Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit
Leitsatz (NV)
Die Meinungsäußerung eines Richters gegenüber einer Partei über die Erfolgsaussichten einer Klage kann die Besorgnis der Befangenheit des Richters rechtfertigen, wenn zu befürchten ist, daß er sich eine abschließende Meinung gebildet hat.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1 S. 1; ZPO § 42 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) beantragten im Streitjahr 1983 u. a., Aufwendungen für die Beseitigung eines Wasserschadens von 2 470 DM gemäß § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und Zuwendungen an Angehörige in der DDR von 10 161,94 DM gemäß § 33 a EStG als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen. In dem Betrag von 10 161,94 DM sind die auf die Tochter der Kläger und deren Familie entfallenden Aufwendungen, die anläßlich eines gemeinsamen Urlaubs mit den Klägern erwachsen sind, ebenso enthalten wie Aufwendungen z. B. für Armbanduhren, Liegen, einen Fotoapparat, Fliesenkreuze, eine Kaffee- bzw. Küchenmaschine, Kristallgläser und eine WC-Garnitur.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) berücksichtigte 6 763,21 DM gemäß § 33 a EStG als außergewöhnliche Belastung und lehnte auch im Einspruchsverfahren hinsichtlich des Wasserschadens, der Erholungsreise und der angeführten Sachaufwendungen die Anerkennung als außergewöhnliche Belastung ab.
Im Klageverfahren richtete der Berichterstatter am 5. November 1985 ein Schreiben mit folgendem Wortlaut an die Kläger:
,,. . . werden Sie gebeten, Ihren Rechtsstandpunkt nochmals zu überprüfen.
Vorsorglich weise ich darauf hin, daß im Rahmen des § 96 Finanzgerichtsordnung die Überprüfung der Steuerfestsetzung nicht auf einzelne Punkte beschränkt werden kann, sondern daß ggf. auch zu prüfen ist, ob die vom Finanzamt anerkannten Beträge zu Recht gewährt worden sind. Soweit das Finanzamt Sendungen in die DDR steuerlich nicht berücksichtigt hat, ist dies nach Aktenlage m. E. nicht zu beanstanden. Auch die Aufwendungen für die Erholungsreise nach Ungarn können m. E. steuerlich nicht berücksichtigt werden. Soweit die Finanzverwaltung in früheren Veranlagungszeiträumen in vergleichbaren Fällen eine andere Auffassung vertreten haben sollte, berührt dies die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung für 1983 nicht. Sollten Sie Ihre entgegenstehende Rechtsauffassung beibehalten, werden Sie vorsorglich gebeten, im einzelnen darzulegen, in welchem Verhältnis (Verwandtschaftsgrad) Sie zum jeweiligen Empfänger der Sendung stehen und wann Sie die Sendung abgeschickt oder übergeben haben. Die Einkaufsbelege für die Waren bitte ich vorzulegen. Zugleich bitte ich darzulegen, welche Einkünfte die unterstützte Person in der DDR bezieht und von wem sie ggf. weitere Unterstützungen erhält. Die Höhe der Einkünfte und ggf. der weiteren Unterstützungen bitte ich, von den unterstützten Personen bestätigen zu lassen.
Soweit Sie Aufwendungen infolge des Wasserschadens geltend machen wollen, werden Sie gebeten, unter Beweis zu stellen, daß die geltend gemachten Aufwendungen tatsächlich durch den Wasserschaden entstanden sind. . . .
Um Stellungnahme und - falls die Klage ganz oder teilweise durchgeführt werden soll - um Vorlage der angeforderten Unterlagen bis zum 25. Januar 1986 wird gebeten."
Mit Schreiben vom 25. November 1985 erklärten die Kläger, daß sie die Anerkennung der Aufwendungen infolge des Wasserschadens nicht mehr weiter verfolgen würden. In demselben Schreiben lehnten die Kläger den Berichterstatter wegen Besorgnis der Befangenheit ab und führten zur Begründung aus, die Mitteilung des Berichterstatters vom 5. November 1985 gebe Anlaß zu der Besorgnis, daß der Berichterstatter seine Meinung bereits abschließend gebildet habe. Sie hätten den Eindruck, daß sie durch die Anforderung von Unterlagen, die sie unter keinen Umständen in der gewünschten Form erbringen könnten, hätten eingeschüchtert werden sollen, um den Rechtsstreit durch Klagerücknahme zu beenden. Es sei auf die Verwaltungsauffassung (vgl. Koordinierter Ländererlaß vom 1. April 1985, BStBl I 1985, 202) und die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (vgl. Urteil vom 25. März 1983 VI R 275/80, BFHE 138, 343, BStBl II 1983, 453) hinzuweisen, wonach die Bedürftigkeit der DDR-Bewohner zu unterstellen sei.
