Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Gutglaubensschutz, wenn Nichterfüllung umsatzsteuerlicher Pflichten durch leistenden Unternehmer bekannt sein musste
Leitsatz (NV)
1. Hat das FG festgestellt, dass der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit der in einer Rechnung ausgewiesenen Anschrift des leistenden Unternehmers (§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UStG) hätte erkennen müssen, ist die Rechtsfrage, ob auf Grund der Rechtsprechung des EuGH Gutglaubensschutz zu gewähren ist, im Revisionsverfahren nicht klärungsfähig.
2. Die Rechtsfrage, wie der Begriff "Kennen müssen" zu verstehen ist, ist nicht klärungsbedürftig.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2; UStG § 14 Abs. 1, § 15
Verfahrensgang
FG Köln (Urteil vom 21.09.2006; Aktenzeichen 2 K 2713/01) |
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde kann keinen Erfolg haben.
1. Soweit der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) nach § 115 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geklärt wissen möchte, ob "die Nichterfüllung umsatzsteuerlicher Pflichten des leistenden Unternehmers bei Gutgläubigkeit des Leistungsempfängers generell nicht zu einer Versagung des Vorsteuerabzugs beim Leistungsempfänger führt" und ob "bei missbräuchlichem Handeln des Lieferanten der Schutz des guten Glaubens entfällt und zu einer Versagung des Vorsteuerabzugs führt, wenn der Leistungsempfänger dessen betrügerische Absicht kannte oder hätte kennen müssen", ist sein Vortrag schon teilweise unschlüssig. Zudem ist die Frage nach einem Gutglaubensschutz des Leistungsempfängers im Rahmen des § 15 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) höchstrichterlich geklärt.
Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), dass § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG einen Schutz des guten Glaubens an die Erfüllung der Vorsteuerabzugsvoraussetzungen grundsätzlich nicht vorsieht (vgl. BFH-Beschluss vom 30. Oktober 2001 V B 92/01, BFH/NV 2002, 381, m.w.N.). Soweit der Kläger unter Hinweis auf die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 12. Januar 2006 Rs. C-354/03 u.a. (Slg. 2006, I-483, BFH/NV 2006, Beilage 2, 144) noch Klärungsbedarf sieht, ist diese Entscheidung schon deshalb nicht einschlägig, weil sie einen Mehrwertsteuerbetrug bei einem anderen Umsatz innerhalb einer Lieferkette und nicht bei dem zu beurteilenden Umsatz betraf. Im Übrigen ist der Vortrag des Klägers auch deswegen unschlüssig, weil er im Folgenden zutreffend die Auffassung des EuGH darlegt, wonach ein Leistungsempfänger Vorsteuer nur bei Gutgläubigkeit geltend machen kann. Die von ihm zitierte Rechtsprechung knüpft das Recht auf Vorsteuerabzug ausdrücklich daran, ob der Steuerpflichtige von dem Betrug keine Kenntnis hatte oder haben konnte (vgl. Leitsatz Satz 2: "… ohne dass dieser Steuerpflichtige hiervon Kenntnis hat oder haben kann …"). Aus den vom Kläger zitierten Literaturstellen (Nieskens, EU-Umsatz-Steuer-Berater --EU-UStB-- 2006, 19; Huschens, EU-UStB 2006, 37) ergibt sich nichts anderes.
2. Es ist auch weder schlüssig dargelegt noch ersichtlich, aus welchen Gründen der Begriff des "Kennen müssen" als solcher klärungsbedürftig sein soll. Nach der Rechtsprechung des EuGH kommt es darauf an, ob der Steuerpflichtige Kenntnis hatte oder hätte haben können (vgl. auch EuGH-Urteile vom 6. Juli 2006 Rs. C-439, 440/04, Slg. 2006, I-6161, BFH/NV 2006, Beilage 4, 454; vom 11. Mai 2006 Rs. C-384/04, Slg. 2006, I-4191, BFH/NV 2006, Beilage 3, 312: "wusste oder für den hinreichende Verdachtsgründe dafür bestanden …"). Ob ein Steuerpflichtiger in diesem Sinne gutgläubig war, oder ob sich ihm Verdachtsmomente aufdrängen mussten, ist keine Rechtsfrage i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 FGO, sondern letztlich eine im Einzelfall zu entscheidende Tatfrage (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 19. April 2007 V R 48/04, BFHE 217, 194, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2007, 1234, mit Anm. von Martin, HFR 2007, 1238).
3. Soweit der Kläger im Zusammenhang mit der Anwendung des § 160 der Abgabenordnung (AO) Verletzung des § 76 Abs. 1 FGO rügt, entsprechen seine Ausführungen nicht den von § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gestellten Anforderungen. Wird ein Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht --wie hier-- mit der Begründung gerügt, das Finanzgericht (FG) hätte auch ohne entsprechenden Beweisantritt von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufklären müssen, so sind u.a. Ausführungen dazu erforderlich, dass die Verletzung der Sachaufklärungspflicht in der mündlichen Verhandlung gerügt worden ist (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 120 Rz 70, m.w.N.). Daran fehlt es. Im Übrigen enthält auch das Protokoll über die mündliche Verhandlung keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger dem FG die Einvernahme des nach seinen Angaben in Schweden inhaftierten Zeugen "nahe gelegt" hat. Die Rüge mangelnder Sachaufklärung durch die Finanzverwaltung wird von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO nicht erfasst (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 77, m.w.N.).
4. Die Rüge, das FG habe § 160 AO unzutreffend angewendet, betrifft die Richtigkeit der Vorentscheidung. Die Aufzählung der Zulassungsgründe in § 115 Abs. 2 FGO ist jedoch abschließend (vgl. "ist nur zuzulassen").
Fundstellen
Haufe-Index 1985489 |
BFH/NV 2008, 1212 |