Entscheidungsstichwort (Thema)
Fehlerhafte Berechnung von Verjährungsfristen kein Verfahrensmangel
Leitsatz (NV)
1. Es liegt keine unzulässige Überraschungsentscheidung vor, wenn das FG keinen ausdrücklichen Hinweis gibt, dass es eine dem Kläger in einem eingestellten Strafverfahren vorgeworfene Steuerhinterziehung als eine nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO die Festsetzungsfrist verlängernde leichtfertige Steuerverkürzung wertet.
2. Mit dem Vorbringen, das FG habe in Bezug auf bestimmte Handlungen des Steuerpflichtigen die Festsetzungsverjährungsfrist für die dadurch entstandene Steuer unzutreffend berechnet, wird ein Verfahrensmangel nicht schlüssig dargelegt.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 3 Nr. 3; AO § 169 Abs. 2 S. 2, § 370 Abs. 1, § 378; BranntwMonG § 136 Abs. 3 S. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
FG des Saarlandes (Urteil vom 06.12.2012; Aktenzeichen 2 K 1132/10) |
Tatbestand
Rz. 1
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war Inhaber einer Brennerei und besaß die Erlaubnis, für Stoffbesitzer zu brennen. Aufgrund der Ergebnisse einer Steueraufsichtsmaßnahme und einer labortechnischen Untersuchung, nach denen mit hoher Wahrscheinlichkeit im Januar 2004 keine Apfelmaische, sondern Wein bzw. Weinhefe abgebrannt worden war, entzog der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt --HZA--) dem Kläger die Vergünstigung, unter Abfindung zu brennen. Zugleich wurde ein Strafverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung eingeleitet, das später eingestellt wurde. Aufgrund der strafrechtlichen Ermittlungen gewann das HZA die Überzeugung, dass der Kläger im Zeitraum zwischen 2000 und 2003 insgesamt in … Fällen Weinhefe für Mitglieder einer Erzeugergemeinschaft gebrannt hatte, obwohl die Mitglieder im Zeitpunkt des Abfindungsbrennens nicht mehr im Besitz der Weinhefe gewesen seien. Infolgedessen nahm das HZA den Kläger mit Bescheid vom 4. März 2009 als tatsächlichen Hersteller des Branntweins nach § 136 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes über das Branntweinmonopol in der seinerzeit geltenden Fassung (BranntwMonG) als Steuerschuldner in Anspruch. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Rz. 2
Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass sich der Kläger nicht auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen könne, weil das HZA keinen Vertrauenstatbestand geschaffen habe. Da dem Kläger eine leichtfertige Steuerverkürzung vorzuwerfen sei, sei gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) Festsetzungsverjährung nicht eingetreten. Im Streitfall habe die Festsetzungsfrist spätestens mit dem Ablauf des Jahres 2004 begonnen.
Rz. 3
Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Unzutreffend habe das FG ausgeführt, dass bei den … Stoffbesitzerbrennverfahren Apfelmaische angemeldet worden sei. Tatsächlich --und unstreitig-- sei jedoch Weinhefe angemeldet worden. Innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren habe das HZA die Steueranmeldungen und die Brennverfahren nicht beanstandet. Da ein Missbrauch der Abfindungsanmeldungen somit nicht vorliege, könne es dem Kläger nicht verwehrt werden, sich auf den Grundsatz von Treu und Glauben zu berufen. Im Übrigen habe das FG die Festsetzungsverjährungsfrist hinsichtlich der zwischen 2000 und 2003 durchgeführten Brennverfahren falsch berechnet. Das HZA ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Rz. 4
II. Die Beschwerde ist unbegründet. Die vom Kläger behaupteten Verfahrensmängel liegen nicht vor.
Rz. 5
1. Soweit der Kläger behauptet, das FG habe seiner Entscheidung einen vom übereinstimmenden Vorbringen der Beteiligten abweichenden Sachverhalt zugrunde gelegt, und damit sinngemäß einen Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten rügt, liegt ein solcher Verfahrensmangel nicht vor. Zwar trifft es zu, dass das FG unter Ziff. 1.2 der Urteilsbegründung ausgeführt hat, auch die angebliche Apfelmaische sei nicht im Rahmen von ordnungsgemäßen Stoffbesitzerbrennverfahren gebrannt worden, doch steht dieser Obersatz in klarem Widerspruch zu der nachfolgenden Begründung für die Steuerentstehung nach § 136 Abs. 3 Satz 1 BranntwMonG. Diese stützt das FG lediglich auf den Umstand, dass die Mitglieder der Erzeugergemeinschaft die in ihrem Eigentum stehenden Trauben an einen Dritten verkauft hätten, weshalb von einem Stoffbesitzerbrennverfahren grundsätzlich nicht mehr ausgegangen werden könne. Aus der Sicht des FG war somit allein entscheidungserheblich, dass sich die Weinhefe zum Zeitpunkt des Brennens nicht mehr im Besitz der Mitglieder der Erzeugergemeinschaft befunden hatte. Unter Berücksichtigung dieser Darlegungen kann der Behauptung der Beschwerde nicht gefolgt werden, das FG sei bei seiner Entscheidung unter Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen. Vielmehr ist die Annahme eines offensichtlichen Versehens des FG gerechtfertigt. Im Übrigen hat der Kläger nicht schlüssig dargelegt, dass bei einer zutreffenden Bezeichnung des beim Brennen verwendeten Stoffes unter Ziff. 1.2 des Urteils die Entscheidung anders ausgefallen wäre.
