Entscheidungsstichwort (Thema)

Kostenentscheidung nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen im Beschwerdeverfahren

 

Leitsatz (NV)

1. Zur Zulässigkeit der Beschwerde gegen die Ablehnung eines Antrages auf einstweilige Anordnung, mit der geltend gemacht wird, daß sich der Rechtsstreit nach Zustellung der Vorentscheidung erledigt hat.

2. Zur Ausübung des Ermessens bei der Kostenentscheidung nach § 138 Abs. 1 FGO, wenn der Ausgang des Rechtsstreits infolge tatsächlicher Unklarheiten oder schwieriger Rechtsfragen ungewiß ist.

3. Zur eigenverantwortlichen Führung einer Steuerberatungsgesellschaft von Steuerberatern und zum Nachweis der Eigenverantwortlichkeit in Fällen, in denen auf der Kapitalseite der Steuerberatungsgesellschaft eine Gesellschaft steht, deren Aufgabe die Betreuung der Mitglieder eines Verbandes ist.

 

Normenkette

FGO § 128 Abs. 1, § 138 Abs. 1, § 145 Abs. 1; BFHEntlG Art. 1 Nr. 4; StBerG § 32 Abs. 3 S. 2

 

Tatbestand

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Beschwerdeführerin) beantragte beim Finanzgericht (FG), dem Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzminister) im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, die X-Steuerberatungsgesellschaft mbH (Steuerberatungsgesellschaft) bis zum Abschluß des Hauptverfahrens nicht als Steuerberatungsgesellschaft anzuerkennen.

Zur Begründung des Antrags führte sie folgendes aus: Die A-Gesellschaft, eine Einrichtung des B-Verbandes, habe gemeinsam mit dem Steuerberater X die Steuerberatungsgesellschaft gegründet, an deren Stammkapital sie mit 74 % und X mit 26 % beteiligt sei. Die Steuerberatungsgesellschaft sei bereits in das Handelsregister eingetragen worden. Sie sei wirtschaftlich, organisatorisch und personell eng mit der A-Gesellschaft und dem B-Verband verflochten. Das begründe die Gefahr einer unzulässigen Fremdbeeinflussung und werde auch zwangsläufig Verstöße gegen das Wettbewerbsverbot zur Folge haben. Der B-Verband sei seinen Mitgliedern gegenüber in beschränktem Umfang zur Hilfeleistung in Steuersachen befugt und dürfe diese Befugnis nicht durch Gründung einer Steuerberatungsgesellschaft erweitern.

Das FG lehnte den Antrag auf einstweilige Anordnung durch Beschluß vom 30. September 1985, zugestellt am 2. und 3. Oktober 1985, ab. Die Beschwerdeführerin legte mit Schriftsatz vom 16. Oktober 1985 Beschwerde ein, die sie wie folgt begründet:

Das Verfahren habe sich in der Hauptsache dadurch erledigt, daß der Finanzminister durch Urkunde vom 9. Oktober 1985 die Steuerberatungsgesellschaft anerkannt habe. Damit sei für eine einstweilige Anordnung kein Raum mehr. Die Kosten des Verfahrens seien dem Finanzminister aufzuerlegen, weil der Antrag auf einstweilige Anordnung begründet gewesen sei.

Die Beschwerdeführerin beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses die Kosten des in der Hauptsache erledigten Verfahrens dem Finanzminister aufzuerlegen.

Der Finanzminister beantragt, die Kosten des in der Hauptsache erledigten Rechtsstreits der Beschwerdeführerin aufzuerlegen.

 

Entscheidungsgründe

1. Nachdem die Beteiligten übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist nur noch über die Auferlegung der Kosten zu entscheiden.

Es braucht nicht entschieden zu werden, welche Entscheidung aufgrund der übereinstimmenden Erledigungserklärungen zu treffen wäre, wenn die Beschwerde von Anfang an unzulässig wäre (vgl. dazu Beschluß des erkennenden Senats vom 26. Januar 1971 VII B 137/69, BFHE 101, 209, BStBl II 1971, 306). Denn die Beschwerde ist zulässig.

a) Der Zulässigkeit der Beschwerde steht nicht das Fehlen einer Beschwer entgegen. Die Beschwer ist schon deshalb gegeben, weil die angefochtene Entscheidung hinter dem in der Vorinstanz geltend gemachten Begehren zurückgeblieben ist (sog. formelle Beschwer; vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 44. Aufl., Grundzüge vor § 511 Anm. 3 A a).

