Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung - Besorgnis der Befangenheit
Leitsatz (NV)
1. Bei der Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch dürfen Tatsachen oder Beweisergebnisse aus der dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters nur verwertet werden, wenn dem Antragsteller rechtliches Gehör gewährt worden ist.
2. Gesetzmäßiges Vorgehen des Gerichts begründet nicht die Besorgnis der Befangenheit der mitwirkenden Richter.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1 S. 1; ZPO § 42 Abs. 1-2, § 43
Tatbestand
Der Kläger A führte vor dem FG einen Rechtsstreit gegen das FA, der die Aufhebung des Urteils des FG . . . im Wege der Wiederaufnahmeklage zum Gegenstand hatte. Mit der Klage hatte der Kläger auch um die Gewährung von Prozeßkostenhilfe (PKH) ersucht. Dieses Begehren lehnte das FG mangels hinreichender Erfolgsaussicht der Restitutionsklage ab. Die Beschwerde des Klägers gegen diesen Beschluß wies der Bundesfinanzhof (BFH) durch Beschluß vom 21. Mai 1987 als unbegründet zurück.
Nachdem die Ausfertigung dieses Beschlusses am 12. Juni 1987 beim FG eingegangen war, bat der Berichterstatter, Richter am FG X, den Prozeßbevollmächtigten des Klägers, Steuerberater Z, bis zum 14. Juli 1987 um Mitteilung, ob die Restitutionsklage aufrechterhalten oder zurückgenommen werde. Am 16. Juli 1987 erinnerte der Berichterstatter unter erneuter Fristsetzung bis zum 17. August 1987 an die Beantwortung der Anfrage. Mit Schreiben vom August 1987 teilte Steuerberater Z mit, daß im Oktober 1987 mündliche Verhandlung vor dem Bundesgerichtshof (BGH) in der Strafsache des Klägers anberaumt sei, und er beantragte die Aussetzung des Wiederaufnahmeverfahrens bis einen Monat nach Zustellung des Urteils des BGH. Mit Verfügung vom 11. August 1987 bat der Berichterstatter, bis zum 1. September 1987 eine Ablichtung der dem BGH vorgelegten Revisionsbegründung vorzulegen, damit die behauptete Vorgreiflichkeit dieses Verfahrens beurteilt werden könne. Nach Ablauf dieser Frist setzte der Berichterstatter am 2. September 1987 eine erneute Frist nach Art. 3 § 3 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) bis zum 23. September 1987 für die Vorlage der Revisions- und Revisionsbegründungsschrift an den BGH, des angefochtenen Strafurteils und einer etwaigen Gegenerklärung nach § 347 der Strafprozeßordnung (StPO). Diese Frist wurde durch Verfügung des Berichterstatters vom 15. September 1987 auf Wunsch des Prozeßbevollmächtigten abermals bis zum 6. Oktober 1987 verlängert.
Mit Verfügung vom 18. September 1987 bestimmte der Vorsitzende des Senats Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 14. Oktober 1987. Diesen Termin beantragte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers aufzuheben und begründete diesen Antrag mit Schriftsatz vom 26. September 1987, der auch die Ablehnung des Vorsitzenden des Senats und des Berichterstatters wegen Besorgnis der Befangenheit enthielt.
Zur Begründung seines Ablehnungsantrags trug der Kläger vor, aufgrund der Verfahrensweise müsse er davon ausgehen, daß die bezeichneten Richter ihm nicht unvoreingenommen gegenüberständen. Die Terminsbestimmung sei im Hinblick auf die lange Verfahrensdauer und die bevorstehende Verhandlung beim BGH in der Strafsache gegen ihn als willkürlich anzusehen. Durch die Fristsetzung nach dem VGFGEntlG werde es ihm unmöglich gemacht, weitere Urkunden und Beweismittel zu beschaffen.
Nach Einholung dienstlicher Äußerungen der abgelehnten Richter wies das FG das Ablehnungsgesuch durch Beschluß zurück. An diesem Beschluß haben die abgelehnten Richter nicht mitgewirkt. Zur Begründung führte das FG aus: Weder die Aufforderung des Berichterstatters zur Vorlage von Urkunden unter Fristsetzung noch die Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung könnten bei vernünftiger Würdigung als Zeichen der Voreingenommenheit verstanden werden. Selbst dann, wenn die abgelehnten Richter die Frage, ob der Prozeß entscheidungsreif sei, falsch beurteilt hätten, sei dies regelmäßig kein Zeichen von Voreingenommenheit. Dies sei nur dann zu befürchten, wenn der Fehler so offensichtlich und gravierend sei, daß er bei einer sachlichen Einstellung des Richters nicht erklärlich ist. Davon könne im Streitfall jedoch nicht ausgegangen werden.
