Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem Kostenfestsetzungsbeschluß
Leitsatz (NV)
1. Wird gegen die Vollstreckung aus einem Kostenfestsetzungsbeschluß Vollstreckungsabwehrklage erhoben, so ist in sinngemäßer Anwendung des § 769 ZPO die einstweilige Einstellung der Vollstreckung statthaft.
Die Entscheidung über die Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes ist in das freie Ermessen des Gerichts gestellt, bei dessen Ausübung die Aussichten der Klage und die den Parteien drohenden Nachteile zu berücksichtigen sind.
2. Zur Aufrechnung durch das FA mit einer Gegenforderung, die auf einem angefochtenen und in der Vollstreckung ausgesetzten Verwaltungsakt beruht.
Normenkette
AO 1977 § 226 Abs. 1; FGO § 151 Abs. 1-2, § 152; ZPO §§ 767, 769
Tatbestand
Die Antragsgegner und Beschwerdeführer (Antragsgegner) haben sich als Prozeßbevollmächtigte in einem finanzgerichtlichen Verfahren den durch Kostenfestsetzungsbeschluß des Finanzgerichts (FG) festgesetzten Kostenerstattungsanspruch ihres Mandanten abtreten lassen. Da der Antragsteller und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) sich wegen erklärter Aufrechnung weigerte, den festgesetzten Betrag an sie zu erstatten, stellten die Antragsgegner beim FG den Antrag auf Verfügung der Zwangsvollstreckung nach § 152 der Finanzgerichtsordnung - FGO -. Das FA beantragte daraufhin im Wege der Vollstreckungsgegenklage, die Vollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluß für unzulässig zu erklären; ferner stelle es im vorliegenden Verfahren den Antrag, die Vollstreckung gemäß § 769 der Zivilprozeßordnung (ZPO) einstweilen einzustellen.
Durch Beschluß des FG ... wurde die Zwangsvollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluß bis zur Zustellung des Urteils im Verfahren der Vollstreckungsgegenklage ohne Sicherheitsleistung eingestellt. Das FG führte im wesentlichen aus, dem vorliegenden Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 151 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 769 ZPO sei stattzugeben, da die Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) des FA hinreichende Aussicht auf Erfolg habe und Nachteile, die den Antragsgegnern drohten, nicht erkennbar seien. Die Vollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluß sei unzulässig, da das FA gegen den abgetretenen Kostenerstattungsanspruch mit seiner Forderung aus dem Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid... gegen den Zedenten rechtswirksam aufgerechnet habe (§ 226 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 - i.V.m. § 406 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -).
Dem stehe nicht entgegen, daß mit einer Gegenforderung aufgerechnet worden sei, die auf einem mit der Klage angefochtenen und einstweilen nicht vollziehbaren Verwaltungsakt beruhe (Urteil des Senats vom 17. September 1987 VII R 50-51/86, BFHE 151, 304, BStBl II 1988, 366). Die endgültige Wirksamkeit der Aufrechnung stehe zwar erst fest, wenn über die angefochtene Umsatzsteuerforderung rechtskräftig entschieden sei. Die Wirkung der Aufrechnung (Erlöschen von Haupt- und Gegenforderung, soweit sie sich aufrechenbar gegenüberstehen) trete aber bereits mit der Aufrechnungserklärung ein und stehe lediglich unter der auflösenden Bedingung des endgültigen materiell-rechtlichen Bestehens der Gegenforderung.
Das FG folge auch nicht der Ansicht der Antragsgegner, die Aufrechnung sei deshalb ausgeschlossen, weil es im Hinblick auf die vom FA verfügte Aussetzung der Vollziehung des Umsatzsteuervorauszahlungsbescheids an der Fälligkeit der Gegenforderung fehle. Die Vollziehungsaussetzung lasse die Wirksamkeit und den Bestand des ausgesetzten Verwaltungsakts unberührt. Da die Fälligkeit zum materiellen Regelungsinhalt eines Verwaltungsakts gehöre, werde sie durch die Aussetzung der Vollziehung nicht berührt oder gar hinausgeschoben (Senat in BFHE 151, 304, BStBl II 1988, 366, 369 mit weiteren Rechtsprechungshinweisen).
