Leitsatz (amtlich)
1. Das Gericht hat im Rahmen des § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO nur darüber zu entscheiden, ob die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren notwendig war, und nicht, ob sie stattgefunden hat.
2. Für einen dahin gehenden Antrag besteht allerdings dann kein Rechtsschutzbedürfnis, wenn ganz offensichtlich ein Bevollmächtigter im Vorverfahren nicht zugezogen worden ist.
3. Für die im Kostenfestsetzungsverfahren zu treffende Entscheidung, ob ein Bevollmächtigter tatsächlich zugezogen worden ist, kommt es nicht darauf an, ob der Bevollmächtigte während des Vorverfahrens dem FA gegenüber selbst Erklärungen abgegeben hat.
Normenkette
FGO § 139 Abs. 3 S. 3; BRAGO § 118 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Nachdem das Finanzgericht (FG) mit Urteil vom 3. Mai 1973 dem Klageantrag der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) entsprochen und die Kosten des Verfahrens dem Beklagten und Beschwerdegegner (HZA) auferlegt hatte, beantragte die Klägerin, die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären. Zur Begründung trug sie vor, daß sie im Einspruchsverfahren einen Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung beauftragt und dies dem HZA schriftlich mitgeteilt habe. Das HZA habe daraufhin den Anwalt mit Schreiben vom 24. Juni 1968 aufgefordert, den Einspruch innerhalb von vier Wochen zu begründen. Es habe am 13. August 1968 über den Einspruch entschieden, bevor noch der Bevollmächtigte wegen fehlender Informationen den Einspruch habe begründen können.
Das FG wies den Antrag mit der Begründung zurück, daß der Bevollmächtigte während des Vorverfahrens nicht im Sinne des § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO "zugegen" gewesen sei, da er nicht erkennbar für die Klägerin aufgetreten sei.
Ihre dagegen eingelegte Beschwerde begründet die Klägerin damit, daß "Zuziehung" schon nach dem Wortsinn die Erteilung eines Mandats bedeute. Es könne nicht darauf ankommen, ob das Auftreten nach außen hin für das HZA erkennbar geworden sei. Das HZA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Es trägt vor, aus der Tatsache, daß es den Bevollmächtigten zur Vorlage der Einspruchsbegründung aufgefordert habe, könne keine Zuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren hergeleitet werden.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist, da der Wert des Beschwerdegegenstandes mehr als 50 DM beträgt (vgl. § 128 Abs. 3 FGO a. F.) zulässig. Sie ist auch begründet.
Zu den Kosten des Verfahrens, die nach dem Urteil des FG dem Beklagten zur Last fallen, gehören gemäß § 139 Abs. 1 FGO auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens. Grundsätzlich sind alle notwendigen Kosten des Vorverfahrens erstattungsfähig (Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, § 162, Anm. 12 mit weiteren Nachweisen). Lediglich die im Vorverfahren entstandenen Gebühren und Auslagen eines Bevollmächtigten sind gemäß § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO nur erstattungsfähig, "wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten oder Beistandes für das Vorverfahren für notwendig erklärt".
Das FG hat den Antrag der Klägerin, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären, mit der Begründung abgelehnt, daß der Bevollmächtigte während des Vorverfahrens nicht erkennbar für die Klägerin aufgetreten sei. Zur Frage, ob die Zuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig war, hat das FG nicht Stellung genommen. Bei seiner Entscheidung hat es sich auf den Beschluß des BFH vom 7. November 1969 III B 36/69 (BFHE 97, 338, BStBl II 1970, 123 ) bezogen. Nach dem Rechtssatz dieses Beschlusses kann die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren nur dann für notwendig erklärt werden, wenn dieser im Vorverfahren dem FA gegenüber erkennbar aufgetreten ist. In den Gründen hat der III. Senat unter Hinweis auf die §§ 240, 102 AO und § 164 BGB seine Auffassung näher dahin gehend konkretisiert, daß der Bevollmächtigte im Vorverfahren selbst Erklärungen im Namen des Vertretenen abgegeben haben müsse; andernfalls liege keine "Zuziehung" im Sinne des § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO vor.