Zu dem Ablehnungsgesuch hat sich der Berichterstatter dienstlich geäußert und ausgeführt, daß er sich nicht befangen fühle.
Das FG hat das Ablehnungsgesuch mit Beschluß vom 7. Januar 1986 zurückgewiesen, da der von den Klägern gezogene Schluß, der Berichterstatter sei bereits endgültig festgelegt und werde sich Gegenargumenten verschließen, nicht zutreffe.
Gegen den Beschluß des FG wenden sich die Kläger mit ihrer Beschwerde.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet, denn das FG hat zu Recht das Ablehnungsgesuch der Kläger zurückgewiesen.
Gemäß § 51 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 42 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Entscheidend ist hierbei nicht, ob der Richter tatsächlich voreingenommen ist (vgl. BFH-Beschluß vom 21. September 1977 I B 32/77, BFHE 123, 305, BStBl II 1978, 12, m.w.N.); es kommt vielmehr darauf an, ob der Beteiligte, der das Ablehnungsgesuch angebracht hat, von seinem Standpunkt aus bei Anlegung eines objektiven Maßstabes Anlaß hat, Voreingenommenheit zu befürchten (BFH-Beschlüsse vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555; vom 14. Juni 1985 V B 81/84, BFH/NV 1986, 162; vgl. auch Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 12. Juli 1986 1 BvR 713/83 u. a., Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1987, 430, und vom 1. Oktober 1986 2 BvR 508/86, NJW 1987, 429).
Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Diese Regelung schließt es nicht aus, daß sich ein Richter bereits in einem früheren Verfahrensstadium ein vorläufiges Bild vom Sach- und Streitstand macht, um z. B. der Amtsermittlungspflicht (§ 76 FGO) zu genügen und prozeßleitende Anordnungen (z. B. § 77 Abs. 1 Satz 2, § 79 FGO) treffen zu können. Dies schließt auch eine Meinungsäußerung gegenüber den Parteien ein (vgl. BVerfG-Beschluß vom 25. Januar 1955 1 BvR 522/53, BVerfGE 4, 143; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 11. Februar 1982 1 D 2.81, BVerwGE 73, 339). Nach dem Beschluß des V. Senats des BFH in BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555 kann die Besorgnis der Befangenheit eines Richters gerechtfertigt sein, wenn dessen Schreiben, die Klage könne keinen Erfolg haben, Zweifel aufkommen lasse, ob er Gegengründen aufgeschlossen gegenüberstehe; es muß also die Meinung des Richters über den gebotenen Verfahrensausgang als so festgefügt erscheinen, daß zu befürchten ist, er werde den Ergebnissen des weiteren Verfahrens bis zur Entscheidung statt mit einer vorläufigen mit einer endgültigen Beurteilung gegenüberstehen (ebenso Teplitzky, Juristische Schulung - JuS - 1969, 318, 322; Kapp, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1986, 320, 321; Zöller, Zivilprozeßordnung, Kommentar, 15. Aufl., 1987, § 42 Rdnr. 26; kritisch: Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, Zivilprozeßordnung, Kommentar, 45. Aufl., 1986, § 42 Anm. 2 B. ,,Festhalten an einer Ansicht"; Krekeler, NJW 1981, 1633, 1638).
Bei Anwendung dieser Grundsätze war im Streitfall nicht die Besorgnis gerechtfertigt, der Berichterstatter habe sich endgültig festgelegt. Er hat zwar u. a. in dem Schreiben vom 5. November 1985 ausgeführt:
,,. . . Soweit das Finanzamt Sendungen in die DDR steuerlich nicht berücksichtigt hat, ist dies nach Aktenlage m. E. nicht zu beanstanden. Auch die Aufwendungen für die Erholungsreise nach Ungarn können m. E. steuerlich nicht berücksichtigt werden . . ."
