Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung
Leitsatz (NV)
Wird im Falle der Versäumnis einer gesetzlichen Frist (hier: Revisionsfrist) vorgetragen, daß das fristwahrende Schriftstück rechtzeitig abgesandt worden sei, so genügt dies den Anforderungen an einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach §56 Abs. 2 FGO nur, wenn neben der lückenlosen und schlüssigen Darstellung des Absendevorgangs dieser durch die Vorlage präsenter Beweismittel, die mit hinreichender Sicherheit den Schluß auf die Richtigkeit des zur Entschuldigung Vorgetragenen zulassen, glaubhaft gemacht wird.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 2
Tatbestand
Der erkennende Senat hat mit Beschluß vom 3. Januar 1996 auf die Beschwerde des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) die Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts (FG) zugelassen. Die hierdurch in Lauf gesetzte Revisionsfrist endete am 29. Februar 1996 (§§120 Abs. 1 Satz 1, 115 Abs. 5 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Die Revision des Klägers ist beim FG am 13. Mai 1996 eingegangen, nachdem der Senat mit Beschluß vom 27. März 1996 die Kosten des Beschwerdeverfahrens VIII B 33/95 dem Kläger auferlegt hatte.
Zur Begründung ihres mit der Revision verbundenen Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand haben die Prozeßbevollmächtigten des Klägers -- die Rechtsanwälte A und B -- vorgetragen, daß Rechtsanwalt A bereits unter dem Datum des 19. Februar 1996 einen Revisionsschriftsatz diktiert habe. Dieser sei von seiner Sekretärin -- Frau C -- geschrieben und von Rechtsanwalt B unterzeichnet worden. Der daraufhin versandte Schriftsatz sei beim FG jedoch nicht eingetroffen. Der am 13. Mai 1996 erhobenen Revision wurden neben einer Kopie des Schriftsatzes vom 19. Februar 1996 eidesstattliche Versicherungen sowohl des Rechtsanwalts B als auch der Sekretärin, Frau C, beigefügt.
Rechtsanwalt B versicherte an Eides Statt u. a.:
"In Abwesenheit des Kollegen A habe ich dessen Post, wie allgemein üblich, unterzeichnet. Nach meiner Recherche war hierbei auch der ... Revisionsschriftsatz vom 19. 02. 1996 betroffen. Die abgespeicherten Schriftsätze werden geordnet nach Kalendertag ... in der EDV-Anlage gespeichert. Hier ist zu erkennen und nachzuvollziehen, wann ein Schriftsatz gefertigt wurde. Sämtliche Schriftsätze, die an einem Arbeitstag ausgefertigt werden(,) gelangen auch am gleichen Tag in den Postversand. Rücksendungen werden unverzüglich vorgelegt.
Ich kann daher bestätigen, daß der am 19. 02 1996 gefertigte Revisionsschriftsatz von mir unterzeichnet wurde und nicht in den Rücklauf geriet. Nach weiterer Recherche kann ich mitteilen, daß die von mir unterzeichnete Ausfertigung durch die Sekretärin des Kollegen A, Frau C, persönlich versandt wurde. Die Besonderheit und Sicherheit dieser Feststellung ergibt sich aus dem Umstand, daß am 19. 02. 1996 lediglich eine sogenannte Notbesetzung in der Kanzlei vorhanden war, aufgrund der bevorstehenden Faschingstage."
Frau C versicherte in ihrer eidesstattlichen Erklärung, daß sie den Revisionsschriftsatz des Rechtsanwalts A vom 19. Februar 1996 Rechtsanwalt B zur Unterschrift vorgelegt und im Anschluß hieran "den Schriftsatz couvertiert und mit einem Freistempler frankiert, danach zum Postversand gegeben (habe)".
In seiner Stellungnahme hat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) u. a. darauf hingewiesen, daß anhand der Versicherung von Frau C nicht deutlich werde, von wem und zu welchem Zeitpunkt der Revisionsschriftsatz in den Briefkasten eingeworfen worden sei. Der Kläger hat hierauf erwidert, daß die eidesstattliche Versicherung von Frau C den Vortrag des Rechtsanwalts A, die Sekretärin habe den Schriftsatz "persönlich versandt", bestätige.
Der Kläger beantragt sinngemäß, ihm im Hinblick auf die Revisionsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig. Sie wurde beim FG am 13. Mai 1996 und damit nach Ablauf der Revisionsfrist (29. Februar 1996) eingelegt. Die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§56 FGO) liegen nicht vor, da der Kläger nicht glaubhaft gemacht hat, ohne Verschulden an der Wahrung dieser Frist gehindert gewesen zu sein.
