Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen für die Annahme von Divergenz und Willkür
Leitsatz (NV)
1. Für die Prüfung, ob ein Zulassungsgrund i.S. von § 115 Abs. 2 FGO vorliegt, ist von den Verhältnissen im Zeitpunkt der Entscheidung über die Zulassung auszugehen.
2. Divergenz setzt u.a. voraus, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Abweichung und dem Ergebnis der Entscheidung nicht ausgeschlossen werden kann.
3. Willkür liegt nur vor, wenn der Richterspruch unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich der Schluss aufdrängt, er beruhe auf sachfremden Erwägungen.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2
Verfahrensgang
FG Münster (Urteil vom 08.12.2003; Aktenzeichen 5 K 101/03) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine Kreditgenossenschaft, hatte der S-GmbH (GmbH) einen Kredit in Höhe von 491 000 DM gewährt, der durch die Sicherungsübereignung von Gegenständen des Warenlagers der GmbH gesichert war. Die GmbH veräußerte die sicherungsübereigneten Gegenstände mit Rechnung vom 1. Februar 1998 mit Zustimmung der Klägerin an die K-GmbH, eine zweitrangige Sicherungsnehmerin. Ihrem eigenen Vortrag zufolge überließ die Klägerin dabei das Sicherungsgut der K-GmbH gegen die Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen, dass sie, die Klägerin, vorrangig hinsichtlich ihrer Ansprüche befriedigt werde. Die K-GmbH wiederum veräußerte das Sicherungsgut an Dritte.
Der Veräußerungserlös (491 000 DM) diente der Rückführung der Darlehensverbindlichkeit der GmbH gegenüber der Klägerin, allerdings wurde er nach Vortrag der Klägerin ihr nach Abzug der Verwertungskosten nur in Höhe von 400 000 DM ausgezahlt. Aufgrund eines Antrages vom 2. Februar 1998 wurde am 19. Februar 1998 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) nahm die Klägerin mit Bescheid vom 8. Juni 2001 gemäß § 55 Abs. 1 Ziff. 2 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung 1993 (UStDV) für die Umsatzsteuer aus der Verwertung des Sicherungsgutes in Haftung. Es sei im Zeitpunkt des Verkaufs zu einem Doppelumsatz gekommen, so dass die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Sicherungsnehmerin Empfängerin einer Lieferung durch den Sicherungsgeber außerhalb des Insolvenzverfahrens gewesen sei. Damit seien die Voraussetzungen der Haftung nach §§ 51 Abs. 1 Ziff. 2, 55 UStDV erfüllt.
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Zur Begründung seiner Entscheidung führte das Finanzgericht (FG) im Wesentlichen aus, es komme nicht auf die Verwertungsreife an, wenn tatsächlich für Rechnung des Sicherungsnehmers verwertet werde und es sei auch unerheblich, ob bereits ein anderer Sicherungsnehmer in Haftung genommen worden sei. Mit der Veräußerung des Sicherungsgutes durch die GmbH an die K-GmbH habe die Verwertung des Sicherungsguts begonnen und es sei ein sog. Doppelumsatz ausgeführt worden und zwar von der GmbH an die Klägerin und von dieser an die K-GmbH. Die Klägerin sei damit Empfängerin einer Lieferung durch den Sicherungsgeber an den Sicherungsnehmer außerhalb des Insolvenzverfahrens und als solche gemäß § 51 Abs. 1 Ziff. 2 UStDV verpflichtet gewesen, die Umsatzsteuer einzubehalten und an das FA abzuführen. Gemäß § 55 UStDV hafte die Klägerin für die anzumeldende und abzuführende Steuer.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin geltend, die Sache habe grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), die Fortbildung des Rechts erfordere eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs --BFH-- (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) und das Urteil des FG sei willkürlich.
Die Sache habe grundsätzliche Bedeutung, weil das FG den Doppelumsatz aus einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise herleite, dabei aber die zivilrechtliche und insolvenzrechtliche Rechtslage außer Acht lasse. Es sei in der Banken- und Insolvenzpraxis von grundsätzlicher Bedeutung, ob ein Doppelumsatz auch zu Gunsten des hinsichtlich seiner Sicherungsrechte zurücktretenden Sicherungsnehmers anzunehmen sei, wenn zunächst mehrere Sicherungsnehmer konkurrierend das gleiche Sicherungsgut innehatten.
Außerdem erfordere die Fortbildung des Rechts eine Beantwortung der Frage, ob eine Doppellieferung auch ohne Verwertungsreife angenommen werden könne, eine Entscheidung durch den BFH.
Das Urteil des FG sei außerdem willkürlich. Das FG habe es unterlassen, sich mit dem Haftungsbescheid des FA T gegenüber der K-GmbH auseinander zu setzen. Es bestehe der Verdacht, dass dies nur deshalb unterlassen worden sei, weil die K-GmbH "möglicherweise wegen späterer Insolvenz den Haftungsbescheid des Finanzamts T nicht mehr erfüllen konnte".
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Nach § 115 Abs. 2 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Die Nichtzulassung kann mit der Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 FGO). In der Beschwerdebegründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
1. Grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO kommt einer Rechtssache nach ständiger Rechtsprechung des BFH zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BFH-Beschluss vom 7. August 2002 I B 151/01, BFH/NV 2003, 60). Die grundsätzliche Bedeutung muss im Hinblick auf eine klärungsbedürftige Rechtsfrage gegeben sein. Eine Rechtsfrage ist u.a. dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie bereits durch die Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH erforderlich machen (BFH-Beschluss vom 22. September 1999 II B 130/97, BFH/NV 2000, 320).
