durfte entsprechend den von der Deutschen Post AG in jeder Filiale ausgehängten Übersichten über die Postlaufzeiten davon ausgehen, daß bei regelmäßigem Betriebsablauf die Sendung innerhalb von 24 Stunden und damit fristgerecht bis spätestens Montag, den 17. Februar 1997, beim Postamt in der gleichen Stadt anlangt und in das Postfach des FG eingelegt werden würde.
2. Die Beschwerde ist hinsichtlich der behaupteten Divergenz nicht begründet.
Die Rüge, das vorinstanzliche Urteil weiche von der Entscheidung des BFH vom 5. Februar 1992 I R 127/90 (BFHE 166, 356, BStBl II 1992, 532) ab, greift nicht durch. In dieser Entscheidung hat der BFH unter II. D. 5. a der Gründe die vom Kläger herausgestellten Rechtssätze aufgestellt, daß "der Mißbrauch i. S. des §42 AO 1977 eine zweckgerichtete Handlung zur Umgehung des Steuergesetzes erfordert. Die unangemessene rechtliche Gestaltung muß gewählt worden sein, um das Steuergesetz zu umgehen. Deshalb ist ggf. in jedem Einzelfall die Umgehungsabsicht festzustellen. Es kann dabei ein Indizienbeweis verwendet werden, wenn eine bestimmte Gestaltung gewählt wurde, die regelmäßig den Schluß auf eine bestimmte Umgehungsabsicht zuläßt".
Das FG ist in seinem Urteil von diesen Rechtsgrundsätzen nicht abgewichen. Vielmehr hat es -- was auch der Kläger ausdrücklich für notwendig hält -- erklärt, entscheidend sei, ob die von den Beteiligten gewählte rechtliche Gestaltung einen vernünftigen wirtschaftlichen Zweck beinhalte und nicht nur einzig und allein aus steuerlichen Beweggründen gewählt worden sei. Es hat im angefochtenen Urteil ausführlich zu allen Umständen und Vereinbarungen im Zusammenhang mit der Veräußerung der stillen Beteiligung Feststellungen getroffen und dazu Stellung genommen, daß eine Gesamtschau der zwischen den beteiligten Gesellschaftern im Streitjahr 1984 getroffenen Regelungen gerade keine wirtschaftlich vernünftigen Gründe dafür erkennen lasse, daß der Kläger für eine stille Beteiligung, deren Nominalwert -- unbestritten -- 0 DM betrage, ... DM vereinnahmen könne und daß die Bemessung des Kaufpreises nach den Umsatzzahlen und dem Praxiswert der GmbH nur den Schluß zulasse, daß der Kläger seine Vermögensbeteiligung an der GmbH habe übertragen wollen.
Nach diesen Erörterungen befindet sich das FG mit der Feststellung, "daß durch die Erfüllung des objektiven Tatbestandes durch den Kläger dessen Umgehungsabsicht bereits indiziert" sei, im Einklang mit der angezogenen BFH-Entscheidung. Im übrigen stellt das vorinstanzliche Urteil diese Absicht nochmals ausdrücklich fest, indem es erläutert, es sehe die Umgehungsabsicht auch darin, daß den an den Verträgen Beteiligten als fachkundigen Personen die steuerrechtliche Zielrichtung nicht nur bekannt war, sondern sie diese auch bewußt herbeiführen wollten. Schließlich sei die BFH- Rechtsprechung, wonach der Gewinn aus der Veräußerung einer stillen Beteiligung der privaten Vermögenssphäre zuzuordnen sei, seit der BFH-Entscheidung vom 11. Februar 1981 I R 98/76 (BFHE 133, 35, BStBl II 1981, 465) dem Kläger bekannt gewesen.
3. Die in der Beschwerdeschrift vorgetragene Verfahrensrüge rechtfertigt die Zulassung der Revision ebenfalls nicht.
Die Rüge, das FG habe seine Sachaufklärungspflicht verletzt (§76 FGO), ist nicht schlüssig erhoben. Bei der Prüfung, ob ein gerügter Verfahrensmangel vorliegt, hat das Revisionsgericht vom materiell-rechtlichen Standpunkt des FG auszugehen (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BFH-Urteil vom 7. Juli 1976 I R 218/74, BFHE 119, 274, BStBl II 1976, 621). Nach der im Urteil dargestellten Rechtsauffassung des FG hat der Kläger den Umgehungstatbetand dadurch erfüllt, daß er die Veräußerung einer werthaltigen GmbH-Beteiligung als Verkauf einer wertlosen stillen Beteiligung getarnt hat, um die einkommensteuerrechtlichen Folgen des §17 EStG zu vermeiden. Diese Auffassung stützt das FG insbesondere darauf, daß der Kläger keine Erklärung dafür habe geben können, wieso er für eine stille Beteiligung, deren Nominalwert 0 DM betragen habe, ... DM habe vereinnahmen können, und daß mit dem Veräußerungspreis in Wirklichkeit eine Abfindung für den inzwischen bei der GmbH erwirtschafteten Geschäftswert gezahlt worden sei. Angesichts dieser materiell-rechtlichen Auffassung des FG bedurfte es der Heranziehung der Bürgschaftsverträge mit den Ehefrauen der stillen Gesellschafter nicht. Denn die Bürgschaften haben nach den -- nicht mit schlüssigen Verfahrensrügen angegriffenen -- Feststellungen des FG die allein am Praxiswert der GmbH ausgerichtete Kaufpreisbemessung und die Kaufpreisabwicklung nicht beeinflußt.
Die Rüge, das FG habe seine nach §76 FGO bestehende Verpflichtung zur Sachaufklärung verletzt, weil es die Aufklärung der Hintergründe für das Eingehen der stillen Beteiligung, die durch Heranziehen der Bürgschaftsverträge offenbar geworden wäre, unterlassen habe, ist im übrigen auch deshalb nicht in zulässiger Weise erhoben, weil der Kläger nicht vorgetragen hat, daß sein Prozeßbevollmächtigter im finanzgerichtlichen Verfahren die Beiziehung der Bürgschaftsverträge beantragt hat, bzw. warum er diese nicht spätestens in der mündlichen Verhandlung von sich aus dem Gericht vorgelegt hat (vgl. dazu Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §115 Rz. 65 und §120 Rz. 40, m. w. N.).
Fundstellen