Entscheidungsstichwort (Thema)
Weiterleitung eines unzulässigen AdV-Antrags an den BFH als Gericht der Hauptsache
Leitsatz (NV)
Das FG hat einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung auch dann an den BFH als Gericht der Hauptsache weiterzuleiten, wenn der Antrag wegen Nichtbeachtung des im Verfahren vor dem BFH bestehenden Vertretungszwangs unzulässig ist. Eine Belehrung über den Vertretungszwang schreibt das Gesetz für diesen Fall nicht vor. Die Weiterleitung ist keine unrichtige Sachbehandlung i. S. d. § 8 Abs. 1 GKG.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 3, § 76 Abs. 2; GKG § 5 Abs. 1, § 8 Abs. 1
Tatbestand
Die Erinnerungsführerin -- eine GmbH -- beantragte mit Schriftsatz vom 23. November 1994 beim Finanzgericht (FG) sinngemäß die Aussetzung der Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide für 1976 bis 1986. Bei der Antragstellung wurde sie von ihrem Geschäftsführer -- einem früheren Steuerberater -- vertreten. Das FG leitete den Antrag an den Bundesfinanzhof (BFH) als Gericht der Hauptsache weiter, nachdem sich die Erinnerungsführerin auf Anfrage des FG mit der Weiterleitung ausdrücklich einverstanden erklärt hatte.
Der beschließende Senat verwarf den Antrag als unzulässig, soweit er die Umsatzsteuer bescheide 1976 bis 1985 betraf, da sich die Erinnerungsführerin nicht durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer hatte vertreten lassen. Die Kosten des Verfahrens wurden der Erinnerungsführerin auferlegt (Beschluß vom 24. März 1995).
Durch Kostenrechnung vom 28. April 1995 setzte die Kostenstelle des BFH die von der Erinnerungsführerin aufgrund der Kostenentscheidung des Beschlusses vom 24. März 1995 zu zahlenden Gerichtskosten mit ... DM an.
Mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 28. April 1995, der am 2. Mai 1995 beim BFH einging, hat die Erinnerungsführerin Erinnerung eingelegt und zu deren Begründung sinngemäß vorgetragen:
Der beim FG gestellte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung sei zulässig gewesen, da sich die Erinnerungsführerin in dem Verfahren vor dem FG von ihrem Geschäftsführer habe vertreten lassen dürfen. Erst durch die Abgabe des Antrags an den BFH sei der Verfahrensmangel der unzureichenden Vertretung entstanden. Das FG hätte die Erinnerungsführerin vor Weiterleitung des Antrags auf den bei der Abgabe der Sache an den BFH entstehenden Vertretungsmangel hinweisen und ihr Gelegenheit geben müssen, den Mangel zu beheben. Wäre dies geschehen, dann hätte sich die Erinnerungsführerin bei der Antragstellung von einem Steuerberater vertreten lassen. Da der Verfahrensmangel vom FG verursacht worden sei und die Erinnerungsführerin ihn nicht zu vertreten habe, sei die Kostenentscheidung zu Lasten der Erinnerungsführerin falsch.
Entscheidungsgründe
Der beschließende Senat legt den Antrag nicht als Rechtsbehelf gegen die Kostenentscheidung des Beschlusses vom 24. März 1995 aus, der unstatthaft wäre (s. BFH-Beschluß vom 16. Juli 1985 VII E 1--2/85, BFH/NV 1985, 108). Er versteht ihn als Erinnerung nach § 5 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) gegen den Kostenansatz, mit der begehrt wird, gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 oder 3 GKG die angesetzten Kosten nicht zu erheben.
Die Erinnerung war zurückzuweisen. Sie ist unbegründet.
a) Von der Erhebung der Kosten ist nicht nach § 8 Abs. 1 Satz 1 GKG -- wegen unrichtiger Sachbehandlung -- abzusehen.
Eine unrichtige Sachbehandlung i. S. des § 8 Abs. 1 Satz 1 GKG ist gegeben, wenn das Gericht gegen eine eindeutige gesetzliche Norm verstoßen hat und dies offen zutage tritt oder wenn dem Gericht ein offensichtliches Versehen unterlaufen ist (s. BFH-Beschluß vom 2. Oktober 1985 III E 3--4/85, BFH/NV 1986, 352; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 3. Aufl., 1993, Vor§ 135 Rz. 19).
Die Weiterleitung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung an den BFH durch das FG war nicht fehlerhaft. Sie war geboten, da der BFH -- was auch die Erinnerungsführerin nicht bezweifelt -- als Gericht der Hauptsache für die Entscheidung über den Antrag zuständig war (§ 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Eine Belehrung über den beim BFH bestehenden Vertretungszwang schreibt das Gesetz für Fälle der Weiterleitung eines Antrags nach § 69 Abs. 3 FGO an den BFH als Gericht der Hauptsache nicht vor.
Das FG verletzte nicht seine prozessuale Fürsorgepflicht (§ 76 Abs. 2 FGO), als es den Antrag ohne vorherigen Hinweis auf den Vertretungszwang an den BFH weiterleitete. Für das FG bestand kein Anlaß, die Erinnerungsführerin auf den drohenden Vertretungsmangel hinzuweisen. Es konnte und durfte davon ausgehen, daß dieser Mangel dem Geschäftsführer der Erinnerungsführerin bekannt war. Der Geschäftsführer war früher als Steuerberater tätig und hatte 1994 zahlreiche Entscheidungen des FG erwirkt, in deren Rechtsmittelbelehrungen auf den Vertretungszwang hingewiesen worden war.
b) Von der Erhebung der Kosten ist auch nicht gemäß § 8 Abs. 1 Satz 3 GKG abzusehen.
Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung und die Erklärung der Erinnerungsführerin, sie sei mit dessen Weiterleitung an den BFH einverstanden, beruhten nicht auf einer unverschuldeten Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse. Dem Geschäftsführer der Erinnerungsführerin war der beim BFH bestehende Vertretungszwang bekannt. Er handelte schuldhaft, als er ihn nicht beachtete. Die Erinnerungsführerin muß sich das Verschulden ihres gesetzlichen Vertreters zurechnen lassen (§ 155 FGO i. V. m. § 51 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung).
Fundstellen
Haufe-Index 420794 |
BFH/NV 1996, 61 |