Dabei ist für die Prüfung, ob ein Zulassungsgrund i.S. von § 115 Abs. 2 FGO vorliegt, von den Verhältnissen im Zeitpunkt der Entscheidung über die Zulassung auszugehen (BFH-Beschluss vom 7. Dezember 1999 IV B 56/99, BFH/NV 2000, 552). Daher ist die neuere Rechtsprechung des Senats zur Verwertung von Sicherungsgut, mit der nunmehr statt eines Doppelumsatzes --wie bisher-- nunmehr ein Dreifachumsatz vorliegt (BFH-Urteile vom 30. März 2006 V R 9/03, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2006, 395; vom 6. Oktober 2005 V R 20/04, BFH/NV 2006, 222), in die Beurteilung einzubeziehen.
Die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen sind nicht klärungsbedürftig. Die umsatzsteuerliche Rechtslage bei der Verwertung von Sicherungsgut durch den Sicherungsgeber im eigenen Namen, aber für Rechnung des Sicherungsnehmers, ist durch die genannten Entscheidungen geklärt. Geklärt ist insbesondere auch, dass die Verwertung des Sicherungsguts durch den Sicherungsgeber für Rechnung des Sicherungsnehmers nicht voraussetzt, dass der Sicherungsfall infolge Zahlungsverzugs des Sicherungsgebers eingetreten ist, mithin Verwertungsreife vorgelegen hat. Es reicht aus, dass der Sicherungsgeber im Auftrag des Sicherungsnehmers mit Rücksicht auf dessen wirklichen oder mutmaßlichen Willen das Sicherungsgut veräußert und den Veräußerungserlös an den Sicherungsnehmer herausgibt (BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 222).
2. Es liegt auch kein Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative FGO vor. Eine die Rechtseinheit gefährdende Abweichung setzt u.a. voraus, dass das FG seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der mit den tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung nicht übereinstimmt (BFH-Beschlüsse vom 27. April 1999 III B 43/98, BFH/NV 1999, 1477; vom 4. Mai 2000 I B 121/99, BFH/NV 2000, 1477; vom 8. Mai 2000 VIII B 78/99, BFH/NV 2000, 1201). Der Beschwerdeführer muss dabei tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen FG-Urteil einerseits und aus der behaupteten Divergenzentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) oder des BFH andererseits herausarbeiten und einander gegenüberstellen, um so eine Abweichung zu verdeutlichen. Hieran fehlt es.
a) Zwar hat sich die Rechtsprechung des Senats zur umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung der Verwertung von Sicherungsgut seit Ergehen des FG-Urteils geändert. Das FG-Urteil, das noch auf der alten Rechtsprechung zum Doppelumsatz beruht, steht deshalb in einem gewissen Widerspruch zur neueren Rechtsprechung zum Dreifachumsatz. Es liegt aber gleichwohl keine Abweichung vor, weil die abweichend beantwortete Frage vorliegend nicht rechtserheblich war. Das ist nur der Fall, wenn ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Abweichung und dem Ergebnis der Entscheidung nicht ausgeschlossen werden kann (BFH-Beschluss vom 30. Juli 1997 II B 37/97, BFH/NV 1998, 436). Vorliegend liegt aber auch unter Zugrundelegung der Rechtsprechung zum Dreifachumsatz zumindest auch eine Lieferung der GmbH an die Klägerin vor. Insoweit besteht zwischen der vom FG noch angewandten Rechtsprechung zum Doppelumsatz und der zum Dreifachumsatz im Ergebnis kein Unterschied.
b) Die Klägerin rügt zu Unrecht eine Abweichung des FG-Urteils vom Urteil des Senats vom 9. März 1995 V R 102/89 (BFHE 177, 520, BStBl II 1995, 564). Die Klägerin hat zwar abstrakte Rechtssätze aus dem Urteil des Senats vom 9. März 1995 (a.a.O.) herausgearbeitet, nicht aber Rechtssätze des FG-Urteils, die damit im Widerspruch stehen.
3. Soweit die Klägerin geltend macht, das FG habe den Sachverhalt falsch gewürdigt und ihm seien bei der Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts Fehler unterlaufen, rechtfertigt das nicht die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO (BFH-Beschlüsse vom 2. April 1997 V B 26/96, BFHE 182, 430, BStBl II 1997, 443; vom 27. März 2003 V B 184/01, BFH/NV 2003, 1071).
4. Die Klägerin rügt auch zu Unrecht, das Urteil des FG sei willkürlich. Willkür stellt zwar einen Zulassungsgrund gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative FGO dar. Sie setzt aber voraus, dass die Rechtslage in krasser Weise verkannt wird. Das ist erst der Fall, wenn der Richterspruch unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich der Schluss aufdrängt, er beruhe auf sachfremden Erwägungen (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Mai 1984 1 BvR 967/83, BVerfGE 67, 90). Hierfür bieten weder die Akten noch der Vortrag der Klägerin einen Anhaltspunkt. Das gilt insbesondere auch für die Unterstellung der Klägerin, das FG habe sich davon leiten lassen, dass ein Haftungsbescheid des Finanzamtes T gegen die K-GmbH möglicherweise wegen späterer Insolvenz nicht mehr habe erfüllt werden können. Für eine solche Annahme gibt es über die Behauptung der Klägerin hinaus keine Anhaltspunkte. Im Übrigen entsprechen die Ausführungen des FG zur Rechtslage bei Vorliegen mehrerer Haftungsbescheide auf Seite 10 des FG-Urteils den gesetzlichen Regelungen.
Fundstellen