Daraus kann aber nicht geschlossen werden, der Berichterstatter habe sich schon eine abschließende Meinung gebildet; denn die Formulierung ,,nach Aktenlage" und die Bitte um Stellungnahme im letzten Satz des Schreibens vom 5. November 1985 deuten darauf hin, daß der Berichterstatter Gegenargumenten aufgeschlossen gegenübersteht.
Auch die Ansicht der Kläger, der Berichterstatter habe gerade durch die Art und Weise der Formulierung der ,,Auflagen" den Eindruck erweckt, er wolle einen bestimmten Druck auf die Kläger zur Zurücknahme der Klage ausüben, kann nicht zur Begründetheit der Beschwerde führen. Die Auflagen, die die Frage der Verwandtschaft zu den jeweiligen Unterstützungsempfängern bzw. die Frage des Nachweises für die Leistungen betreffen, entsprechen der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. zur Verwandtschaft z. B. BFH-Urteil vom 6. Februar 1987 III R 87/86, BFH/NV 1987, 503, wonach eine sittliche Verpflichtung zur Unterhaltsgewährung in der Regel bei Angehörigen i. S. von § 15 der Abgabenordnung - AO 1977 - besteht; zum Nachweis z. B. BFH-Urteil vom 5. Dezember 1986 III R 255/83, BFHE 148, 476, BStBl II 1987, 238 unter 3.). Die Auflage, die Einkünfte der Unterstützungsempfänger mitzuteilen und dies durch Bestätigungen nachzuweisen, zielt auf eine Prüfung der Bedürftigkeit. Dies widerspricht zwar der BFH-Rechtsprechung, nach der bei Unterhaltsleistungen an Bewohner der DDR und Berlin (Ost) in der Regel die Bedürftigkeit zu unterstellen sei (Urteile in BFHE 138, 343, BStBl II 1983, 453; vom 9. Dezember 1983 VI R 196/81, BFHE 140, 230, BStBl II 1984, 309, bestätigt durch Urteil in BFHE 148, 476, BStBl II 1987, 238); gleichwohl läßt sich aus einer gegenteiligen Rechtsansicht des Berichterstatters für die Kläger nicht die Besorgnis der Befangenheit ableiten, zumal sich auch für diese Rechtsansicht gute Gründe anführen lassen (vgl. z. B. FG Berlin, Urteil vom 26. Oktober 1983 VI 119/83, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1984, 403; Kanzler in Herrmann / Heuer / Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 33 a EStG Anm. 137; Schmidt / Drenseck, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 6. Aufl., § 33 a Anm. 2 e; Rößler, Deutsche Steuer-Zeitung / Ausgabe A - DStZ/A - 1983, 482). Die Art und Weise der Formulierung der Auflagen ist ebensowenig zu beanstanden wie die Aufforderung an die Kläger, ihren Rechtsstandpunkt nochmals zu überprüfen. Der Berichterstatter hat zwar in seinem Schreiben eine Klagerücknahme nicht ausdrücklich angesprochen, aus dem Inhalt des Briefes, insbesondere aber aus dem letzten Satz, ist zu entnehmen, daß er die Kläger auf die Möglichkeit der Klagerücknahme hinweisen wollte. Es ist bereits ausgeführt, daß es dem Richter unbenommen bleibt, bereits in einem frühen Verfahrensstadium seine vorläufige Rechtsansicht zu äußern. Dies kann auch eine Anregung an die Kläger beinhalten, eine Klagerücknahme zu prüfen. In diesen Fällen ist ein Grund für die Besorgnis der Befangenheit allenfalls dann gegeben, wenn die entsprechende Formulierung erkennen läßt, es sei dem Richter an einer Beendigung des Verfahrens um jeden Preis gelegen. Wird jedoch - wie im Streitfall - die Möglichkeit, das Klageverfahren fortzusetzen, ebenso dargestellt wie die Klagerücknahme und werden - für die erste Alternative - nicht zu beanstandende Auflagen angeordnet, ist die Besorgnis der Befangenheit nicht begründet (vgl. auch Beschluß in BFHE 144, 144 BStBl II 1985, 555).
Fundstellen
Haufe-Index 415493 |
BFH/NV 1988, 251 |