Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung wegen ungleicher Behandlung der Prozeßbeteiligten
Leitsatz (NV)
Die an den Kläger gerichtete Aufforderung, zur Richtigkeit des vom FA vorgetragenen Sachverhalts Stellung zu nehmen und für eine ggf. abweichende Sachverhaltsdarstellung Nachweise zu erbringen, stellt keine die Besorgnis der Befangenheit begründende ungleiche Behandlung der Prozeßbeteiligten dar.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1, § 79 Abs. 1; ZPO § 42 Abs. 2
Tatbestand
Der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) waren als ehemaliger Kommanditistin einer zwischenzeitlich im Handelsregister gelöschten GmbH & Co. KG geänderte Gewinnfeststellungsbescheide für die Streitjahre 1985 bis 1987 bekanntgegeben worden. Nach erfolglosem Einspruch machte die Klägerin mit der Klage geltend, die Bescheide seien unwirksam, weil die Gesellschaft nicht richtig bezeichnet sei. Außerdem sei Feststellungsverjährung eingetreten.
Nachdem der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) mit der Klageerwiderung den Sachverhalt aus seiner Sicht ausführlich dargestellt und Rechtsausführungen zur Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide gemacht hatte, forderte der Berichterstatter, Richter am Finanzgericht (RiFG) A, die Klägerin mit Schreiben vom 25. April 1995 auf, "bis zum 30. Juni 1995 mitzuteilen, ob der Sachverhalt laut Beklagtenschriftsatz vom 18.4.1995 zutrifft; die Richtigkeit eines anderen Sachverhalts ist bitte nachzuweisen." Unter dem 26. Juni 1995 nahm die Klägerin zum Sachvortrag des FA Stellung, erhob aber zugleich "Beschwerde" gegen das Schreiben des Berichterstatters wegen Unzumutbarkeit einer fristgerechten Stellungnahme und deswegen, weil die Anordnung die Gleichbehandlung der Prozeßbeteiligten verletze. Denn das Gericht unterstelle ohne Vorliegen von Beweisen die Richtigkeit des Beklagtenvorbringens, während der Klägervortrag bewiesen werden solle. Darin sei eine Voreingenommenheit bzw. Befangenheit zu sehen.
Nach Zustellung einer Ladung zur mündlichen Verhandlung stellte die Klägerin mit Schriftsatz vom 13. August 1997 einen ausdrücklichen Antrag nach §51 der Finanzgerichtsordnung (FGO) wegen Besorgnis der Befangenheit "einerseits des Vorsitzenden Richters A, andererseits des Senats". Zur Begründung verwies die Klägerin auf die 1995 erhobene und noch nicht beschiedene Beschwerde. Außerdem bestehe für den ganzen Senat die Besorgnis der Befangenheit, weil er in einem die Jahre 1988 bis 1990 betreffenden Verfahren über Aussetzung der Vollziehung durch den Beschluß vom 25. März 1994 seine Voreingenommenheit und Parteilichkeit dokumentiert habe. Im einzelnen ergebe sich dies aus folgenden Ausführungen im Beschluß:
-- Dort heiße es, die Klägerin sei erfolglos aufgefordert worden, die Dauer ihrer Kommanditistenstellung nachzuweisen, obwohl ein entsprechender Handelsregisterauszug übersandt worden sei.
-- Ohne Berücksichtigung der Einwendungen der Klägerin zur Fehlerhaftigkeit einer Recherche des Bundesamtes für Finanzen werde dessen Auskunft zur Grundlage für eine der Klägerin ungünstige Entscheidung genommen.
-- Der Klägerin werde vorgehalten, sie sei ihren Verpflichtungen nach §90 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht nachgekommen, ohne sich mit der Vorschrift auseinanderzusetzen.