1. Zuzustimmen ist dem Kläger allerdings insoweit, als nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) eine Wiedereinsetzung auch in Betracht kommen kann, wenn -- wovon nach dem Vortrag des Klägers auszugehen ist -- die Büroorganisation des mit der Vertretung beauftragten Prozeßbevollmächtigten zwar nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Fristen- und Ausgangskontrolle genügt, dieser Mangel jedoch für die Fristversäumnis nicht ursächlich ist (vgl. hierzu BFH- Urteil vom 7. Dezember 1988 X R 80/87, BFHE 155, 275, BStBl II 1989, 266, m. w. N.). Demgemäß hat der BFH eine i. S. von §56 FGO unverschuldete Versäumnis nicht nur im Falle der wirksamen Kontrolle des Postausgangs aufgrund einer im Einzelfall erteilten ausdrücklichen und eindeutigen Weisung (BFH-Urteil in BFHE 155, 275, BStBl II 1989, 266), sondern auch dann angenommen, wenn nach dem glaubhaft gemachten Tatsachenvortrag mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, daß das Schriftstück nicht nur rechtzeitig bearbeitet, sondern auch rechtzeitig abgesandt worden ist (BFH-Beschluß vom 24. März 1995 VIII B 62/94, BFH/NV 1995, 1069). Dies erfordert -- innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist (§56 Abs. 2 FGO) -- allerdings nicht nur die schlüssige und damit lückenlose Schilderung, welche Person, zu welcher Zeit (Uhrzeit), in welcher Weise (Einwurf in einen bestimmten Briefkasten oder Abgabe bei einem bestimmten Postamt) den Brief aufgegeben hat (BFH-Beschlüsse vom 19. Juni 1996 I R 13/96, BFH/NV 1997, 120; vom 26. November 1993 VIII R 53/93, BFH/NV 1994, 644; vom 24. Juli 1989 III R 83/88, BFH/NV 1990, 248); vielmehr bedarf es neben einer dergestalt konkreten Darstellung des Sachverhalts auch der Glaubhaftmachung, d. h. der Vorlage präsenter Beweismittel, die -- mit hinreichender Sicherheit -- den Schluß auf die Richtigkeit des zur Entschuldigung Vorgetragenen zulassen. Hierzu gehören zwar neben Kopien der Fristen- oder Postausgangsbücher grundsätzlich auch eidesstattliche Versicherungen (Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §56 Rz. 52). Jedoch können Erklärungen dieser Art regelmäßig nur dann den für eine Glaubhaftmachung erforderlichen Beweiswert erlangen, wenn sie von unmittelbar an dem Vorgang der Absendung des Schriftstücks beteiligten Personen abgegeben werden (BFH-Beschluß in BFH/NV 1994, 644); zudem kann es erforderlich sein, dem Gericht weitere präsente Beweismittel vorzulegen (Senatsbeschlüsse vom 25. April 1995 VIII R 86/94, BFH/NV 1995, 1002; vom 31. Januar 1996 VIII B 102--103/94, VIII R 30--31/94, BFH/NV 1996, 566).
2. a) Im Streitfall bestehen bereits Zweifel, ob die Ausführungen der Prozeßvertreter, deren Verschulden sich der Kläger zurechnen lassen muß (§155 FGO i. V. m. §85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --), den dargelegten Anforderungen an einen hinreichend konkreten Vortrag zur Entschuldigung der Fristversäumnis genügen. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf den nicht näher substantiierten Vortrag, daß die unter einem bestimmten Datum gespeicherten Schriftstücke an diesem Tage in den Postversand gelangen, sondern auch bezüglich der Frage, ob Frau C -- die Sekretärin des Rechtsanwalts A -- den Revisionsschriftsatz selbst bei der Post aufgegeben hat (s. hierzu nachfolgend unter Abschn. 2 b der Gründe); ohne weitere Erläuterung sind zudem auch die Ausführungen in der eidesstattlichen Versicherung des Rechtsanwalts B nicht nachvollziehbar, denen zufolge die "Notbesetzung in der Kanzlei ... aufgrund der bevorstehenden Faschingstage" mit Sicherheit den Schluß zulasse, daß der Schriftsatz von Frau C "persönlich versandt" worden sei.
