Entscheidungsstichwort (Thema)
Entstehung des Auflösungsverlusts bei Gesellschafterbeschluss; Verletzung rechtlichen Gehörs bei Schätzung; fehlerhafte Beurteilung der Beweislast ist materiell-rechtlicher Mangel
Leitsatz (NV)
1. Wird eine GmbH durch Gesellschafterbeschluss aufgelöst, kann der Auflösungsverlust i.S. des § 17 EStG ausnahmsweise bereits im Zeitpunkt der Beschlussfassung entstehen, wenn wegen Vermögenslosigkeit der GmbH mit Liquiditätsrückzahlungen nicht zu rechnen ist.
2. Das FG verletzt nicht das rechtliche Gehör der Beteiligten, wenn es die Schätzung der Höhe des eigenkapitalersetzenden Darlehens nicht zuvor mit ihnen erörtert hat, es sei denn, die Schätzungsmethode erfordert die Einführung eines neuen Tatsachenstoffs.
3. Die fehlerhafte Beurteilung der Grundsätze über die Verteilung der Beweislast ist ein materiell-rechtlicher Mangel und kein Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 2-3, § 96 Abs. 2, § 119 Nr. 3; EStG § 17; AO 1977 § 162
Verfahrensgang
FG Köln (Urteil vom 22.05.2003; Aktenzeichen 10 K 4602/99) |
Gründe
Die Beschwerde des Beklagten und Beschwerdeführers (Finanzamt --FA--) ist unbegründet. Es liegt keiner der in § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufgeführten Gründe für die Zulassung der Revision vor.
1. Die Revision ist nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen. Denn die Vorentscheidung weicht nicht von der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ab, wonach die Entstehung eines Auflösungsverlusts außer der Auflösung weiter voraussetzt, dass mit Zuteilungen und Rückzahlungen gemäß § 17 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht mehr zu rechnen ist und ferner feststehen muss, ob und in welcher Höhe noch nachträgliche Anschaffungskosten oder sonstige im Rahmen des § 17 Abs. 2 EStG zu berücksichtigende wesentliche Aufwendungen anfallen werden (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 4. November 1997 VIII R 18/94, BFHE 184, 374, BStBl II 1999, 344). Das Finanzgericht (FG) hat seiner Entscheidung, der Auflösungsverlust sei bereits mit dem Auflösungsbeschluss im Jahr 1994 und nicht erst mit der Löschung der GmbH im Handelsregister entstanden, diese Rechtsprechung stillschweigend zugrunde gelegt. Denn es hat seine Auffassung damit begründet, dass aufgrund der Besonderheiten des Streitfalles mit Liquidationsrückzahlungen nicht zu rechnen gewesen sei. Die Behauptung des FA, das FG habe den Rechtssatz aufgestellt, bei unklarem Sachverhalt habe der Beteiligte nach § 17 EStG ein Wahlrecht, ob er seinen Verlust schon zum Zeitpunkt der Auflösung der Kapitalgesellschaft oder erst später geltend machen möchte, ist der Vorentscheidung weder ausdrücklich noch konkludent zu entnehmen.
2. Das angefochtene Urteil verletzt auch nicht das rechtliche Gehör des FA (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 96 Abs. 2, § 119 Nr. 3 FGO).
a) Das FA konnte bei seinem Verzicht auf eine mündliche Verhandlung durch Schreiben vom 29. April 2003 nicht erwarten, dass das FG abweichend von der ursprünglichen eigenen Auffassung des FA das Jahr 1997 als Verlustentstehungsjahr i.S. des § 17 EStG ansehen würde. Der Berichterstatter hatte in seinem Schreiben vom 13. Januar 2003 den Beteiligten zunächst die Frage gestellt, warum --wie vom FA in dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid für 1994 angenommen-- der Liquidationsverlust bereits im Jahre 1994 angesetzt werden sollte. Er hatte diese Frage um den Hinweis ergänzt, dass grundsätzlich der Verlust erst mit der Beendigung der Liquidation entstehe. Aus den Formulierungen dieses Hinweisschreibens konnte das FA nicht ableiten, dass sich der Berichterstatter und damit der Senat zu dieser Frage bereits eine abschließende Meinung gebildet habe. Darüber hinaus musste das FA mit einer Entscheidung des FG, der Aufgabeverlust i.S. des § 17 EStG sei im Jahr 1994 entstanden, auch unter Berücksichtigung der Stellungnahme des Klägers und Beschwerdegegners (Kläger) vom 14. Februar 2003 zu dem Schreiben des Berichterstatters rechnen. Denn der Kläger hatte unter Hinweis auf die Vermögenslosigkeit der GmbH im Zeitpunkt des Auflösungsbeschlusses das Jahr 1994 als Verlustentstehungsjahr angesehen und außerdem auf das seiner Meinung nach einschlägige BFH-Urteil vom 10. März 1999 II R 99/97 (BFHE 188, 276, BStBl II 1999, 433) verwiesen.
b) Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt auch nicht darin, dass das FG die Schätzung (§ 162 der Abgabenordnung --AO 1977--) der Höhe des eigenkapitalersetzenden Darlehens nicht zuvor mit den Beteiligten erörtert hat. Eine Verpflichtung des Gerichts zu einer vorherigen Erörterung der Schätzung lässt sich entgegen der Rüge des FA auch nicht aus dem BFH-Urteil vom 2. Februar 1982 VIII R 65/80 (BFHE 135, 158, BStBl II 1982, 409) ableiten. Daraus folgt im Gegenteil, dass das FG in der Regel zu einer vorherigen Erörterung der Schätzung nicht verpflichtet ist, es sei denn, die Schätzungsmethode erfordert die Einführung eines neuen Tatsachenstoffs. Das FA hat nicht geltend gemacht, das FG habe bei seiner Schätzung einen bislang nicht bekannten Tatsachenstoff berücksichtigt.
3. Mit seiner Rüge, die Schätzung der Höhe des eigenkapitalersetzenden Darlehens durch das FG sei unzulässig gewesen, und es hätte stattdessen eine Beweislastentscheidung ergehen müssen, hat das FA keinen Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO, sondern einen Rechtsanwendungsfehler des FG geltend gemacht. Denn eine fehlerhafte Beurteilung der Grundsätze über die Verteilung der Beweislast ist ein materiell-rechtlicher Mangel und kein Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rn. 82). Mit der Rüge eines Rechtsanwendungsfehlers in einem Einzelfall wird aber kein Zulassungsgrund dargelegt.
Fundstellen
Haufe-Index 1366212 |
BFH/NV 2005, 1307 |