Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung: Hinweis auf Urteil in einer Parallelsache kein Ablehnungsgrund
Leitsatz (NV)
Der Hinweis auf ein in einer Parallelsache ergangenes Urteil begründet nicht die Besorgnis, dass die Richter der Partei gegenüber nicht unvoreingenommen sein werden. Denn auch eine in dem Hinweis auf die Entscheidung möglicherweise zum Ausdruck kommende Meinungsäußerung der abgelehnten Richter spricht nicht gegen deren Unvoreingenommenheit und Objektivität.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1 S. 1; ZPO § 42
Tatbestand
Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) haben gegen eine Grunderwerbsteuerfestsetzung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt ―FA―) Klage beim Finanzgericht (FG) erhoben. In dieser Sache wurde vom Vorsitzenden des geschäftsplanmäßig zuständigen 1. Senats des FG Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 4. November 1998 anberaumt. Der Ladung an die Beteiligten war eine Kopie eines ―vom 2. Senat des FG in einer Parallelsache erlassenen― Urteils beigefügt. Die Ladung enthielt hierzu folgenden Zusatz:
"Das Urteil des 2. Senats des FG … wird in einer neutralisierten Fassung zu den Akten genommen. Sie erhalten eine Kopie davon."
Am 28. Oktober 1998 beantragten die Kläger, die Richter des 1. Senats des FG wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Es sei zu befürchten, dass diese geneigt seien, der Entscheidung des 2. Senats inhaltlich und vorbehaltlos zu folgen. Die Besorgnis der Befangenheit werde auch dadurch verstärkt, dass das FG den von ihnen benannten Zeugen nicht zum Termin geladen habe.
Die nach der Geschäftsverteilung des 1. Senats des FG zur Entscheidung über den Rechtsstreit berufenen Richter, A, B und C, haben sich zum Befangenheitsantrag der Kläger dienstlich geäußert. In den dienstlichen Äußerungen wurden u.a. die Umstände mitgeteilt, die zur Einführung des Urteils des 2. Senats des FG in das vorliegende Verfahren geführt haben.
Die dienstlichen Äußerungen der Richter wurden dem Prozessbevollmächtigten der Kläger zur Stellungnahme übersandt.
Nachdem den Klägern mitgeteilt worden war, dass der von ihnen als befangen abgelehnte A dem 1. Senat nicht mehr angehöre, teilten diese mit, das Ablehnungsgesuch insoweit nicht weiterzuverfolgen.
Durch Beschluss vom 23. September 1999 hat das FG das Ablehnungsgesuch der Kläger abgelehnt. An diesem Beschluss haben die für befangen gehaltenen Richter B und C nicht mitgewirkt. In diesem Beschluss wird ausgeführt, dass die Übersendung der anonymisierten Fassung der Entscheidung des 2. Senats des FG im Rahmen der Gewährung des rechtlichen Gehörs erfolgt und geboten gewesen sei und daraus nicht geschlossen werden könne, die abgelehnten Richter stünden weiterem Sach- und Rechtsvortrag der Beteiligten nicht mehr aufgeschlossen und unvoreingenommen gegenüber. Die Übersendung des Urteils in der Parallelsache sei nicht mit der Beurteilung der Prozesschancen verbunden worden. Auch der Umstand, dass ein von den Klägern benannter Zeuge vom FG zur mündlichen Verhandlung nicht geladen worden sei, rechtfertige nicht die Annahme der Besorgnis der Befangenheit des Berichterstatters. Es sei den Klägern unbenommen geblieben, den Zeugen zur mündlichen Verhandlung zu stellen oder einen förmlichen Beweisantrag zu stellen. Umstände, die die Besorgnis rechtfertigten, über einen solchen Beweisantrag werde nicht unvoreingenommen entschieden, lägen nicht vor.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Beschwerde der Kläger, der seitens des FG nicht abgeholfen wurde.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 42 der Zivilprozeßordnung kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund dafür vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Ein derartiger Grund ist gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus, jedoch nach Maßgabe einer vernünftigen, objektiven Betrachtung, davon ausgehen kann, der Richter werde nicht unvoreingenommen entscheiden (vgl. z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 15. Mai 1997 XI B 125/96, BFH/NV 1997, 791).
Der angefochtene Ablehnungsbeschluss lässt keine Rechtsfehler bei der Anwendung dieser Grundsätze erkennen. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern der Hinweis auf ein in einer Parallelsache ergangenes Urteil die Besorgnis begründen könnte, dass die betreffenden Richter der Partei gegenüber nicht unvoreingenommen sein werden. Denn auch eine in dem Hinweis auf die Entscheidung möglicherweise zum Ausdruck kommende Meinungsäußerung der abgelehnten Richter spricht nicht gegen deren Unvoreingenommenheit und Objektivität (BFH-Beschluss vom 8. Dezember 1998 VII B 227/98, BFH/NV 1999, 661). Durch das Institut der Richterablehnung sollen die Beteiligten vor Unsachlichkeit geschützt werden. Es ist kein geeignetes Mittel, sich gegen unrichtige bzw. für unrichtig gehaltene Rechtsauffassungen eines Richters zu wehren, gleichgültig, ob diese Ansichten formelles oder materielles Recht betreffen (BFH-Beschlüsse vom 17. Juli 1974 VIII B 29/74, BFHE 112, 457, BStBl II 1974, 638, und vom 16. Februar 1989 X B 99/88, BFH/NV 1989, 708). Es ist auch nicht Sinn dieses Instituts, den Beteiligten die Möglichkeit zu eröffnen, nach ihrem Belieben Einfluss auf die Besetzung der Richterbank zu nehmen (BFH-Beschlüsse vom 10. März 1972 VI B 141/70, BFHE 105, 316, BStBl II 1972, 570, und vom 7. April 1988 X B 4/88, BFH/NV 1989, 587). Allein aus dem Hinweis auf eine anderweitig vertretene, für den Betroffenen ungünstige Rechtsansicht kann kein Ablehnungsgrund hergeleitet werden (BFH-Beschlüsse vom 2. März 1978 IV R 120/76, BFHE 125, 12, BStBl II 1978, 404; vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555, und in BFH/NV 1989, 587, m.w.N.).
Auch im Übrigen sind durchgreifende Ablehnungsgründe nicht festzustellen, soweit die Kläger geltend machen, der von ihnen benannte Zeuge sei nicht zur mündlichen Verhandlung geladen worden (vgl. BFH-Beschluß vom 15. Oktober 1996 VII B 272/95, BFH/NV 1997, 357).
Fundstellen
Haufe-Index 426197 |
BFH/NV 2000, 1229 |