Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Richterablehnung
Leitsatz (NV)
1. Ein Ablehnungsgesuch gegen einen Richter kann in der Regel nicht darauf gestützt werden, daß der Richter im Streitfall selbst oder in einem vorangegangenen Verfahren unrichtige Entscheidungen getroffen habe.
2. Mit der Beschwerde gegen den einen Befangenheitsantrag ablehnenden Beschluß können keine neuen Ablehnungsgründe geltend gemacht werden. Das gilt sowohl für solche neuen Tatsachen, die erst nach dem ablehnenden Beschluß entstanden sind, als auch für solche, die schon vorher vorlagen, dem Beschwerdeführer aber noch nicht bekannt waren.
3. Nach der Beendigung der Instanz kann kein Ablehnungsgesuch mehr gegen Richter der Instanz gestellt werden.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1 S. 1; ZPO §§ 42, 570
Tatbestand
Alsbald nach Erhebung der Klage wegen Einkommensteuer 1985 (Untätigkeitsklage gemäß § 46 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) teilte der Prozeßbevollmächtigte der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) dem Finanzgericht (FG) mit, daß er von Anfang August bis zum 26. September 1991 in Urlaub sei. Der Vorsitzende des zuständigen FG-Senats wies daraufhin den Prozeßbevollmächtigten der Kläger vorsorglich darauf hin, daß am 30. September 1991 und an weiteren späteren Terminen mündliche Verhandlungen in einer Reihe der zahlreichen von ihm eingereichten Untätigkeitsklagen stattfinden sollten. Das FG lud dann in der Sache der Kläger zur mündlichen Verhandlung auf den 30. September 1991. Die Ladung wurde dem Prozeßbevollmächtigten am 31. August 1991 zugestellt und dabei lt. Postzustellungsurkunde (PZU) persönlich übergeben.
In einem Schreiben von Anfang September 1991, das Ende September 1991 beim FG einging, beantragte der Prozeßbevollmächtigte Akteneinsicht beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) oder bei dem Amtsgericht B in der Zeit nach dem 26. September 1991. Der Vorsitzende des FG-Senats teilte dem Prozeßbevollmächtigten daraufhin mit Schreiben vom 24. September 1991 mit, daß eine Versendung der Akten wegen des bevorstehenden Termins zur mündlichen Verhandlung nicht erfolgen könne. Er stellte dem Prozeßbevollmächtigten jedoch anheim, die gewünschte Akteneinsicht am 27. September 1991 in der Geschäftsstelle des FG vorzunehmen. Der Prozeßbevollmächtigte der Kläger nahm die Akteneinsicht nicht wahr.
Mit dem Antrag auf Akteneinsicht hatte der Prozeßbevollmächtigte der Kläger zugleich den Antrag verbunden, den Termin zur mündlichen Verhandlung am 30. September 1991 aufzuheben. Den Antrag auf Terminverlegung lehnte der Vorsitzende des FG-Senats mit Entscheidung vom 24. September 1991 ab. Die mündliche Verhandlung wurde daher am 30. September 1991 durchgeführt.
In der mündlichen Verhandlung lehnte der Prozeßbevollmächtigte der Kläger den Vorsitzenden, den Vorsitzenden Richter am FG A, wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Er stützte das Ablehnungsgesuch auf die Umstände der Ladung zur mündlichen Verhandlung.
Der Vorsitzende Richter am FG A erklärte sich in einer dienstlichen Äußerung vom 30. September 1991 für nicht befangen.
Das FG wies das Ablehnungsgesuch zurück. Der Vorsitzende Richter am FG A wirkte dabei nicht mit.
Das FG ließ offen, ob das Ablehnungsgesuch zulässig sei. Jedenfalls sei es unbegründet.
Dagegen richet sich die Beschwerde der Kläger. Sie machen nach wie vor geltend, daß sich aus den Umständen der Ladung zur mündlichen Verhandlung, der Art und Weise der Gewährung der Akteneinsicht und der Ablehnung der Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung die Besorgnis der Befangenheit des Vorsitzenden Richters am FG A ergebe. Sie tragen außerdem - erstmals - noch weitere Gründe für die Besorgnis der Befangenheit dieses Richters vor. Diese Gründe leiten sie aus anderen Verfahren her, an denen sie selbst zwar nicht beteiligt waren, in denen ihr Prozeßbevollmächtigter aber aufgetreten ist. Ferner behaupten sie, daß der Vorsitzende Richter am FG A in einer Richterversammlung geäußert habe, er habe selbstverständlich die von ihrem Prozeßbevollmächtigten (für seine Mandanten) erhobenen Klagen ,,abgeschmiert und nach X gekarrt". Diese Äußerung sei in der Richterversammlung 1991 des FG gefallen, die vor der mündlichen Verhandlung in der Streitsache stattgefunden habe. Zur Glaubhaftmachung haben die Kläger eine schriftliche Erklärung des Richters am FG C vorgelegt.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben. Der Senat kann ebenso wie das FG offenlassen, ob das Gesuch auf Ablehnung des Vorsitzenden Richters am FG A auf Grund der vorgebrachten Gründe zulässig ist. Jedenfalls ist es unbegründet. Das FG hat das Ablehnungsgesuch daher zu Recht zurückgewiesen.
1. Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 42 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nur abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Ein derartiger Grund ist gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus, jedoch nach Maßgabe einer vernünftigen objektiven Betrachtung davon ausgehen kann, der Richter werde nicht unvoreingenommen entscheiden. Unerheblich ist, ob ein solcher Grund wirklich vorliegt (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555). Die von den Klägern in ihrem Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden Richter A vorgebrachten Gründe können nach Maßgabe einer vernünftigen, objektiven Betrachtung nicht die Besorgnis der Befangenheit dieses Richters rechtfertigen.
2. Dabei ist zunächst zu beachten, daß das Ablehnungsverfahren nicht gegen unrichtige Rechtsauffassungen eines Richters schützen soll. Insoweit stehen den Beteiligten die allgemeinen Rechtsbehelfe zur Verfügung. Das gilt auch für unrichtige Entscheidungen in Verfahrensfragen (BFH-Beschluß vom 24. August 1989 IV B 59/89, BFH/NV 1990, 308).
Die von den Kläger geltend gemachten Umstände der Ladung zur mündlichen Verhandlung, die Art und Weise der Gewährung der Akteneinsicht und die Ablehnung der Verlegung des Termins der mündlichen Verhandlung betreffen ausschließlich Rechtsfragen des gerichtlichen Verfahrens. Die Kläger leiten daraus eine Verweigerung der Akteneinsicht und eine damit verbundene Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ab. Ob diese rechtlichen Folgerungen der Kläger zutreffend sind, ist im Verfahren über die von den Klägern außerdem eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde zu prüfen.
Es ist auch kein unsachliches Verhalten des Vorsitzenden Richters A im Zusammenhang mit den von den Klägern geltend gemachten Vorgängen vor der mündlichen Verhandlung ersichtlich. Die Vorgehensweise des Vorsitzenden Richters A war vielmehr sachbezogen und aus seinen Rechtsauffassungen zu den auftretenden Verfahrensfragen begründet.
3. Der Vorwurf der Kläger, der Vorsitzende Richter A habe das nach ihrer Auffassung nicht eilbedürftige Klageverfahren mit einer unangemessenen Eile betrieben, vermag ebenfalls eine Besorgnis der Befangenheit nicht zu stützen. Es ist grundsätzlich Angelegenheit des FG und hier insbesondere des Vorsitzenden, die Reihenfolge der Behandlung der anhängigen Klageverfahren zu bestimmen. Es kann nicht den Parteien überlassen sein, über eine Richterablehnung letztlich die Reihenfolge und den Arbeitsablauf der vom FG zu treffenden Entscheidungen bestimmen zu wollen.
Im übrigen hat das FG in seinem Beschluß über die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs nachvollziehbare sachliche Gründe für die Terminierung des Klageverfahrens der Kläger dargelegt. Es kann nicht als sachfremd angesehen werden, wenn das FG entscheidungsreife Sachen zeitnah terminiert und zusätzlich berücksichtigt, daß eine Untätigkeitsklage vom Wesen her wegen der Verzögerung der Einspruchsentscheidung durch das FA auf eine möglichst schnelle Entscheidung durch das Gericht gerichtet ist.
4. Soweit die Kläger im Beschwerdeverfahren neue Umstände für die Besorgnis der Befangenheit des Vorsitzenden Richters am FG A vortragen, sind diese Gründe unbeachtlich. Mit der Beschwerde gegen den einen Befangenheitsantrag ablehnenden Beschluß des FG können keine neuen Ablehnungsgründe geltend gemacht werden (vgl. BFH-Beschluß vom 24. Juli 1990 X B 115/89, BFH/NV 1991, 253).
Das gilt sowohl für solche neuen Tatsachen, die erst nach dem den Befangenheitsantrag ablehnenden Beschluß entstanden sind, als auch für solche, die schon vorher vorlagen, den Beschwerdeführern aber noch nicht bekannt waren. Derartige neue Gründe müssen zunächst in einem neuen Ablehnungsgesuch an das FG geltend gemacht werden.
Dies ist allerdings nach der Beendigung der FG-Instanz nicht mehr möglich (vgl. BFH-Beschluß vom 26. März 1980 I B 23/80, BFHE 130, 20, BStBl II 1980, 335; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 51 Anm.3, jeweils m.w.N.). Im Streitfall haben die Kläger die neuen Umstände für die Besorgnis der Befangenheit des Vorsitzenden Richters am FG A erst nach der in der mündlichen Verhandlung vom 30. September 1991 erfolgten Verkündung des Urteils geltend gemacht. Es würde daher - über die Erweiterung des Verfahrensgegenstandes im Beschwerdeverfahren hinaus - auf die Zulassung der Ablehnung eines Richters auch noch nach Beendigung der Instanz hinauslaufen, wenn die Kläger ihre neu vorgebrachten Umstände für die Besorgnis der Befangenheit des Vorsitzenden Richters am FG A noch zulässig im Beschwerdeverfahren geltend machen könnten.
Fundstellen
Haufe-Index 418663 |
BFH/NV 1993, 309 |
BB 1992, 1991 |