-- Das Finanzgericht (FG) führe aus, es dränge sich der Verdacht auf, der Wechsel des Firmensitzes sowie die Einschaltung einer ausländischen Gesellschaft dienten der Verschleierung des Sachverhalts. Dies sei eine Unterstellung. Weil es auch im vorliegenden Streitfall auf diesen Sachverhalt ankomme, bestehe die Besorgnis der Befangenheit. Dasselbe gelte in bezug auf die Darstellung des FG, es könne nicht ausgeschlossen werden, daß eine Forderung nicht geltend gemacht worden sei, weil die Klägerin oder ihr Ehemann wirtschaftlich hinter der ausländischen Gesellschaft stünde.
Das FG wies das Befangenheitsgesuch in anderer Besetzung durch Beschluß zurück. Zur Begründng seiner Entscheidung führte es aus, es lege das Befangenheitsgesuch dahin aus, daß es nicht nur den RiFG A, sondern auch die RiFG B und C als weitere Mitwirkende an dem Beschluß über die Aussetzung der Vollziehung vom 24. März 1994 betreffe. Der Antrag sei unzulässig, weil er als rechtsmißbräuchlich anzusehen sei, denn alle drei Berufsrichter würden pauschal und ohne substantiierte Begründung abgelehnt. Soweit die Ausführungen der Klägerin dahin zu verstehen seien, daß sie individuelle Ursachen für die Entscheidung jedes einzelnen Richters betreffen sollten, sei der Antrag unbegründet. Zu Unrecht rüge die Klägerin die Nichtbescheidung ihrer "Beschwerde" vom 26. Juni 1995, denn das Schreiben des Berichterstatters sei als Aufklärungsanordnung gemäß §79b FGO nicht mit der Beschwerde angreifbar. Die Ausführungen zum Beschluß über die Aussetzung der Vollziehung ergäben keinen Befangenheitsgrund. Einerseits habe sich das Aussetzungsverfahren auf andere Streitjahre bezogen, woraus sich keine vorgefaßte Meinung für das vorliegende Verfahren ergeben könne. Andererseits lasse die für einen Beteiligten ungünstige Rechtsauffassung eines Richters oder mehrerer Richter nicht auf eine Parteilichkeit schließen. Die zitierten Formulierungen -- aufgrund summarischer Prüfung formuliert -- beträfen ausschließlich Sachverhaltsdarstellung und Beurteilung von Sach- und Rechtsfragen, die ausschließlich mit den zulässigen Rechtsmitteln angegriffen werden könnten.
Nach Ergehen des Beschlusses hat das FG in der Stammbesetzung des Senats unter Mitwirkung von zwei abgelehnten Richtern aufgrund mündlicher Verhandlung, zu der die Klägerin und ihr Bevollmächtigter nicht erschienen waren, die Klage durch Urteil vom 26. August 1997 abgewiesen.
Mit ihrer Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, macht die Klägerin geltend, der Antrag sei zulässig, da nicht alle Richter pauschal abgelehnt worden seien. Die vorgetragenen Gründe führten auch in den Augen eines vernünftig denkenden Menschen zu der Annahme, daß jeder einzelne Richter aus einer nur in seiner Person liegenden Ursache heraus nicht nach sachlichen Gesichtspunkten entscheide. Der Sachverhalt deute auf ein ungewöhnliches Maß an subjektiver Gewißheit bezüglich der Richtigkeit der gewonnenen Erkenntnisse hin.
Hinsichtlich der gegen die Aufklärungsanordnung gerichteten Beschwerde liege ein Verfahren nach §124 Abs. 2 FGO analog vor. Die unangemessene Fristsetzung zur Nachreichung der Vollmacht habe den Grundsatz auf rechtliches Gehör verletzt. Auf die insoweit vorgetragenen Befangenheitsgründe gehe der Beschluß nicht ein. Aus den vorgetragenen Ablehnungsgründen und dem Ablehnungsverfahren selbst sei ein so gespanntes Verhältnis zwischen Prozeßbeteiligten und Richtern entstanden, daß sich die Ablehnung ausnahmsweise darauf stützen könne.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Befangenheit der RiFG A, B und C festzustellen.