Der erkennende Senat, der sich dem in dem Beschluß vom 17. September 1974 VII B 112/73 (BFHE 113, 409, BStBl II 1975, 196 ) angeschlossen hatte, hält nach erneuter Überprüfung diese Auffassung nicht mehr für zutreffend. Gegenstand der dem Gericht gemäß § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO obliegenden Entscheidung ist die Frage, ob die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren notwendig war, und nicht die davon getrennt zu prüfende und zu entscheidende weitere Frage, ob eine solche Zuziehung auch stattgefunden hat. Die Entscheidung darüber, ob die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren notwendig war, gehört, wie der Große Senat in seinem Beschluß GrS 5-7/66 vom 18. Juli 1967 (BFHE 90, 150, BStBl II 1968, 56 ) entschieden hat, sachlich nicht zur Kostenentscheidung im Klageverfahren, sondern zum Kostenfestsetzungsverfahren. Im Regelfalle ist es Sache des Urkundsbeamten des Gerichts des ersten Rechtszuges, auf Antrag zu prüfen, ob die von den Beteiligten geltend gemachten einzelnen Aufwendungen dem Grunde nach erstattungsfähig und ob sie in der geltend gemachten Höhe entstanden sind und zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren. Der Urkundsbeamte hätte gemäß § 139 Abs. 1 FGO auch die Frage der Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens in eigener Zuständigkeit prüfen müssen, wenn der Gesetzgeber in § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO diese Entscheidung nicht dem Gericht übertragen hätte. Aufgrund dieser gesetzlichen Regelung ist der Urkundsbeamte, wie der Große Senat ausgeführt hat, dieser Pflicht enthoben, weil der Gesetzgeber die Frage, ob die Zuziehung eines Bevollmächtigten oder Beistandes im Verwaltungsvorverfahren notwendig war, dem Gericht übertragen hat. Folgerichtig hat sich der Große Senat im folgenden mit den Kriterien befaßt, die für die Entscheidung, ob die Zuziehung notwendig war, maßgebend sind. Die weiteren Ausführungen des Großen Senats, daß die Gebühren und Auslagen durch den Ausspruch des Gerichts, die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren sei notwendig gewesen, kraft Gesetzes als dem Grunde nach erstattungsfähig festgestellt werden, betreffen deshalb nicht die Frage, ob die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren tatsächlich stattgefunden hat. Die Prüfung und Entscheidung der Frage, ob ein Bevollmächtigter im Vorverfahren tatsächlich zugezogen worden ist und ob bzw. in welcher Höhe Aufwendungen entstanden sind, ist Aufgabe des Urkundsbeamten des Gerichts.
Für einen Antrag gemäß § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären, besteht allerdings dann kein Rechtsschutzbedürfnis, wenn nach den vorliegenden Steuerakten und nach dem Vortrag des Antragstellers ganz offensichtlich ist, daß er im Vorverfahren einen Bevollmächtigten nicht zugezogen hat. Ein gleichwohl ergehender Beschluß des Gerichts ginge ins Leere (vgl. den Beschluß des Großen Senats vom 18. Juli 1967 GrS 8/66, BFHE 90, 156, BStBl II 1968, 59 ). So liegen die Dinge im Streitfalle aber nicht. Es ist unbestritten und ergibt sich aus den vorliegenden Akten, daß die Klägerin den Rechtsanwalt bevollmächtigt hat, sie im Einspruchsverfahren zu vertreten, und daß das HZA den Rechtsanwalt schriftlich aufgefordert hat, den von der Klägerin eingelegten Einspruch zu begründen. Die Klägerin hat daneben weiter unwidersprochen vorgetragen, daß ihr Bevollmächtigter sich vor Erlaß der Einspruchsentscheidung in dieser Angelegenheit mit mehreren Schreiben an den BdF gewandt und ausführliche Besprechungen mit mehreren Sachverständigen geführt habe. Diese zum Teil unbestrittenen Tatsachen sind grundsätzlich geeignet, den tatbestandlichen Begriff der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren zu erfüllen. Denn es kommt nach der Überzeugung des Senats für die Frage, ob ein Bevollmächtigter zugezogen worden ist, weder im gerichtlichen noch im Vorverfahren, das grundsätzlich durch § 139 Abs. 1 FGO dem gerichtlichen Verfahren gleichgestellt ist, darauf an, ob er dem FA gegenüber im Namen des Vertretenen selbst Erklärungen abgegeben hat. Entscheidend ist vielmehr, ob sich ein Beteiligter anläßlich des Vorverfahrens eines Bevollmächtigten bedient hat und aufgrund der Bevollmächtigung Gebühren und Auslagen ausgelöst worden sind. Wie bereits ausgeführt, gehören gemäß § 139 Abs. 1 FGO zu den Kosten auch die notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens. Hat das FG im Hinblick auf die Schwierigkeiten der aufgetretenen Rechtsfragen sowie der weiteren im Beschluß GrS 8/66 aufgeführten Kriterien und unter Anerkennung eines dahin gehenden Rechtsschutzbedürfnisses die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt und damit die Erstattungsfähigkeit von geltend gemachten Aufwendungen dem Grunde nach anerkannt, dann obliegt dem Urkundsbeamten des Gerichts lediglich noch die Prüfung und Feststellung, ob durch die Bevollmächtigung Gebühren und Auslagen entstanden sind, und wenn ja, in welcher Höhe. Das richtet sich bei Gebühren, die für das Vorverfahren geltend gemacht werden, nach § 118 BRAGebO. Da eine Geschäftsgebühr nach Abs. 1 Nr. 1 dieser Bestimmung im Verhältnis zwischen dem Auftraggeber und dem Bevollmächtigten bereits mit der ersten Information entsteht (vgl. Lauterbach/Hartmann, Kostengesetze, 17. Aufl., § 118 Anm. 2 BRAGebO; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/ Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 7. Aufl., § 139 FGO Anm. 27 a, aa), ist eine Gebühr schon in diesem Zeitpunkt entstanden und damit erstattungsfähig. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren im Sinne des § 139 Abs. 3 FGO liegt danach tatbestandlich schon dann vor, wenn der Steuerpflichtige im Rahmen eines auf eine Geschäftsbesorgung gerichteten Dienstvertrages (Lauterbach/Hartmann, a. a. O., Grundzüge 3) einen Rechtsanwalt bevollmächtigt, ihn im Vorverfahren zu vertreten und, wenn eine Gebühr gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGebO entstanden ist, wozu zwar die erste Information, nicht aber die bloße Einholung eines Rates oder einer Auskunft ausreicht. § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO stellt nach allem, was das Erfordernis der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren betrifft, keine über den Entstehungstatbestand von Gebühren gemäß § 118 Abs. 1 BRAGebO hinausgehenden weiteren tatbestandlichen Erfordernisse auf.
