Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirkung der Bestandskraft eines Ablehnungsbescheids
Leitsatz (NV)
- Wenn die Finanzbehörde den Antrag auf Vorsteuervergütung bestandskräftig abgelehnt hat, steht unanfechtbar fest, dass Vergütung von Vorsteuerbeträgen für den im Antrag bezeichneten Vergütungszeitraum nicht mehr beansprucht werden kann.
- Wegen der durch Unanfechtbarkeit eingetretenen materiellen Bestandskraft gilt der Inhalt des Ablehnungsbescheids als maßgebend.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1; AO 1977 § 109 Abs. 1 S. 2; UStDV 1980 § 61
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine in der Schweiz (Drittland) ansässige Gesellschaft ohne Umsätze im Inland, beantragte am 12. Januar 1995 Vergütung von Vorsteuern für 1993. Zugleich beantragte sie, die bereits abgelaufene Abgabefrist rückwirkend nach § 109 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) zu verlängern, weil ihr das Vorsteuervergütungsverfahren bisher unbekannt gewesen sei.
Beide Anträge lehnte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Bundesamt für Finanzen ―BfF―) am 26. Januar 1995 ab. Eine Rechtsmittelbelehrung ist dem ablehnenden Vergütungsbescheid nicht beigefügt worden.
Die Klägerin legte nur Einspruch gegen den Bescheid über die Ablehnung der rückwirkenden Fristverlängerung, aber nicht gegen die Ablehnung der Vorsteuererstattung ein. Das BfF verwarf den Einspruch gegen den Bescheid über die Ablehnung der rückwirkenden Fristverlängerung durch die Einspruchsentscheidung vom 27. März 1996, weil die Klägerin den Einspruch nicht begründet hatte.
Die gegen die Ablehnung der rückwirkenden Fristverlängerung gerichtete Klage wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet ab. Das FG legte dar, dass die Ablehnung des Antrags auf Fristverlängerung zwar als Verwaltungsakt anfechtbar sei. Die Ablehnung sei aber rechtmäßig, weil die in § 61 Abs. 1 Satz 2 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) 1980 enthaltene Regelung für den Antrag auf Vorsteuervergütung eine Frist von sechs Monaten bestimme, die nicht verlängerbar sei. Dies ergebe die richtlinienkonforme an Art. 7 Abs. 1 Satz 4 der Achten Richtlinie des Rates vom 6. Dezember 1979 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 79/1072/EWG (Richtlinie 79/1072/EWG) ―Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige― (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ―ABlEG― Nr. L 331, 11) orientierte Auslegung der Vorschrift. Auf die Antragsfrist in § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1980 sei § 109 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 nicht anwendbar, weil es sich um eine Ausschlussfrist handele, die wegen ihrer Eigenart und nach dem Zweck der Richtlinie 79/1072/EWG nicht verlängerbar sei. Das BfF sei aber schon deswegen im Streitfall nicht zur Verlängerung der Antragsfrist verpflichtet, weil es den Vergütungsantrag bestandskräftig abgelehnt habe und dadurch ein Bedürfnis für eine Entscheidung über die Fristverlängerung entfallen sei.
Mit der Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision u.a. wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Sie hält es für eine Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung, ob es sich bei § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1980 um eine nicht verlängerbare gesetzliche Ausschlussfrist handele. Dies habe der Bundesfinanzhof (BFH) bisher noch nicht entschieden und die Frage sei in der Rechtsprechung der FG, in Stellungnahmen der Verwaltung (u.a. Abschn. 243 Abs. 5 der Umsatzsteuer-Richtlinien ―UStR― 1992) und der Literatur nicht eindeutig beantwortet worden.
Außerdem sei die Revision wegen Verletzung von Verfahrensrecht (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) zuzulassen, weil das FG dadurch gegen § 74 FGO verstoßen habe, dass es das Verfahren nicht ausgesetzt habe, bis eine Entscheidung des BFH in einem von vier Musterverfahren vorgelegen habe.
Die Klägerin beantragt die Zulassung der Revision.
Das BfF ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die Klägerin hat keine durchgreifenden Zulassungsgründe dargetan.
1. Anwendbar ist die FGO i.d.F. vor dem In-Kraft-Treten des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757), weil die angefochtene Entscheidung des FG am 12. September 2000, somit vor dem 1. Januar 2001, zugestellt worden ist (Art. 4 2.FGOÄndG).
2. Die Klägerin hält die Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), ob es sich bei § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1980 um eine nicht verlängerbare Ausschlussfrist handele.
a) Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO a.F.) verlangt § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO a.F. u.a., dass der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung darlegt, weshalb es in dem angestrebten Revisionsverfahren auf die Klärung der hervorgehobenen Rechtsfrage ankommt (Klärungsbedürftigkeit) und dass dem Revisionsgericht eine Klärung möglich ist (Klärbarkeit).
b) Im Streitfall ist die dargelegte Rechtsfrage in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärbar.
Nach den nicht mit Verfahrensrügen in Frage gestellten Feststellungen des FG hat das BfF den Vergütungsantrag der Klägerin für 1993 ―ungeachtet der unterbliebenen Rechtsbehelfsbelehrung (vgl. § 356 AO 1977)― bestandskräftig abgelehnt. Damit steht unanfechtbar fest, dass die Klägerin keine Vergütung von Vorsteuern für diesen Zeitraum beanspruchen kann; denn wegen der durch Unanfechtbarkeit eingetretenen materiellen Bestandskraft gilt der Inhalt des Ablehnungsbescheids als maßgebend. Die sachliche Richtigkeit einer unanfechtbaren Entscheidung wird grundsätzlich nicht mehr geprüft. Es ist deshalb unerheblich, ob die Frist für den Antrag auf Vorsteuervergütung für 1993 eingehalten ist.
Die von der Klägerin im Revisionsverfahren erstrebte (positive) Entscheidung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 über die Verlängerung der Antragsfristen kann die Wirkung der Bestandskraft der Entscheidung über die Ablehnung der Vorsteuervergütung nicht durchbrechen. Das wäre nur der Fall, wenn die Entscheidung über die rückwirkende Fristverlängerung für die Abgabe des Antrags auf Vorsteuervergütung als Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO 1977) wirken würde. Dann könnte die Entscheidung über die Vorsteuervergütung, auf die die für Steuerfestsetzungen geltenden Vorschriften sinngemäß anwendbar sind (§ 155 Abs. 4 AO 1977), nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 änderbar sein.
Es handelt sich bei der Entscheidung über die Verlängerung der Antragsfrist nach § 109 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 aber nicht um einen Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO 1977). Die Entscheidung ist für die Festsetzung der Vorsteuervergütung nicht bindend.
3. Soweit die Klägerin die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO a.F.) begehrt, erfüllt ihre Beschwerde nicht die Zulässigkeitsvoraussetzungen. Die Klägerin bezeichnet (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO a.F.) nicht aus welchen Gründen die gerügte Unterlassung der Aussetzung des Verfahrens (§ 74 FGO) wegen der Anhängigkeit von sog. Musterverfahren für die Entscheidung im Streitfall bedeutsam sein könnte.
4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO i.d.F. des 2.FGOÄndG ab.
Fundstellen