Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Frage der ordnungsgemäßen Besetzung eines BFH-Senats bei sog. Dreierbeschlüssen; kein Fall des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO, wenn der Tatbestand eines Urteils unvollständig ist
Leitsatz (NV)
1. Ein Gebot zur konkreten Vorabbestimmung, welche Mitglieder eines Senats des BFH im Laufe des Geschäftsjahres bei sog. Dreierbeschlüssen mitwirken, läßt sich aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht herleiten. Anhand dieser Vorschrift ist lediglich zu prüfen, ob der Vorsitzende bei der Bestimmung von Berichterstatter und Mitberichterstatter willkürfrei verfahren ist.
2. § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO betrifft nicht den Fall, daß eine Entscheidung den Tatbestand nicht oder nicht vollständig wiedergibt. Sind die tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung im Urteil unzureichend dargestellt, so ist dieser Mangel vielmehr mit dem Antrag auf Tatbestandsberichtigung (§ 108 FGO) geltend zu machen oder mittels sog. einfacher Verfahrensrügen (im Rahmen einer zugelassenen Revision oder mit der Nichtzulassungsbeschwerde).
Normenkette
GG Art. 101 Abs. 1 S. 2; FGO § 10 Abs. 3 Hs. 2, § 116 Abs. 1 Nr. 5, §§ 108, 115 Abs. 3
Tatbestand
Mit seiner Klage wegen Einkommensteuer 1984 (Streitjahr) begehrte der Kläger und Revisionskläger (Kläger) zunächst in erster Linie einen höheren Kinderfreibetrag. Das Finanzgericht (FG) ordnete deswegen mit Beschluß vom 1. Oktober 1987 - im Hinblick auf das beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängige Verfahren 1 BvL 72/86 - das Ruhen des Klageverfahrens an.
Mit Schriftsatz vom 12. Januar 1990 erstreckte der Kläger sein Begehren auch auf die Gewährung eines höheren Grundfreibetrages. Gleichzeitig beantragte er, das Verfahren ruhen zu lassen, bis über die Revision gegen das Urteil des FG Köln vom 14. Juli 1988 5 K 424/88 (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1988, 581) entschieden worden sei.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erließ am 7. Februar 1992 einen Änderungsbescheid, mit dem § 54 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 1991 Rechnung getragen und ein Kinderfreibetrag von 2432 DM gewährt wurde. Der Kläger machte diesen Bescheid gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens.
Das FG wies die Klage mit Urteil vom 1. April 1993 als unbegründet ab.
Der Kläger hat gegen diese Entscheidung neben der Nichtzulassungsbeschwerde (Verfahren III B 62/93) gleichzeitig auch Revision eingelegt.
Er stützt die Revision auf § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO und führt dazu im wesentlichen aus: Das FG habe den Ruhensbeschluß vom 1. Oktober 1987 sowie den Antrag auf Ruhen des Verfahrens vom 12. Januar 1990 mit Stillschweigen übergangen. Deswegen sei das angefochtene Urteil in wesentlichen Punkten unvollständig.
Weiter hat der Kläger geltend gemacht, die Zusammensetzung der Richterbank, in der der III.Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) über sein Rechtsmittel entscheiden werde, entspreche nicht Art. 101 des Grundgesetzes - GG - (Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unzulässig.
1. Der Senat ist nicht wegen seiner Besetzung an der Entscheidung der Streitsache gehindert. Eine Überbesetzung (mit insgesamt sechs Richtern) liegt seit dem Eintritt des Vorsitzenden Richters am BFH A in den Ruhestand am 28. Februar 1994 nicht mehr vor. Ein Gebot zur konkreten Vorabbestimmung, welche Mitglieder des Senats im Laufe des Geschäftsjahres bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung (§ 10 Abs. 3 Halbsatz 2 FGO) mitwirken, läßt sich aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht herleiten. Anhand dieser Vorschrift ist lediglich zu prüfen, ob der Vorsitzende bei der Bestimmung von Berichterstatter und Mitberichterstatter willkürfrei verfahren ist (vgl. auch den BFH-Beschluß vom 29. Januar 1992 VIII K 4/91, BFHE 165, 569, BStBl II 1992, 252). Anhaltspunkte für eine willkürliche Maßnahme sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Bestimmung von Berichterstatter und Mitberichterstatter im Streitfall entspricht vielmehr allgemeinen mündlich und schriftlich festgelegten Grundsätzen des Senats. Danach ist für das Aufgabengebiet Kinderlastenausgleich in erster Linie Richter am BFH B als Berichterstatter zuständig. Die Bestimmung des Mitberichterstatters entspricht dem senatsinternen Mitwirkungsplan i.d.F. ab 2. März 1994. Nach dessen Abschn. II Nrn. 3 und 4 ist für das gleichzeitig zu entscheidende Beschwerdeverfahren des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision Richter am BFH C Mitberichterstatter (s. hierzu näher den Senatsbeschluß vom selben Tage in der Sache III B 62/93, NV). Damit ist Richter am BFH C gemäß Abschn. II Nr. 6 des senatsinternen Mitwirkungsplanes auch für das vorliegende Revisionsverfahren als Mitberichterstatter einsetzbar, da nach dieser Regelung ein Richter zum Mitberichterstatter bestimmt werden kann, wenn dieser als Mitberichterstatter mit einer Parallelsache befaßt ist. - Ungeachtet dessen wäre Richter am BFH C auch nach Ab-schn. II Nr. 3 des senatsinternen Mitwirkungsplanes im Streitfall zum Mitberichterstatter berufen. Danach ergibt sich der Mitberichterstatter im Regelfall aus den Endziffern der Geschäftsnummern des Senats; für die Endziffer 4 - das Revisionsverfahren hat das Aktenzeichen III R 44/93 - ist Richter am BFH C Mitberichterstatter.
2. Die Revision ist bereits unzulässig.
Der vom Kläger behauptete Verfahrensmangel fällt nicht unter § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO.
Diese Vorschrift betrifft nicht den Fall, daß eine Entscheidung den Tatbestand nicht oder nicht vollständig wiedergibt. Sind die tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung im Urteil unzureichend dargestellt, so ist dieser Mangel nicht mit der Rüge nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO, sondern mit dem Antrag auf Tatbestandsberichtigung (§ 108 FGO) geltend zu machen oder mittels sog. einfacher Verfahrensrügen (im Rahmen einer zugelassenen Revision oder mit der Nichtzulassungsbeschwerde; vgl. hierzu Ruban in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 119 Anm. 23, zur insoweit identischen Vorschrift des § 119 Nr. 6 FGO).
Im Streitfall macht der Kläger geltend, das FG habe sich in der Urteilsbegründung nicht mit der von diesem früher getroffenen Ruhensanordnung sowie seinem, des Klägers, weiteren Antrag auf Ruhen des Verfahrens auseinandergesetzt. Diese Rüge betrifft nach den obigen Ausführungen jedoch nicht das Fehlen einer rechtlichen Begründung der Entscheidung selbst, sondern allenfalls einen Fehler des - vor oder bei der Findung der Entscheidung - zu beachtenden gerichtlichen Verfahrens; ein solcher Fehler wäre im Streitfall mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend zu machen (vgl. hierzu auch den BFH-Beschluß vom 17. September 1991 X R 19/91, BFH/NV 1992, 750).
Fundstellen
Haufe-Index 419899 |
BFH/NV 1994, 885 |