Entscheidungsstichwort (Thema)
Vermögensteuerhinterziehung bezüglich Neu- oder Nachveranlagungszeiträumen durch Unterlassen
Leitsatz (NV)
1. Eine Vermögensteuerhinterziehung durch Unterlassen ist auch bezüglich solcher Neu- oder Nachveranlagungszeiträume möglich, auf deren Beginn keine Vermögensteuererklärung angefordert worden ist.
2. Der Nichtabgabe der Vermögensteuererklärung auf einen Hauptveranlagungszeitpunkt kommt Bedeutung sowohl für die nachfolgenden Kalenderjahre des Hauptveranlagungszeitraums als auch für die Kalenderjahre zu, die dem Hauptveranlagungszeitpunkt vorausgegangen sind und für die eine Neu- oder Nachveranlagung geboten gewesen wäre.
3. Das Auseinanderfallen von Vermögensteuerpflicht und der Pflicht, ohne Aufforderung eine Steuererklärung abzugeben, ist wegen der damit verbundenen Gefahr eines Vollzugsdefizits von Verfassungs wegen nur hinnehmbar, weil auf den jeweils nächsten Hauptveranlagungszeitpunkt wiederum unaufgefordert eine Steuererklärung abzugeben ist und diese die tatsächlichen Anhaltspunkte liefert, um beurteilen zu können, ob auf die vorangegangenen Stichtage eine Neu- oder Nachveranlagung in Betracht kommt.
Normenkette
AO 1977 § 370 Abs. 1 Nr. 2; VStG §§ 15-17, 19 Abs. 1 Sätze 1-2
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Beschluss vom 29.03.2005; Aktenzeichen 1 V 50/05) |
Tatbestand
I. Nach steuerstrafrechtlichen Ermittlungen erließ der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) im Jahr 2004 gegen den Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) Vermögensteuerbescheide im Wege der Nachveranlagung auf den 1. Januar 1990 sowie im Wege der Hauptveranlagung auf den 1. Januar 1993 und 1995. Die Bescheide durften nur ergehen, wenn die dabei festgesetzten Steuern nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) hinterzogen waren. Der Antragsteller war vor Ergehen der Bescheide noch nicht zur Vermögensteuer herangezogen worden.
Er erhob gegen die Bescheide Klage und beantragte zugleich, deren Vollziehung auszusetzen. Bezüglich der beiden im Wege der Hauptveranlagung ergangenen Bescheide wies das Finanzgericht (FG) den Antrag im Wesentlichen zurück. Hinsichtlich des Bescheides auf den 1. Januar 1990, mit dem eine Vermögensteuer von 472,94 € festgesetzt worden ist, hatte der Antrag jedoch Erfolg. Das FG war der Ansicht, da gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 des Vermögensteuergesetzes (VStG) nur auf Hauptveranlagungszeitpunkte Vermögensteuererklärungen abzugeben seien und der Antragsteller nicht gemäß Satz 2 der Vorschrift i.V.m. § 149 AO 1977 aufgefordert worden sei, auf den 1. Januar 1990 eine Vermögensteuererklärung abzugeben, scheide bezüglich dieses Zeitpunkts eine Vermögensteuerhinterziehung aus.
Dagegen wendet sich das FA mit der Beschwerde, die das FG im Hinblick auf den Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 23. Juli 2001 II B 73/00 (BFH/NV 2001, 1532) zugelassen hat.