Da offensichtlich keine Zweifel daran bestünden, daß die Antragsgegner bei Erfolglosigkeit der Vollstreckungsabwehrklage auch dann zur Befriedigung des Kostenanspruchs gelangen würden, wenn die Vollstreckung aus dem Kostenerstattungsbeschluß einstweilen eingestellt werde, erscheine es sachgerecht, dem Begehren des FA auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ohne Sicherheitsleistung stattzugeben.
Mit der Beschwerde machen die Antragsgegner geltend, das FG habe verkannt, daß eine zur Aufrechnung gestellte Forderung des Schuldners voll wirksam und fällig sowie erzwingbar sein müsse (Hinweis auf Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 52. Aufl., § 387 Anm. 11). Durch die Aussetzung der Vollziehung werde die mit dem Verwaltungsakt festgesetzte Forderung nicht mehr durchsetzbar. Das FA könne deshalb für die Dauer der Aussetzung der Vollziehung in keinem Falle Erfüllung durch Zahlung verlangen. Seine Forderung sei damit nicht durchsetzbar, nicht erzwingbar. Damit fehle es bereits an der Aufrechnungsfähigkeit der Umsatzsteuerforderung im vorliegenden Falle, so daß die vom FA erklärte Aufrechnung mit der nicht mehr vollziehbaren Forderung nicht wirksam sei. Dieses Ergebnis folge auch daraus, daß - im Gegensatz zur Rechtsauffassung des Senats in BFHE 151, 304, BStBl II 1988, 366 - durch die Aussetzung der Vollziehung die Fälligkeit der Forderung hinausgeschoben werde.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
Bei der Entscheidung über den Antrag des Gläubigers auf Verfügung der Vollstreckung gegen eine Finanzbehörde nach den §§ 151 Abs. 1, 152 FGO kann - wie der Senat durch Beschluß vom 20. Dezember 1983 VII B 73/83 (BFHE 139, 494, BStBl II 1984, 205) entschieden hat - die Einwendung der Aufrechnung durch den Schuldner nicht berücksichtigt werden. Die Aufrechnung ist vielmehr im Rahmen der Zwangsvollstreckung in sinngemäßer Anwendung der §§ 151 Abs. 1 FGO, 767 ZPO mit dem besonderen Rechtsbehelf der Vollstreckungsabwehrklage geltend zu machen. Dies hat das FA im Streitfall beachtet.
Wird - wie vorliegend - gegen die Vollstreckung aus einem Kostenfestsetzungsbeschluß Vollstreckungsabwehrklage erhoben, so ist in sinngemäßer Anwendung des § 769 ZPO die einstweilige Einstellung der Vollstreckung statthaft (Beschlüsse des Senats vom 23. September 1986 VII B 57/86, BFH/NV 1987, 253, und vom 24. November 1987 VII B 147/86, BFH/NV 1988, 505), die das FA im vorliegenden Verfahren beantragt hat. Die Entscheidung über die Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes ist in das freie Ermessen des Gerichts gestellt, bei dessen Ausübung nicht nur die Aussichten der Klage, sondern auch die den Parteien drohenden Nachteile zu berücksichtigen sind (Senat in BFH/NV 1987, 253, 254 und 1988, 505, 506 m.w.N.). Von diesen Rechtsgrundsätzen ist auch das FG ausgegangen. Die vom FG nach seinem pflichtgemäßen Ermessen nach § 769 ZPO getroffene Entscheidung, die Zwangsvollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluß ohne Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen, ist nicht zu beanstanden.
Das FG konnte bei seiner Entscheidung davon ausgehen, daß die vom FA erhobene Vollstreckungsabwehrklage (Hauptsache) Aussicht auf Erfolg hat. Nach den Feststellungen des Gerichts hat das FA gegenüber dem abgetretenen Kostenerstattungsanspruch jedenfalls im gerichtlichen Verfahren mit seiner Forderung aus dem Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid ... gegen den Zedenten die Aufrechnung erklärt. Diese Aufrechnung gegenüber den neuen Gläubigern (Antragsgegnern) mit einer dem FA gegen den bisherigen Gläubiger (Zedenten) zustehenden Steuerforderung ist nach § 226 Abs. 1 AO 1977 i.V.m. § 406 BGB wirksam; insoweit wird auf die Ausführungen der Vorinstanz Bezug genommen, da die Antragsgegner hiergegen keine Einwendungen erhoben haben.