b) Der Senat braucht hierzu jedoch nicht abschließend Stellung zu nehmen, da nach den vorgelegten Beweismitteln nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, daß der Revisionsschriftsatz tatsächlich abgesandt wurde. Denn die Behauptung der Prozeßvertreter, Frau C habe den Revisionsschriftsatz "persönlich versandt", wird durch deren eidesstattliche Versicherung nicht getragen. Die Erklärung von Frau C, sie habe den Schriftsatz "couvertiert und mit Freistempler frankiert, danach zum Postversand gegeben" deutet -- entsprechend dem allgemeinen Sprachgebrauch und mangels nachprüfbarer Erläuterungen für einen hiervon abweichenden Erklärungsinhalt -- darauf hin, daß Frau C das Schriftstück nicht selbst zur Post gebracht oder in einen Briefkasten eingeworfen hat, sondern eine weitere, nicht näher bezeichnete Stelle für den (zentralisierten) Postversand im Büro der Prozeßvertreter zuständig war. Für dieses Verständnis spricht vorliegend zudem der Umstand, daß -- obwohl das FA in seiner Stellungnahme zum Wiedereinsetzungsbegehren des Klägers auf diese naheliegende Auslegung der eidesstattlichen Versicherung von Frau C hingewiesen hat -- die Prozeßbevollmächtigten in ihrer Erwiderung lediglich ihre bisherige Behauptung zum persönlichen Versand des Schriftstücks wiederholt haben, ohne diese jedoch durch eine ergänzende Erklärung von Frau C zu untermauern (zur Zulässigkeit der Glaubhaftmachung sowie der Ergänzung und Vervollständigung des Vortrags nach Ablauf der Antragsfrist vgl. Gräber/Koch, a. a. O., §56 Rz. 50 f., m. w. N.). Bieten somit weder die eidesstattliche Versicherung von Frau C noch die weiteren Erklärungen und vorgelegten Beweismittel einen hinreichend sicheren Anhalt dafür, wer die Revisionsschrift, zu welchem Zeitpunkt und an welcher Stelle tatsächlich zur Post gegeben hat, so kann auch der Vortrag des Klägers, der Schriftsatz sei rechtzeitig versandt worden, nicht als glaubhaft -- d. h., als mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zur Überzeugung des Senats feststehend -- angesehen werden (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1994, 644, und in BFH/NV 1995, 1002).
3. Die Sache ist entscheidungsreif. Zwar kann der Vorsitzende auch in Fragen der Wiedereinsetzung nach §76 Abs. 2 FGO verpflichtet sein, auf die Ergänzung ungenügender tatsächlicher Angaben hinzuwirken (vgl. Beschluß des erkennenden Senats vom 21. Februar 1995 VIII R 76/93, BFH/NV 1995, 989, unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs -- BGH -- zu §139 Abs. 1 ZPO). Eine solche Hinweispflicht entfällt jedoch nach dem Urteil des BGH vom 2. Oktober 1979 VI ZR 245/78 (Deutsche Richterzeitung 1980, 270), wenn in einem Anwaltsprozeß der Prozeßgegner bereits auf die Mängel des Vortrags hingewiesen hat (insoweit nicht veröffentlicht). Der BFH hat bisher noch nicht dazu Stellung genommen, ob eine solche Verpflichtung des Vorsitzenden auch im Hinblick auf die Vorlage präsenter Beweismittel und deren Beweiskraft besteht. Bedenken bestehen hiergegen insofern, als es grundsätzlich Sache des betroffenen Beteiligten ist, die für die Wiedereinsetzung maßgebenden Tatsachen glaubhaft zu machen (BFH-Urteil vom 20. November 1987 III R 208/84, BFH/NV 1989, 370; Gräber/Koch, a. a. O., §56 Rz. 53, m w. N.; zur Hinweispflicht des Gerichts in Fragen der Glaubwürdigkeit von Aussagen vgl. BFH-Beschluß vom 3. Dezember 1996 I B 8, 9/96, BFH/NV 1997, 580). Diesen Bedenken ist vorliegend jedoch nicht nachzugehen; denn selbst dann, wenn eine solche Verpflichtung grundsätzlich zu bejahen sein sollte, würde sie in Übereinstimmung mit der zitierten Rechtsprechung des BGH jedenfalls dann entfallen, wenn -- wie im anhängigen Revisionsverfahren -- der Prozeßgegner substantiiert rügt, daß der Vortrag des Revisionsführers die Umstände der Absendung einer Revisionsschrift nicht mit präsenten Beweismitteln glaubhaft belege.
Fundstellen
Haufe-Index 67474 |
BFH/NV 1998, 1242 |