Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifierung von Nachthemden
Leitsatz (NV)
Voraussetzungen für die zolltarifliche Einordnung von Unterkleidung als "Nachthemden" (Vorlage an EuGH).
GZT 1985 Tarifst. 60. 04 B IV b 2 bb, 60.05 A II b IV cc 22
Tatbestand
Für die Klägerin und Revisionsklägerin (Klä gerin) wurden am ... Januar 1985 thailändische Textilien wie angemeldet als "Damen-Nacht hemden" der Tarifstelle 60.04 B IV b 2 bb des damaligen Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) nach teilweiser Tarifbeschau zoll- und außenwirtschaftsrechtlich zum freien Verkehr abgefertigt und auf das Zollkontingent für "Nachthemden" angerechnet. Aufgrund einer nachträglichen Überprüfung gelangte das beklagte und revisionsbeklagte Hauptzollamt zu der Auffassung, daß es sich um "Kleider" der Tarifstelle 60.05 A II b IV cc 22 gehandelt habe, und erhob dementsprechend Zoll nach.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, die Waren seien zolltariflich Kleider, da sie nach ihrer Beschaffenheit auch als (Freizeit-)Kleider getragen werden könnten. Nachthemden -- Kleidungsstücke, die ausschließlich im Bett getragen werden können -- lägen somit nicht vor. Auf die Verkehrsauffassung komme es ebensowenig an wie auf eine als charakterbestimmend erscheinende Verwendung. Selbst wenn aber auch die Tarifnummer 60.04 GZT in Betracht komme, sei letztlich die Tarifnummer 60.05 anzuwenden (Allgemeine Tarifierungsvorschrift 3 c). Eine Anrechnung auf das Kontingent für "Kleider" scheide aus. Rechtsgründe ständen der Nacherhebung nicht entgegen.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Revision eingelegt. Sie wendet sich in erster Linie unter Hinweis auf die von ihr beigebrachten Gutachten gegen die zolltarifliche Beurteilung in der Vorentscheidung und trägt vor, die Möglichkeit, einige der Textilien auch als Strandkleider zu tragen, ändere nichts an der gebotenen Tarifierung als Nachthemden. Wesentlich sei vielmehr auch, daß die Waren eine typische Wäscheverarbeitung aufwiesen und als "Nachtwäsche" geliefert worden seien.
Entscheidungsgründe
Für die Entscheidung über die Revision kommt es auf die Auslegung von Gemeinschaftsrecht -- des 1985 geltenden GZT -- an. Da die Auslegung Zweifel aufwirft, ist der Senat gemäß Art. 117 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft gehalten, eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs herbeizuführen.
Bei den im Streitfall zolltariflich zu beurteilenden Waren handelt es sich nach den revisionsrechtlich verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz um leichte Kleidungsstücke aus Gewirken (Baumwollmischgewebe; Polyester 65 %/Baumwolle 35 %; Baumwolle) zur Bedeckung des Oberkörpers, weit geschnitten, "U-Boot"-Ausschnitt, kurzärmelig bzw. ärmellos, bis zum Knie bzw. Oberschenkel reichend, teils mit bestimmten Aufdrucken, teils mit Bindegürtel, von den Privatgutachtern im Hinblick auf Beschaffenheit oder Verwendung ausschließlich oder primär als Nachthemden bewertet. Schnitt und Ausstattung sprechen nach der tatsächlichen Würdigung durch das FG dafür, daß die Erzeugnisse auch als Freizeitkleider getragen werden. Eine zolltarifliche Einreihung als "Nachthemden" hat die Vorinstanz ausgeschlossen, da als Nachthemden im zolltariflichen Sinne nur Kleidungsstücke angesehen werden könnten, die ausschließlich im Bett getragen würden. Hierbei hat sich das FG auf ein Urteil des beschließenden Senats (vom 21. August 1990 VII K 16--26/89, BFH/NV 1991, 422) gestützt, mit dem entschieden worden ist, daß "Nachthemden" im Sinne der Position 6108 der Kombinierten Nomenklatur (KN) -- 1989 -- eindeutig erkennbar ausschließlich zum Tragen als Nachtkleidung bestimmt sein müssen. In der Tat liegt es nahe, diesen Grundsatz, den der Senat in zwei einschlägigen Einreihungsverordnungen der Kommission (Nr. 548/89 vom 28. Februar 1989, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften -- ABlEG -- L 60/31; Nr. 812/89 vom 21. März 1989, ABlEG L 86/25) bestätigt gefunden hat, auf die hier maßgebende Tariflage 1985, nach der es ebenfalls auf den Begriff "Nachthemden" ankommt, zu übertragen. In diesem Falle wäre der Tarifauffassung der Vorinstanz beizupflichten.
Es bestehen indessen -- nunmehr -- Zweifel, ob der zolltariflich nicht näher bestimmte Begriff "Nachthemden" in dem vorstehend dargestellten Sinne zu verstehen ist. Der Gerichtshof hat mit Urteil vom 9. August 1994 C--395/93 (Slg. 1994, I-4034, 4038f.) entschieden, daß "Schlafanzüge" im Sinne der Position 6108 KN (1989) auch textile Zusammenstellungen sind, die nach ihrem äußeren Erscheinungsbild im wesentlichen zum Tragen im Bett bestimmt sind. Zu dieser Auffassung scheint der Gerichtshof unabhängig von entsprechend lautenden, nur als Bestätigung gewerteten Einreihungsverordnungen betreffend "Schlafanzüge" gelangt zu sein. Da diese Erzeugnisse neben "Nachthemden" im Zolltarif aufgeführt sind, könnte, auch für die Tariflage 1985, der gleiche Grundsatz für die Beurteilung der Frage herangezogen werden, ob "Nachthemden" im zolltariflichen Sinne vorliegen. Um letztere könnte es sich folglich auch handeln, wenn die entsprechenden Textilien aufgrund ihrer objektiven Beschaffenheit (nur) "im wesentlichen" zum Tragen im Bett bestimmt sind. Sollte der Gerichtshof in diesem Sinne entscheiden, so hätte der Senat darüber zu befinden, ob die vom FG getroffenen Feststellungen für eine Beurteilung ausreichen oder ob sie noch der Ergänzung bedürfen.
Im Hinblick auf den bestehenden Zweifel hat der Senat beschlossen, dem Gerichtshof die folgende Auslegungsfrage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
,Ist der Begriff "Nachthemden` im Sinne der Tarifnummer 60.04 des Gemeinsamen Zolltarifs 1985, insbesondere in Tarifstelle 60.04 B IV b 2 bb, dahin auszulegen, daß er ausschließlich "andere` Unterkleidung erfaßt, die aufgrund ihrer Beschaffenheit eindeutig dazu bestimmt ist, nur als Nachtkleidung getragen zu werden, oder umfaßt er auch Erzeugnisse, die nach ihrer Aufmachung zwar nicht nur, jedoch im wesentlichen zum Tragen im Bett bestimmt sind?"
Fundstellen
Haufe-Index 303017 |
BFH/NV 1996, 445 |