Entscheidungsstichwort (Thema)
Statthaftigkeit und gesetzliche Form der Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde
Leitsatz (NV)
1. Ein darin liegender Verfahrensmangel, daß die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO), kann nur mit der - zulassungsfreien - Revision, nicht mit der Nichtzulassungsbeschwerde gerügt werden.
2. Die grundsätzliche Bedeutung ist nur dann dargelegt (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO), wenn der Rechtsmittelführer konkret auf die Rechtsfragen und ihre - aus seiner Sicht - über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingegangen ist.
3. Verfahrensrechtliche Fehler der Finanzbehörden im Besteuerungsverfahren oder im außergerichtlichen Vorverfahren sowie eine unzutreffende Auslegung der das Besteuerungsverfahren regelnden Vorschriften durch das FG stellen keine Verfahrensmängel i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar.
4. Bei der Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör als Verfahrensfehler braucht im Hinblick auf § 119 Nr. 3 FGO nicht dargelegt zu werden, daß das Urteil auf dem Mangel beruhen könne.
Normenkette
FGO § 96 Abs. 1 S. 1, § 115 Abs. 2-3, § 116 Abs. 1 Nr. 5, § 119 Nr. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klin. ist eine aus den Gesellschaftern B und A bestehende - mit Ausnahme der Steuerrechtsverhältnisse - inzwischen durch Liquidation beendete GbR. Sie betrieb einen X- und Y-Handel in F und wird beim FA steuerlich geführt. In den Umsatzsteuervoranmeldungen hat die von ihrem jetzigen Prozeßbevollmächtigten vertretene Klin. als zuständige Finanzbehörde für die Steuerfestsetzung das FA eingetragen.
Nachdem das FA die Klin. mehrfach ergebnislos zur Abgabe der Umsatzsteuererklärung 1979 (Streitjahr) aufgefordert hatte, setzte es auf dem Schätzungswege die Umsatzsteuer zunächst auf . . . DM fest. Durch Bescheid vom 11. Juni 1982 ermäßigte es die Umsatzsteuerfestsetzung sodann auf . . . DM. Während des Klageverfahrens reichte die Klin. die Umsatzsteuererklärung 1979 ein, in der - nach Berichtigung eines Additionsfehlers - eine Steuerschuld von . . . DM ermittelt ist.
Die Klin. macht im Klageverfahren geltend, ihr gegenüber sei zum Erlaß und zur Bekanntgabe von Umsatzsteuerbescheiden nicht das FA befugt. Örtlich und sachlich zuständig sei vielmehr das FA F, weil sich in dessen Bezirk ihre Betriebsstätte befunden habe, von wo aus die Umsätze getätigt worden seien. Die vom Hessischen Minister der Finanzen im Jahre 1956 veranlaßte Neuaufteilung der Besteuerungskompetenzen für die . . . FÄ sei unwirksam. Zuständigkeiten in der Finanzverwaltung könnten nur durch Gesetz oder durch eine auf Gesetz beruhende Rechtsverordnung übertragen werden. Nach den §§ 20 f. FVG a. F. hätten zwar die obersten Landesbehörden den Bezirk und den Sitz der FÄ sowie den Umfang der Geschäfte bestimmen können. Die erwähnten Vorschriften seien jedoch verfassungswidrig, weil es aufgrund des Vorbehalts des Art. 20 Abs. 3 GG und des Art. 2 der Hessischen Verfassung hierfür einer Rechtsverordnung bedurft hätte und weil eine unmittelbare Ermächtigung eines einzelnen Landesministers durch Bundesgesetz unzulässig sei. Eine Rechtsverordnung liege im Streitfall nicht vor, ebenfalls nicht ein öffentlich bekanntgemachter Finanzministererlaß. Der angefochtene Bescheid hätte im übrigen - statt vom FA F - vom FA bekanntgegeben werden müssen. Er sei ferner im Hinblick darauf unwirksam, daß ihre, der Klin., Gesellschafter nur mit dem Familiennamen, nicht auch mit den Vornamen angeführt worden seien. - Die Klin. beantragte nach den Feststellungen des FG außerdem die Beiladung ihrer Gesellschafter mit der Begründung, daß diese für die Umsatzsteuer gesamtschuldnerisch hafteten.
Das FG wies die Klage zum Hauptantrag (Aufhebung des Bescheides und der Einspruchsentscheidung) ab und setzte, entsprechend dem Hilfsantrag, die Umsatzsteuer 1979 erklärungsgemäß auf . . . DM herab. Zur Begründung führte das FG aus, das FA sei gemäß § 21 AO 1977 zuständig. Der Senat halte es für erwiesen, daß der angefochtene Bescheid vom FA versandt worden sei. Die Bezeichnung der Klin. durch Angabe der Familiennamen der Gesellschafter unter Hinzufügung der ersten Buchstaben der Vornamen sei ausreichend. Eine Beiladung der Gesellschafter nach § 60 Abs. 3 FGO erscheine nicht geboten; Steuersubjekt im umsatzsteuerrechtlichen Sinne, und damit Adressat des Bescheides, sei die Klin. - Das Urteil enthält keinen Ausspruch zur Zulassung der Revision.
