Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Der Rechtsgedanke des § 140 Abs. 3 FGO, nach dem der Streitwert unter Berücksichtigung der Sachanträge der Beteiligten nach freiem Ermessen zu bestimmen ist, gilt auch für die Streitwertfestsetzung nach § 255 Abs. 1 AO.
Im Verfahren der Fehleraufdeckung nach § 222 Abs. 1 Nr. 4 AO richtet sich der Streitwert nach dem finanziellen Interesse des Steuerpflichtigen an der Herabsetzung der Steuer durch die angestrebte nachfolgende Berichtigungsveranlagung.
Normenkette
AO § 222 Abs. 1 Nr. 4, § 255 Abs. 1; FGO § 140 Abs. 3
Tatbestand
Die Oberfinanzdirektion (OFD) hatte den Antrag des Beschwerdeführers (Steuerpflichtigen - Stpfl. -), bei den Einkommensteuerveranlagungen 1950 bis 1953 nach § 222 Abs. 1 Nr. 4 AO Fehler aufzudecken, abgelehnt. Die Beschwerde dagegen wies das Bayerische Staatsministerium der Finanzen durch Beschwerdeentscheidung vom 25. Juli 1966 als unbegründet zurück und setzte den Streitwert auf 354.800 DM fest. Gegen diese Streitwertfestsetzung rief der Stpfl. die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) an mit dem Antrag, den Streitwert auf 50.000 DM zu ermäßigen. Das FG änderte den Streitwert nur geringfügig auf 350.700 DM ab. Es hat ausgeführt, nach ständiger Rechtsprechung richte sich die Höhe des Streitwerts nach dem finanziellen Interesse des Rechtsmittelführers. Der Stpfl. habe mit seinem Antrag auf Fehleraufdeckung die Anordnung von Berichtigungsveranlagungen auf der Grundlage einer anderen Warenbewertung und damit eine Minderung der Einkommensteuer um 350.700 DM erstrebt. Dieser Betrag entspreche deshalb dem sich aus dem Sachantrag ergebenden finanziellen Interesse des Klägers. Das Bayerische Staatsministerium der Finanzen sei zutreffend von dieser überlegung ausgegangen; ihm sei dabei nur ein geringfügiger Fehler unterlaufen, den das FG beseitigt habe.
Mit der Beschwerde macht der Stpfl. geltend, es sei zwischen dem Verfahren der Fehleraufdeckung und dem diesem gegebenenfalls nachfolgenden Verfahren der Veranlagungsberichtigungen zu unterscheiden. Die Fehleraufdeckung sei nur ursächlich für die Anordnung von Berichtigungsveranlagungen, nicht hingegen für die Höhe der dann streitig werdenden Steuerbeträge. Der Antrag auf Fehleraufdeckung sei lediglich auf die Abgabe einer Willenserklärung gerichtet. Sein Streitwert bestimme sich deshalb nach dem Interesse an der Abgabe der Erklärung. Dieses Interesse sei nach der gefestigten zivilrechtlichen Rechtsprechung, die nach § 155 FGO auch hier anzuwenden sei, auf etwa 1/10 des Leistungsanspruchs zu bemessen.
Der Stpfl. hat Aufhebung der Vorentscheidung und Festsetzung des Streitwerts auf 50.000 DM, die OFD hat Zurückweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet. Nach § 140 Abs. 3 FGO ist der Streitwert unter Berücksichtigung der Sachanträge der Beteiligten nach freiem Ermessen zu bestimmen. Für das Verwaltungsvorverfahren fehlt eine entsprechende ausdrückliche Vorschrift (§ 255 Abs. 1 AO). Es bestehen aber keine Bedenken, den Rechtsgedanken des § 140 Abs. 3 FGO auch auf das Verwaltungsvorverfahren anzuwenden. Die Interessenlage ist insoweit im Vorverfahren nicht anders als im nachfolgenden Gerichtsverfahren. Außerdem entspricht diese Streitwertbestimmung der bisherigen Rechtsprechung des BFH zu § 320 AO a. F.
Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß sich die Höhe des Streitwerts nach dem finanziellen Interesse des Rechtsmittelführers richtet. Kommt es in einem Verfahren zu einer Steuerfestsetzung, so ist im allgemeinen als Streitwert der Steuerbetrag anzusetzen, der zwischen den Beteiligten streitig ist. Im Verfahren der Fehleraufdeckung nach § 222 Abs. 1 Nr. 4 AO geht es allerdings noch nicht unmittelbar um einen bestimmten Steuerbetrag, sondern um die Feststellung eines Veranlagungsfehlers durch die Aufsichtsbehörde. Das finanzielle Interesse des Steuerpflichtigen an der Aufdeckung des Fehlers steht aber in engem Zusammenhang mit der nachfolgenden Berichtigung der Steuerfestsetzung. Im Streitfall hat der Stpfl. die Fehleraufdeckung nicht um ihrer selbst willen beantragt, sondern um anschließend eine Herabsetzung seiner Einkommensteuer für die Jahre 1950 bis 1953 zu erreichen. Das FG hat deshalb zu Recht angenommen, daß das finanzielle Interesse an der Fehleraufdeckung gleich hoch ist wie das finanzielle Interesse an der späteren Herabsetzung der Steuer. Diese Auffassung steht im Einklang mit der Rechtsprechung, nach der grundsätzlich der Streitwert eines Verfahrens, in dem es nicht unmittelbar um einen bestimmten Steuerbetrag geht (z. B. einem Feststellungsverfahren), bestimmt wird durch die Auswirkungen der Entscheidung auf die Höhe der Steuern (Gutachten des RFH, Gr.S. D 3/38 vom 28. Mai 1938, RStBl 1938, 554; BFH-Urteile I 207/55 U vom 9. Oktober 1956, BFH 63, 484, BStBl III 1956, 382, und III 414/58 U vom 14. Juni 1960, BFH 71, 324, BStBl III 1960, 370). Daß die Auswirkungen vielfach nach pauschalierten Hundertsätzen berücksichtigt werden, dient der Vereinfachung und ändert nichts am Grundsätzlichen.
Der Einwand des Stpfl., es sei völlig offen, welche Wirkung die begehrte Fehleraufdeckung für das nachfolgende Berichtigungsverfahren ausüben werde, schlägt nicht durch. Für den Streitwert kommt es auf das sich aus dem Antrag ergebende Begehren an, nicht auf den schließlichen Erfolg. Es ist nichts dafür vorgetragen, daß der Stpfl. nicht die volle Auswirkung der von ihm behaupteten Fehler im Berichtigungsverfahren beanspruchen will. Daß die von ihm erstrebte Steuerminderung sich auf 350.700 DM beläuft, hat er selbst behauptet und ergibt sich auch aus dem abgeschlossenen Verfahren vor dem BFH I 98/63.
Fundstellen
Haufe-Index 424224 |
BStBl III 1967, 521 |
BFHE 1967, 63 |
BFHE 89, 63 |