Rz. 6
2. Auch die bloße Behauptung, der vom FG angenommene Missbrauch von Abfindungsanmeldungen liege tatsächlich nicht vor, kann der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Aus der Veräußerung der Trauben hat das FG geschlossen, die für das Brennen eingesetzten Ausgangsstoffe seien nicht von den Mitgliedern der Erzeugergemeinschaft gewonnen worden, so dass der Kläger die Abfindungsanmeldungen zu Unrecht unter den Namen der vermeintlichen Stoffbesitzer abgegeben habe. Diesen Feststellungen tritt die Beschwerde mit der Behauptung entgegen, ein Missbrauch liege nicht vor, weshalb das FG von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen sei. Im Kern seiner Ausführungen rügt der Kläger eine fehlerhafte Würdigung der besonderen Umstände des Streitfalls und damit eine fehlerhafte Beweiswürdigung durch das FG. Ein Verfahrensmangel wird damit jedoch nicht begründet, denn die Grundsätze der Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen.
Rz. 7
3. Sofern der Kläger die Beschwerde in seinem Schriftsatz vom 30. April 2013, eingegangen beim Bundesfinanzhof am 2. Mai 2013, auf eine Verletzung des Gehörsanspruchs durch den Erlass einer sog. Überraschungsentscheidung stützt, ist dieses neue Vorbringen nicht innerhalb der bis zum 18. April 2013 verlängerten Begründungsfrist erfolgt und daher als verfristet zurückzuweisen. Im Übrigen ist gegen den Kläger ein Verfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 AO) eingeleitet worden. Mit einer Steuerstraftat nach § 370 Abs. 1 AO hat das HZA den vom FG ausdrücklich in Bezug genommenen Bescheid über den Entzug der Vergünstigung unter Abfindung zu Brennen begründet. Somit musste der Kläger davon ausgehen, das FG werde das Vorgehen des Klägers --insbesondere hinsichtlich einer Verlängerung der Festsetzungsverjährungsfrist-- auch unter dem Gesichtspunkt eines strafrechtlich relevanten Handelns beurteilen. Dabei liegt es nahe, dass sich eine solche Prüfung nicht nur auf Steuerstraftaten i.S. des § 370 Abs. 1 AO, sondern auch auf Steuerordnungswidrigkeiten --insbesondere auf § 378 AO-- erstreckt, zumal eine vom FG angenommene leichtfertige Steuerverkürzung die Erfüllung der objektiven Tatbestandsmerkmale des § 370 Abs. 1 AO voraussetzt. Daher bedurfte es keines ausdrücklichen Hinweises des FG in Bezug auf das eventuelle Vorliegen einer Steuerordnungswidrigkeit nach § 378 Abs. 1 AO.
Rz. 8
4. Soweit die Beschwerde eine vermeintlich fehlerhafte Berechnung der Festsetzungsverjährungsfrist rügt, wird mit diesem Vorbringen ein Verfahrensfehler, d.h. die fehlerhafte Anwendung einer Verfahrensvorschrift, nicht schlüssig dargelegt. Vielmehr beanstandet der Kläger eine fehlerhafte Auslegung bzw. Anwendung materiellen Rechts. Dieses Vorbringen kann jedoch nicht zur Zulassung der Revision führen. Fehler bei der Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts im konkreten Einzelfall rechtfertigen für sich gesehen nicht die Zulassung der Revision (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Mai 2009 VII B 266/08, BFH/NV 2009, 1589, m.w.N.; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 24 und § 116 Rz 34, jeweils m.w.N.). Denn die Nichtzulassungsbeschwerde dient nicht dazu, die Richtigkeit finanzgerichtlicher Urteile umfassend zu gewährleisten.
Fundstellen
Haufe-Index 5698655 |
BFH/NV 2014, 4 |