Die von der Beschwerde angegriffene Rechtsauffassung des FG, daß der Aufrechnung nicht entgegenstehe, daß die Gegenforderung des FA auf einem angefochtenen und in der Vollziehung ausgesetzten Verwaltungsakt beruht, entspricht der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH). Nach dem Senatsurteil in BFHE 151, 304, BStBl II 1988, 366, auf das wegen der näheren Begründung Bezug genommen wird, läßt die Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheids dessen materiellen Regelungsinhalt, zu dem auch die Fälligkeit gehört, unberührt. Die Fälligkeit der Forderung wird durch die Aussetzung der Vollziehung nicht beseitigt oder hinausgeschoben, so daß - unter der Voraussetzung, daß die Gegenforderung zu Recht besteht - auch mit einer in der Vollziehung ausgesetzten Forderung wirksam aufgerechnet werden kann (§§ 387, 389 BGB, §§ 47, 226 Abs. 1 AO 1977). Diese Rechtsansicht wird auch vom I.Senat des BFH und vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) vertreten (BFH-Beschluß vom 14. März 1990 I S 5/89, BFH/NV 1991, 172; BVerwG-Urteil vom 27. Oktober 1982 3 C 6.82, BVerwGE 66, 218, 221).
Das FG konnte somit im Hinblick auf die höchstrichterliche Rechtsprechung davon ausgehen, daß trotz der Aussetzung der Vollziehung des Verwaltungsakts, auf dem die Gegenforderung des FA beruhte, dessen auf die Aufrechnung gestützte Vollstreckungsabwehrklage Erfolg haben werde, und deshalb die Zwangsvollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluß einstweilen einzustellen sei. Auch der Senat braucht im vorliegenden Verfahren nach § 769 ZPO, in dem nur eine vorläufige Entscheidung ergeht, über die Einwendungen der Beschwerde gegen die vorstehend dargestellte Rechtsprechung zur Aufrechnung mit einer Gegenforderung, die auf einem angefochtenen und einstweilen nicht vollziehbaren Verwaltungsakt beruht, nicht abschließend zu entscheiden. Er hat auf die Beschwerde der Antragsgegner wegen Nichtzulassung der Revision gegen das inzwischen ergangene Urteil des FG, mit dem mit derselben Begründung wie im vorliegenden Verfahren der Vollstreckungsgegenklage des FA stattgegeben worden ist, durch Beschluß vom 4. Mai 1993 die Revision zugelassen. In dem Revisionsverfahren wird aufgrund der Einwendungen, die von den Antragsgegnern und teilweise auch im Schrifttum (vgl. Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung, 16. Aufl., § 226 Anm. 3a), cc; Frotscher in Schwarz, Abgabenordnung, § 226 Anm. 5) gegen die höchstricherliche Rechtsprechung vorgebracht werden, zu überprüfen sein, ob an der im Urteil des Senats in BFHE 151, 304, BStBl II 1988, 366 vertretenen Rechtsauffassung festgehalten werden kann. Für das vorliegende Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes konnte aber die Erfolgsaussicht der Vollstreckungsabwehrklage auf der Grundlage der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung beurteilt werden.
Das FG ist auch unter Abwägung der Interessenlage der Beteiligten zutreffend davon ausgegangen, daß mit der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung den Antragsgegnern kein unzumutbarer Nachteil droht. Bei dem geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch in Höhe von 3575,72 DM handelt es sich um eine relativ geringfügige Forderung der Antragsgegner aufgrund einer Prozeßvertretung vor dem FG. Da Schuldner der Forderung das FA ist, können - wenn dessen Vollstreckungsabwehrklage schließlich abgewiesen werden sollte - an der späteren Befriedigung des Kostenerstattungsanspruchs keine Zweifel bestehen. Die einstweilige Einstellung der Vollstreckung bewirkt also allenfalls eine zeitliche Verzögerung der Befriedigung der Antragsgegner (vgl. Senat in BFH/NV 1987, 253, 254 am Ende). Bei dieser Sachlage entsprach die getroffene Entscheidung dem pflichtgemäßen Ermessen des FG.
Fundstellen
Haufe-Index 419207 |
BFH/NV 1994, 218 |