Das FA hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen. Das Ablehnungsgesuch ist vom FG zu Recht zurückgewiesen worden.
Es kann dahinstehen, ob der Antrag rechtsmißbräuchlich und deshalb unzulässig ist, denn er ist zumindest unbegründet.
Nach §51 Abs. 1 FGO i.V.m. §42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Gründe für ein solches Mißtrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden wird. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Entscheidung wirklich von Voreingenommenheit beeinflußt ausfiele. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob der Beteiligte, der das Ablehnungsgesuch angebracht hat, von seinem Standpunkt aus bei Anlegung des angeführten objektiven Maßstabs Anlaß hat, Voreingenommenheit zu befürchten (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555, und vom 11. Januar 1995 IV B 104/93, BFH/NV 1995, 629). Verfahrensverstöße oder sonstige Rechtsfehler eines Richters bilden -- selbst wenn sie vorliegen -- grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund. Anders verhält es sich nur, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters oder auf Willkür beruht (vgl. BFH-Beschlüsse vom 27. März 1997 XI B 190/96, BFH/NV 1997, 780; in BFH/NV 1995, 629, jeweils m.w.N.).
Die Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall führt zu dem Ergebnis, daß bei objektiver Betrachtung vom Standpunkt der Klägerin aus kein Anlaß zu Mißtrauen in die Unvoreingenommenheit des Berichterstatters und der beiden anderen Richter besteht.
Das von der Klägerin herangezogene Schreiben des Berichterstatters vom 25. April 1995 läßt keinerlei unsachliche oder von Willkür beeinflußte Sachbehandlung erkennen. Eine ungleiche Behandlung der Prozeßbeteiligten ist nicht darin zu sehen, daß die Klägerin aufgefordert wurde, zur Richtigkeit des vom FA vorgetragenen Sachverhalts Stellung zu nehmen und für eine ggf. abweichende Sachverhaltsdarstellung Nachweise zu erbringen. Diese Aufforderung kann objektiv nur dahin verstanden werden, daß zur Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung rechtzeitig geeignete Beweismittel vorgelegt oder bezeichnet werden sollten. Wenn sich aus der Stellungnahme der Klägerin eine abweichende Sachverhaltsdarstellung ergeben hätte, wäre eine Aufforderung zur Vorlage von Beweismitteln auch an das FA ergangen. Eine Voreingenommenheit in bezug auf das Ergebnis einer etwaigen Beweisaufnahme oder die Beweislastverteilung läßt sich aus dem Schreiben an die Klägerin nicht entnehmen.
Unter objektiven Gesichtspunkten kann auch nicht im Zusammenhang mit dem vorangegangenen ablehnenden Beschluß über die Aussetzung der Vollziehung angenommen werden, die mitwirkenden Richter des Senats würden künftig voreingenommen entscheiden. Die von der Klägerin herangezogenen Ausführungen in dem damaligen Beschluß lassen keine unsachlichen Erwägungen erkennen und geben keinen Anlaß für die Annahme, die Richter hätten eine vorgefaßte Meinung über die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits. Ob die getroffenen Feststellungen zum Sachverhalt und die geäußerten Rechtsansichten inhaltlich zutreffend waren, ist ohne Bedeutung. Denn unrichtige Rechtsansichten und Verfahrensverstöße sind für sich genommen kein Grund für die Besorgnis der Befangenheit.
Anhaltspunkte dafür, daß die abgelehnten Richter ein gespanntes Verhältnis zur Klägerin haben, wie die Klägerin behauptet, und eine entsprechende ablehnende Einstellung gegenüber der Klägerin in Erscheinung getreten wäre, liegen nicht vor.
Fundstellen
Haufe-Index 302919 |
BFH/NV 1998, 1500 |