Dagegen richtet sich die Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat. Der Kläger trägt vor, ihm seien die dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter nicht zur Kenntnis gebracht worden. Damit sei sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Nach der Beschwerdeentscheidung solle in den dienstlichen Äußerungen zum Ausdruck gekommen sein, daß die Sache verhandlungs- und entscheidungsreif sei. Weshalb dies anzunehmen sei, ergebe sich nicht aus dem Beschluß. Obgleich er mehrere Anträge gestellt habe, die Strafakten zum Verfahren beizuziehen, seien die abgelehnten Richter nicht bereit gewesen, diesen Anträgen stattzugeben.
Das FA ist der Auffassung, das Institut der Richterablehnung könne nicht dazu benutzt werden, den Gang des Verfahrens zu bestimmen.
Am 2. Dezember 1987 wies das FG die Restitutionsklage unter Mitwirkung des abgelehnten Richters X ab.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
Das FG hat das Ablehnungsgesuch aus zutreffenden Gründen zurückgewiesen. Das Gesuch ist nicht begründet, weil die Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richter nicht gerechtfertigt ist.
Ein Richter kann wegen Besorgnis abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen (§ 51 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -, § 42 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Ein derartiger Grund ist gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus, jedoch nach Maßgabe einer vernünftigen, objektiven Betrachtung davon ausgehen kann, der Richter werde nicht unvoreingenommen entscheiden; darauf, ob ein solcher Grund wirklich vorliegt, kommt es nicht an (ständige Rechtsprechung; vgl. BFH-Beschluß vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555, 557).
Das vom Kläger beanstandete Verhalten der Richter kann bei objektiver Beurteilung nicht Anlaß geben, an der Unvoreingenommenheit des Berichterstatters wie des Vorsitzenden des Senats zu zweifeln. Dies hat das FG allein unter Berücksichtigung des festgestellten, dem Kläger bekannten Verfahrensablaufs richtig entschieden. Etwaige Tatsachen oder Beweisergebnisse aus den dem Kläger vor der Beschlußfassung am 27. Oktober 1987 nicht mitgeteilten dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter hat das FG nicht verwertet. Entgegen der Auffassung des Klägers hat das Gericht daher den auch insoweit bestehenden Anspruch auf rechtliches Gehör (vgl. dazu Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 25. Juni 1968, 2 BvR 599, 677/67, BVerfGE 24, 56, 62) nicht verletzt (vgl. BFH-Beschluß vom 11. März 1986 VII B 54/85, BFH/NV 1986, 543).
Auch die vom Kläger behauptete mangelnde Bereitschaft der abgelehnten Richter, die Strafakten zum Verfahren beizuziehen, ist nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Das vom Kläger in seinem Ablehnungsgesuch vom 26. September 1987 beanstandete Verhalten des Berichterstatters war gerade darauf gerichtet, wesentliche Unterlagen des Strafprozesses zu erlangen. Wenn der Berichterstatter einem frühzeitig gestellten Antrag auf Beiziehung von Akten nicht nachkommt, so geschieht dies nicht aus sachfremden Gründen, sondern im allgemeinen, weil die vorrangige Erledigung älterer Verfahren einer Bearbeitung der Streitsache und einer Entscheidung über die Notwendigkeit der begehrten Beiziehung von Akten einstweilen entgegensteht. Daß im Streitfall andere sachfremde Erwägungen vorgelegen haben könnten, ist nicht ersichtlich.
Zutreffend hat das FG auch ausgeführt, daß die Beurteilung der Frage, ob ein Rechtsstreit entscheidungsreif ist, nicht den Verfahrensbeteiligten obliegen kann. Auch insoweit diente das beanstandete Verhalten des Berichterstatters X dem Ziel, die Entscheidungsreife des Rechtsstreits herbeizuführen. Dazu ist der Vorsitzende oder ein von ihm bestimmter Richter nach § 79 FGO verpflichtet.
Fundstellen
Haufe-Index 417898 |
BFH/NV 1992, 122 |