Hiergegen hat die Klin. Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, der vom FG nicht abgeholfen worden ist. Die Klin. beantragt, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung und wegen Verfahrensmängeln zuzulassen. Sie macht geltend, das FA sei sachlich und örtlich nicht für die umstrittene Umsatzsteuerfestsetzung zuständig gewesen. Das FG hätte den angefochtenen Bescheid überdies wegen fehlender Begründung aufheben müssen, da weder im Bescheid noch in der Einspruchsentscheidung die Schätzungsgrundlagen dargelegt seien. Außerdem stimmten die Entscheidungsgründe fast wörtlich mit denen des - einen Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuer 1979 betreffenden - Urteils des FG überein, aus dem sogar die - hier nicht einschlägige - Erörterung der Beiladung übernommen worden sei, während umgekehrt das zitierte Urteil Ausführungen zu der im vorligenden Verfahren umstrittenen Umsatzsteuer enthalte. Das FG sei offenbar nicht in der Lage gewesen, die beiden Verfahren gedanklich zu trennen. Angesichts dessen könne die angefochtene Entscheidung als nicht mit Entscheidungsgründen versehen betrachtet werden. Überdies habe das FG zu Ausführungen in drei Schriftsätzen nicht Stellung genommen, so daß ein Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs vorliege. Auch sei insoweit nicht beachtet, daß das Gericht seine Überzeugung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu bilden habe (§ 96 Abs. 1 FGO).
Das FA ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig; sie war zu verwerfen.
1. Soweit die Klin. geltend macht, daß die Entscheidung nicht mit Gründen versehen sei, ist die Nichtzulassungsbeschwerde nicht statthaft. Gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO bedarf es einer Zulassung zur Einlegung der Revision nicht, wenn als wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird, daß die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist. Zu der ebenfalls in § 116 Abs. 1 FGO angeführten Rüge, daß - vom Falle der ausdrücklichen oder stillschweigenden Zustimmung zur Prozeßführung abgesehen - ein Beteiligter nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war (Nr. 3), hat der BFH, der Rechtsprechung des BVerwG folgend, im Beschluß vom 9. Juni 1986 IX B 90/85 (BFHE 146, 395, BStBl II 1986, 679) entschieden, daß ein solcher Verfahrensmangel nur mit der zulassungsfreien Revision, nicht aber auch mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gerügt werden kann.
Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an und ist darüber hinaus der Auffassung, daß Unstatthaftigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gleichermaßen vorliegt, wenn als Mangel des Verfahrens gerügt wird, die Entscheidung sei nicht mit Gründen versehen (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO).
2. Soweit die Klin. sich auf grundsätzliche Bedeutung beruft, ist die Nichtzulassungsbeschwerde zwar statthaft, aber mangels Begründung in der gesetzlichen Form nicht zulässig.
a) Die Beschwerde, mit der die Nichtzulassung der Revision selbständig angefochten werden kann (§ 115 Abs. 3 Satz 1 FGO), läßt sich auf diejenigen Gründe stützen, derentwegen das FG die Revision zulassen darf (§ 115 Abs. 1, 2 und 3 Satz 3 FGO), mithin u. a. darauf, daß die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). In formeller Hinsicht wird in Beziehung auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung vom Gesetz gefordert, daß in der Beschwerdeschrift - bzw. in einem weiteren während der Beschwerdefrist eingereichten Schriftsatz - die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt wird (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO).
Nach der Rechtsprechung des BFH ist unter grundsätzlicher Bedeutung zu verstehen, daß die im Revisionsverfahren zu erwartende Entscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit bzw. der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt (vgl. BFH-Beschluß vom 27. Juni 1985 I B 23/85, BFHE 144, 133, BStBl II 1985, 605, m. w. N.). Zur Darlegung dessen bedarf es substantiierter und konkreter Angaben darüber, aus welchen Gründen das Interesse der Allgemeinheit an Rechtssicherheit, Rechtseinheitlichkeit und Rechtsentwicklung berührt sein soll (vgl. Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 115 FGO Rdnr. 88). Es braucht vom Rechtsmittelführer nicht ausdrücklich ausgesprochen zu werden, daß seiner Ansicht nach die Sache grundsätzliche Bedeutung habe. Vielmehr genügt es, daß sich dies aus den Ausführungen ergibt, was jedoch nur dann der Fall sein kann, wenn konkrete auf die Rechtsfrage und ihre - aus der Sicht des Rechtsmittelführers - über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingegangen worden ist (vgl. BFH-Beschluß vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479, m. w. N.).
b) Diesen Anforderungen genügt die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde seitens der Klin. nicht.
