Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensmangel: Verstoß gegen den gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan
Leitsatz (NV)
1. Für die Geschäftsverteilung ist der vom Präsidium beschlossene und in der vom Präsidenten bestimmten Geschäftsstelle des FG zur Einsichtnahme aufgelegte Geschäftsverteilungsplan (§ 21e Abs. 1 Satz 1, Abs. 9 GVG) maßgebend, nicht auf der Website des Gerichts veröffentlichte Pläne oder Übersichten.
2. Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Geschäftsverteilungsplans bestehen nicht, wenn die nachträgliche ("unterjährige") Änderung des gerichtlichen Geschäftsverteilungsplans durch die Einrichtung eines weiteren Senats und die damit naturgemäß einhergehende "ungenügende Auslastung des Spruchkörpers" i.S. des § 21e Abs. 3 Satz 1 GVG veranlasst ist.
Normenkette
GVG § 21e Abs. 1, 9, 3; FGO § 4
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 05.11.2020 - 8 K 966/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), zuzulassen.
Rz. 2
1. Der vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) gerügte Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters (§ 119 Nr. 1 FGO, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes --GG--) liegt nicht vor.
Rz. 3
a) Ein Verstoß gegen den gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan führt nur dann zu einem Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO und § 119 Nr. 1 FGO, wenn er sich zugleich als Verletzung des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) darstellt (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 23.11.2011 - IV B 30/10, BFH/NV 2012, 431). Dies ist allein bei willkürlichen Verstößen gegen diese Verfahrensvorschriften der Fall. Von Willkür kann nur dann die Rede sein, wenn die Entscheidung sich so weit von dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt hat, dass sie nicht mehr zu rechtfertigen ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom 19.02.2014 - I B 14/13, BFH/NV 2014, 880, Rz 4; vom 13.01.2016 - IX B 94/15, BFH/NV 2016, 581, Rz 5; Gräber/Herbert, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 4 Rz 27, m.w.N.).
Rz. 4
b) "Erkennendes Gericht" i.S. des § 119 Nr. 1 FGO ist das Gericht in der Besetzung bei der abschließenden Entscheidung. Maßgebend für die Ordnungsmäßigkeit der Besetzung des Spruchkörpers ist der für diesen Zeitpunkt geltende Geschäftsverteilungsplan des Gerichts; er regelt konstitutiv auch die Zuständigkeit des Spruchkörpers für bereits anhängige Sachen. Denn der Geschäftsverteilungsplan einschließlich etwaiger Änderungen wirkt nur für die Dauer eines Geschäftsjahres (Jährlichkeitsprinzip) und tritt an dessen Ende ohne weiteres Zutun außer Kraft (vgl. BFH-Beschlüsse vom 11.07.2006 - IX B 179/05, BFH/NV 2006, 1873, unter II.1.a, Rz 5; in BFH/NV 2012, 431, Rz 5; jeweils m.w.N. aus der Rechtsprechung).
Rz. 5
§ 21e Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) i.V.m. § 4 FGO verbietet es nicht, durch den jährlichen Geschäftsverteilungsplan bereits anhängige Sachen einem anderen Spruchkörper zuzuweisen als dem, bei dem sie im Zeitpunkt ihres Einganges anhängig geworden sind. Hierbei ist jedoch --wie bei der Verteilung der Geschäfte allgemein-- das Abstraktionsprinzip zu beachten. Der jeweilige Geschäftsverteilungsplan muss die Aufgaben nach allgemeinen, abstrakten und objektiven Merkmalen (d.h. nicht speziell, sondern generell) verteilen. Dies schließt zwar nicht aus, bereits anhängige, neu zu verteilende Sachen --soweit notwendig-- in gewissem Umfang zu konkretisieren. Keinesfalls dürfen aber einzelne ausgesuchte Sachen einem anderen Spruchkörper zugewiesen werden. Geschieht dies dennoch --wenn auch in dem anerkennenswerten Bemühen, bestimmte Verfahren zu beschleunigen--, wird Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2006, 1873, unter II.1.b, Rz 6; in BFH/NV 2012, 431, Rz 6; jeweils m.w.N. aus der Rechtsprechung).
Rz. 6
c) Im Streitfall liegt kein Verfahrensfehler in Gestalt eines Verstoßes gegen den gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan vor. Der erkennende Senat des Finanzgerichts (FG) war nach dem vom Kläger vorgelegten --im Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung geltenden-- Geschäftsverteilungsplan u.a. für das Verfahren 8 K 966/18 zuständig. Denn danach bestand für bis 31.12.2018 eingegangene Klagen gegen das Finanzamt … die Zuständigkeit des 8. Senats. Maßgebend ist der vom Präsidium beschlossene und in der vom Präsidenten bestimmten Geschäftsstelle des FG zur Einsichtnahme aufgelegte Geschäftsverteilungsplan (§ 21e Abs. 1 Satz 1, Abs. 9 GVG), nicht auf der Website des Gerichts veröffentlichte Pläne oder Übersichten.
Rz. 7
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Geschäftsverteilungsplans bestehen nicht. Dies gilt nach den zuvor dargestellten Grundsätzen auch im Hinblick darauf, dass durch den (jährlichen) Geschäftsverteilungsplan bereits anhängige Sachen einem anderen Spruchkörper zugewiesen werden als dem, bei dem sie im Zeitpunkt ihres Einganges anhängig geworden sind (Abgabe vom 7. Senat an den 6. Senat und später an den 8. Senat). Die nachträgliche ("unterjährige") Änderung war --worauf der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) zu Recht hinweist-- durch die Einrichtung des 8. Senats und die damit naturgemäß einhergehende "ungenügende Auslastung des Spruchkörpers" i.S. des § 21e Abs. 3 Satz 1 GVG veranlasst. Verstöße gegen das Abstraktionsprinzip sind nicht ersichtlich.
Rz. 8
2. Von einer Darstellung des Sachverhalts und einer weiter gehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.
Rz. 9
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
Fundstellen
Haufe-Index 14522814 |
BFH/NV 2021, 1080 |
DStR 2021, 10 |
NJW 2021, 10 |
NJW 2021, 2232 |
FA 2021, 231 |
StX 2021, 525 |