Auch eine wörtliche Auslegung der in Frage kommenden Bestimmung bestätigt das vom erkennenden Senat aus dem Zusammenhang des § 139 Abs. 1 und 3 FGO sowie des § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGebO hergeleitete Ergebnis, daß es für die Erstattungsfähigkeit der im Vorverfahren entstandenen Aufwendungen nicht darauf ankommt, ob der Bevollmächtigte im Namen des Vertretenen Erklärungen abgegeben hat. Der Begriff "Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren" stellt auf eine Handlung bzw. ein Tätigwerden des Steuerpflichtigen ab. Die Zuziehung kann nur darin bestehen, daß der Steuerpflichtige einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Steuerbevollmächtigten bevollmächtigt, ihn im Vorverfahren zu vertreten. Dabei verkennt der Senat nicht, daß der Bevollmächtigte in der Regel während des Vorverfahrens Erklärungen im Namen des Vertretenen abgeben wird. Kommt es in Ausnahmefällen aber nicht dazu (z. B. weil die Einspruchsentscheidung innerhalb kurzer Zeit seit der Bevollmächtigung ergeht), so liegt gleichwohl eine Zuziehung vor, wenn eine Gebühr gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGebO entstanden ist. Dem zitierten Beschluß GrS 8/66 kann nicht entnommen werden, daß der für das Vorverfahren zugezogene Bevollmächtigte im Hinblick auf die Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen im Vorverfahren selbst Erklärungen abgegeben haben müßte. Der Große Senat hat lediglich in einem für die Entscheidung nicht maßgeblichen Nebensatz erwähnt, daß der Bevollmächtigte dem FA gegenüber auch wirklich aufgetreten sein müsse. Der Große Senat wollte damit offenbar nur zum Ausdruck bringen, daß eine Kostenerstattung (und die Erklärung, daß die Zuziehung eines Bevollmächtigten erforderlich gewesen sei) nur dann in Frage komme, wenn der Bevollmächtigte für den Beteiligten gehandelt hat, ohne daß der Große Senat näher darauf eingegangen ist und einzugehen brauchte, wann im Einzelfalle ein solches Gebühren auslösendes Handeln vorliegt.
Das FG hat im angefochtenen Beschluß in Verkennung der Rechtslage nicht darüber entschieden, ob die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren im Hinblick auf die Schwierigkeiten der Sach- und Rechtslage notwendig war, sondern ausschließlich darüber, ob eine solche Zuziehung stattgefunden hat. Das ist nach den vorstehenden Ausführungen zu beanstanden. Der Beschluß war danach aufzuheben. Der erkennende Senat kommt zu dem Ergebnis, daß das zwischen den Beteiligten anhängige Verfahren schwierige Sach- und Rechtsfragen aufwarf, die sachkundigen Rat unentbehrlich machten und daß im Hinblick auf die dem Rechtsanwalt erteilte Vollmacht sowie die von ihm nach dem Vortrag der Klägerin an den BdF gerichteten Schriftsätze ein Rechtsschutzinteresse an dem bisher abgelehnten Antrag besteht. Er hält deshalb die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für erforderlich. Die weiteren Feststellungen obliegen nach der dargelegten Rechtsauffassung des Senats dem Urkundsbeamten des Gerichts im Rahmen der Kostenfestsetzung.
Der III. Senat des BFH hat auf Anfrage erklärt, daß er an der im Beschluß vom 7. November 1969 III B 36/69 vertretenen Rechtsauffassung, daß die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren nur dann für notwendig erklärt werden kann, wenn dieser im Vorverfahren dem FA gegenüber erkennbar aufgetreten ist, nicht festhält.
Fundstellen
Haufe-Index 71628 |
BStBl II 1976, 568 |
BFHE 1977, 5 |