Bei der Prüfung, ob eine den gesetzlichen Anforderungen in formeller Hinsicht entsprechende Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde vorliegt, kann hier nur die Beschwerdeschrift vom 15. April 1985 berücksichtigt werden. Nicht berücksichtigen lassen sich dagegen die Ausführungen der Klin. im Schriftsatz vom 30. Dezember 1985, insbesondere auf dessen Seite 5 f., da dieser Schriftsatz erst nach Ablauf der Beschwerdefrist eingereicht worden ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 21. Juni 1968 III B 58 /67, BFHE 93, 503, BStBl II 1969, 36, und vom 28. Januar 1971 V B 58/70, BFHE 101, 44, BStBl II 1971, 246). Die Entscheidung läßt sich mithin nicht auf die im zuletzt erwähnten Schriftsatz enthaltenen Ausführungen dazu abstellen, daß die grundsätzliche Bedeutung gegeben sei. Sie muß vielmehr auf den Inhalt der Beschwerdeschrift abgehoben werden. Danach liegt eine den formellen Anforderungen entsprechende Begründung nicht vor. Die Klin. hat in ihrer Beschwerdeschrift lediglich im unmittelbaren Anschluß an den Zulassungsantrag u. a. die grundsätzliche Bedeutung als Zulassungsgrund genannt. Im übrigen hat sie lediglich angeführt, aus welchen Gründen sie die Vorentscheidung für fehlerhaft hält, ohne den Aspekt der grundsätzlichen Bedeutung auch nur anzusprechen, geschweige denn, das Interesse der Allgemeinheit im einzelnen darzulegen.
3. Soweit die Klin. ihr Zulassungsbegehren auf das Vorliegen anderer Verfahrensmängel als den Mangel fehlender Entscheidungsgründe (s. hierzu oben unter 1.) stützt, ist die Nichtzulassungsbeschwerde ebenfalls zwar statthaft, aber mangels Beachtung der formellen Anforderungen an die Begründung gleichermaßen nicht zulässig.
a) Gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ist die Revision u. a. zuzulassen, wenn bei einem geltend gemachten Verfahrensmangel die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen kann. Verfahrensmängel in diesem Sinne liegen nicht in verfahrensrechtlichen Fehlern der Finanzbehörden während des Besteuerungsverfahrens oder des außergerichtlichen Vorverfahrens; sie sind ebenfalls nicht darin zu sehen, daß ein FG die das Besteuerungsverfahren regelnden Vorschriften unzutreffend auslegt. Der erörtere Zulassungsgrund setzt vielmehr voraus, daß dem FG bei der Handhabung seines Verfahrens Fehler unterlaufen sind, die der Annahme einer ordnungsmäßigen Grundlage für die Urteilsfällung entgegenstehen oder die zu Mängeln der Entscheidung selbst führen (vgl. Klein / Ruban, Der Zugang zum Bundesfinanzhof, Nichtzulassungsbeschwerde, Revision, Rdnrn. 81 bis 86). In formeller Hinsicht verlangt das Gesetz insoweit, daß innerhalb der Beschwerdefrist der Verfahrensmangel bezeichnet wird (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO). Hiermit ist eine genaue Angabe der Tatsachen gemeint, aus denen sich nach der Auffassung des Beschwerdeführers ein Verfahrensverstoß ergeben soll, und darüber hinaus die Darlegung dessen, weshalb das angefochtene Urteil auf dem Verfahrensmangel beruhen könne (Klein / Ruban, a.a.O., Rdnr. 164). In Beziehung auf die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör braucht allerdings im Hinblick darauf, daß der entsprechende Verfahrensfehler einen der absoluten Revisionsgründe darstellt (§ 119 Nr. 3 FGO), bei denen ein angefochtenes Urteil stets als auf Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen ist, nicht dargelegt zu werden, daß das Urteil auf diesem Mangel beruhen kann (vgl. Klein / Ruban, a.a.O., Rdnr. 89).
Zur Darlegung der Verfahrensmängel einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und des Verstoßes gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz FGO, wonach das Gericht nach seiner aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entscheidet, hat die Klin. innerhalb der Beschwerdefrist unter Vorlage entsprechender Schriftsatzkopien lediglich vorgetragen, das FG habe bei der Urteilsfindung ihre Schriftsätze vom 24., 25. und 30. Januar 1985 nicht berücksichtigt, ohne auch nur ansatzweise anzugeben, welche ihrer Ausführungen in der Vorentscheidung übergangen worden sein sollen. Dies wird auch nicht aus dem Inhalt der Schriftsätze mit insgesamt 16 Seiten deutlich, die, wie in ihnen ausgeführt worden ist, die Klagebegründung haben ergänzen sollen. In Anbetracht des Umstandes, daß die von der Klin. u. a. in den erwähnten Schriftsätzen geltend gemachten Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides durch das FG in der Vorentscheidung erörtert worden sind (fehlende sachliche und örtliche Zuständigkeit des FA; Schätzung der Besteuerungsgrundlagen; Adressierung des Bescheides), hätte die Klin. im einzelnen darlegen müssen, welche der in den erwähnten Schriftsätzen enthaltenen Ausführungen ihrer Meinung nach vom FG übergangen worden sind. Da die Klin. dies unterlassen hat, stellt die vorgebrachte Begründung keine geeignete Grundlage für eine Prüfung der Begründetheit der Nichtzulassungsbeschwerde dar.
Fundstellen