b) Die Beschwerde ist auch nicht nach Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) unzulässig. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind schon deshalb nicht erfüllt, weil die angefochtene Entscheidung nicht nur die Kosten der Vorinstanz betrifft. Zwar ist aufgrund der Beschwerde nur noch eine Kostenentscheidung zu treffen, da die Beteiligten übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben. Das reicht aber für eine Anwendung des Art. 1 Nr. 4 BFHEntlG nicht aus.

c) Auch § 145 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) steht der Zulässigkeit der Beschwerde nicht entgegen. Der Beschwerde kann nicht entnommen werden, daß sie nur gegen die Entscheidung über den Kostenpunkt gerichtet worden ist. Sie richtet sich vielmehr auch gegen die Ablehnung der einstweiligen Anordnung und damit gegen die Entscheidung zur Hauptsache. Die Beschwerdeführerin hat lediglich das Beschwerdebegehren der veränderten prozessualen Lage angepaßt, die nach ihrer Auffassung durch die Anerkennung als Steuerberatungsgesellschaft hinsichtlich ihres Begehrens zur Hauptsache in der Vorinstanz eingetreten war. Darin ist nicht eine Beschränkung der Anfechtung auf die Entscheidung über den Kostenpunkt zu erblicken (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 143 Anm. 3). Das wird auch dadurch bestätigt, daß aufgrund der Beschwerde über die Frage der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache zu entscheiden gewesen wäre, wenn der Finanzminister eine Erledigungserklärung nicht abgegeben hätte (Urteil des erkennenden Senats vom 19. Januar 1971 VII R 32/69, BFHE 101, 201, BStBl II 1971, 307).

2. Über die Auferlegung der Kosten ist nach § 138 FGO zu entscheiden. Unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes entspricht es billigem Ermessen, den Beteiligten die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte aufzuerlegen.

Zur Ausübung des Ermessens nach § 138 Abs. 1 FGO ist grundsätzlich nicht eine weitere Aufklärung oder eine eingehende und abschließende Prüfung der Rechtslage erforderlich. Ist nach dem bisherigen Sach- und Streitstand infolge tatsächlicher Unklarheiten oder schwieriger Rechtsfragen ungewiß, welchen Ausgang der Rechtsstreit genommen hätte, sofern er sich nicht in der Hauptsache erledigt hätte, ist es in der Regel gerechtfertigt, die Kosten den Beteiligten zu gleichen Teilen aufzuerlegen (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. Februar 1968 I B 56/67, BFHE 91, 521, BStBl II 1968, 414, und vom 1. April 1971 I B 37, 39/70, BFHE 102, 30, BStBl II 1971, 529). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.

Die Beschwerdeführerin hat zur Begründung ihres Antrags auf einstweilige Anordnung zutreffend darauf hingewiesen, daß die Anerkennung der Steuerberatungsgesellschaft von dem Nachweis abhängig war, die Gesellschaft werde von Steuerberatern verantwortlich geführt (§ 32 Abs. 3 Satz 2 des Steuerberatungsgesetzes - StBerG -), und daß die Anerkennung zu versagen gewesen wäre, wenn dieser Nachweis nicht erbracht worden ist. Zur Begründung eines Anordnungsanspruchs hätte danach im Streitfall ausgereicht, daß das Fehlen des Nachweises glaubhaft gemacht war.

Zur eigenverantwortlichen Führung einer Steuerberatungsgesellschaft von Steuerberatern ist nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Urteil vom 26. März 1981 VII R 14/78, BFHE 133, 322, 328, BStBl II 1981, 586) erforderlich, daß die in der Steuerberatungsgesellschaft zusammengeschlossenen Steuerberater die Befugnisse der Steuerberatungsgesellschaft zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen für die Gesellschaft nach den Grundsätzen eines freien Steuerberaters ausüben, also unabhängig und weisungsfrei, d. h. ohne Bindung an Weisungen eines nach dem Gesellschaftsrecht zur Überwachung der Geschäftsführung befugten Organs. Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 26. März 1981 weiter ausgeführt, daß jedenfalls die steuerberatende Tätigkeit frei von fremden Einflüssen und insbesondere von Einflußnahmen der berufsfremden Kapitalseite der Steuerberatungsgesellschaft sein muß und daß zur steuerberatenden Tätigkeit auch die Bestimmung der Art und Weise sowie des Umfangs der steuerberatenden Aktivitäten, z. B. Auswahl der Mandanten, gehören.

Zum Nachweis der Eigenverantwortlichkeit bei der steuerberatenden Tätigkeit ist nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats in der genannten Entscheidung erforderlich, daß derjenige, der die Anerkennung beantragt hat, der für die Anerkennung zuständigen Behörde Tatsachen und Beweismittel dafür angibt, daß die mit der Leitung der Gesellschaft betrauten Steuerberater bei ihrer geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen im Dienst der Gesellschaft so unabhängig und weisungsfrei sind wie freie Steuerberater und daß an den Nachweis in diesem Sinne in dem Maße erhöhte Anforderungen zu stellen sind, wie durch die Beherrschung der Gesellschaft durch Berufsfremde von vornherein die Gefahr besteht, daß diese auf die Tätigkeit der im Dienste der Gesellschaft stehenden Steuerberater Einfluß nehmen können.

Aus den bisherigen Ausführungen der Beschwerdeführerin zur Begründung ihres Antrags auf einstweilige Anordnung ergeben sich Anhaltspunkte, die zumindest Bedenken dagegen rechtfertigen, es sei der Nachweis erbracht, daß die steuerberatende Tätigkeit im Dienste der Steuerberatungsgesellschaft eigenverantwortlich, d. h. unabhängig und weisungsfrei im vorgenannten Sinne, durchgeführt werde. Die Bedenken dagegen ergeben sich daraus, daß nach den Darlegungen der Beschwerdeführerin auf der Kapitalseite der Steuerberatungsgesellschaft eine Gesellschaft steht, deren Aufgabe die Betreuung der Mitglieder des Verbandes ist. Das wird auch durch ein - bei den Akten befindliches - Schreiben des Steuerberaters X an den Finanzminister bestätigt, in dem ausgeführt ist, die A-Gesellschaft habe über viele Jahre einer Anzahl Klein- und Kleinstfirmen in ihrer bedrängten Wettbewerbslage geholfen, wie es einem Freiberufler nicht möglich sei. In der Fortsetzung dieser Hilfestellung sehe die Gesellschaft den Schwerpunkt ihrer Arbeit, da ihre Mandantschaft sonst zum Teil wahrscheinlich überhaupt keine qualifizierte Betreuung und Beratung finden werde, weil sie diese nicht bezahlen könne. Eine Versagung der Anerkennung werde das Ende der bewährten Einrichtung bedeuten. Diese Ausführungen sowie die Darlegungen der Beschwerdeführerin sprechen dafür, daß die Steuerberatungsgesellschaft zumindest vorwiegend die Betreuung der Mitglieder des Verbandes in steuerlichen Angelegenheiten übernehmen soll. Daraus ergeben sich deshalb Bedenken dagegen, daß die steuerberatende Tätigkeit von den Steuerberatern im Dienste der Steuerberatungsgesellschaft eigenverantwortlich wahrgenommen werden kann, weil die aufgezeigten Darlegungen Anhaltspunkte dafür enthalten, daß die Steuerberatungsgesellschaft in der Auswahl ihrer Mandanten nicht frei sein wird.

Der bisherige Sach- und Streitstand ermöglicht es allerdings nicht über diese Frage abschließend zu entscheiden. Das erscheint dem Senat schon deshalb nicht möglich, weil er die Frage noch nicht für hinreichend geklärt hält, welche Anforderungen an den Nachweis der für die Eigenverantwortlichkeit im Einzelfall maßgebenden Umstände zu stellen sind. Eine Klärung dieser Frage im Rahmen einer isolierten Kostenentscheidung kann nicht erwartet werden.

Die Fragen, ob Verstöße gegen das Werbungsverbot oder die Gefahr, daß der Verband seine Befugnisse zur beschränkten Hilfeleistung in Steuersachen überschreitet, eine vorläufige Versagung der Anerkennung gerechtfertigt hätte, sind zumindest als schwierige Rechtsfragen anzuerkennen, über die im Rahmen einer Kostenentscheidung nach § 138 FGO nicht abschließend entschieden zu werden braucht.

Eine abschließende Entscheidung über das Vorliegen eines Anordnungsgrundes erscheint dem Senat schon deshalb nicht möglich, weil er aufgrund des bisherigen Sach- und Streitstandes Zweifel hat, daß die Auswirkungen der Anerkennung zum Nachteil der Beschwerdeführerin klar zu erkennen waren. Dabei stellt sich dem Senat auch die Frage, ob die Entscheidung über den Anordnungsgrund davon abhängig gewesen wäre, in welchem Maße Zweifel an dem Nachweis der Eigenverantwortlichkeit bestehen. Es erscheint dem Senat aber nicht gerechtfertigt, diese Frage im Rahmen einer Kostenentscheidung zu klären.

3. Die eingetretene Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache bewirkt, daß die Vorentscheidung wirkungslos geworden ist. Eines besonderen Ausspruchs darüber bedarf es nicht (vgl. Beschluß des BFH vom 8. August 1974 IV R 131/73, BFHE 113, 175, BStBl II 1974, 749).

 

Fundstellen

Haufe-Index 414793

BFH/NV 1987, 596

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