Der Antragsteller ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist begründet. Die Rechtmäßigkeit des Vermögensteuerbescheides auf den 1. Januar 1990 ist nicht ernstlich zweifelhaft i.S. des § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 begeht eine Steuerhinterziehung, wer die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuererhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt. Pflichtwidrig handelt, wer einer Rechtspflicht zur Offenbarung steuerlich erheblicher Tatsachen nicht nachkommt (Beschluss des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 14. Februar 1990 3 StR 317/89, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR- 1991, 177). Zu diesen Pflichten gehört die Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung. Daher ist der objektive Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 dann erfüllt, wenn der Steuerpflichtige es unterlassen hat, eine Steuererklärung abzugeben, zu der er Kraft Gesetzes --ggf. erst nach Aufforderung durch die Finanzbehörde-- verpflichtet ist (vgl. BGH-Beschluss vom 7. November 2001 5 StR 395/01, BStBl II 2002, 259, 262). Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 VStG bestand die Pflicht zur Abgabe einer Vermögensteuererklärung ohne Aufforderung durch die Finanzbehörde nur auf Hauptveranlagungszeitpunkte. Ansonsten --d.h. auf die weiteren Stichtage des Hauptveranlagungszeitraums und damit auf Stichtage, auf die lediglich eine Nach- oder Neuveranlagung in Betracht kam-- bedurfte es einer besonderen Aufforderung der Behörde, um eine Erklärungspflicht zu begründen (§ 19 Abs. 1 Satz 2 VStG i.V.m. § 149 AO 1977).
Daraus folgt jedoch nicht, dass auf Stichtage, die keine Hauptveranlagungszeitpunkte waren, eine Vermögensteuerhinterziehung durch Unterlassen nur bei Aufforderung zur Erklärungsabgabe begangen werden konnte. So hat der BFH mit dem Beschluss in BFH/NV 2001, 1532 bereits klargestellt, dass sich eine auf einen Hauptveranlagungszeitpunkt begangene Steuerhinterziehung --im damals zu entscheidenden Fall durch Abgabe einer unrichtigen Erklärung-- auf alle Kalenderjahre des betreffenden Hauptveranlagungszeitraums erstreckt, weil die Vermögensteuer gemäß § 15 Abs. 1 VStG nicht nur für das Jahr des Hauptveranlagungszeitpunkts, sondern für alle Kalenderjahre des Hauptveranlagungszeitraums festgesetzt wird. Dasselbe gilt, wenn auf den Hauptveranlagungszeitpunkt keine unrichtige, sondern überhaupt keine Vermögensteuererklärung abgegeben wird. Dann aber beruht die Vermögensteuerhinterziehung bezüglich der Neu- oder Nachveranlagung auf einem Unterlassen, obwohl auf den Neu- oder Nachveranlagungszeitpunkt mangels Aufforderung keine Steuererklärung abzugeben war.
Daraus wird deutlich, dass der objektive Tatbestand einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen nicht nur das Kalenderjahr betreffen muss, auf dessen Beginn die Erklärung hätte abgegeben werden müssen, sondern auch weitere Kalenderjahre/Veranlagungszeiträume betreffen kann. Der Nichtabgabe einer Vermögensteuererklärung auf einen bestimmten Hauptveranlagungszeitpunkt kommt aber nicht nur Bedeutung für die nachfolgenden Kalenderjahre des betreffenden Hauptveranlagungszeitraums zu, sondern wegen der besonderen Ausgestaltung des Veranlagungsverfahrens mit seiner Unterscheidung zwischen Hauptveranlagungen einerseits und Neu- bzw. Nachveranlagungen andererseits auch für solche Kalenderjahre, die dem Hauptveranlagungszeitpunkt vorausgegangen sind und für die eine Neu- bzw. Nachveranlagung geboten gewesen wäre.
Die Vermögensteuerpflicht bestand für jedes Jahr, in dem die Freibeträge nach dem Vermögensteuergesetz und dem Bewertungsgesetz (BewG) sowie ggf. die Neuveranlagungsgrenzen überschritten waren, und zwar bemessen jeweils nach dem zu Beginn eines jeden Jahres tatsächlich vorhandenen Vermögen. Gleichwohl sah § 19 Abs. 1 VStG eine Verpflichtung, unaufgefordert Steuererklärungen abzugeben, nur auf Stichtage in zeitlichem Abstand mehrerer --regelmäßig dreier-- Jahre vor. Dadurch sollte dem Umstand Rechnung getragen werden, dass das Vermögen regelmäßig geringeren Schwankungen unterliegt als das Einkommen oder der Umsatz (vgl. Gürsching/Stenger, Bewertungsgesetz, Vermögensteuergesetz, Kommentar, § 15 VStG Anm. 3). Außerdem sollte der mit der Steuererhebung verbundene Verwaltungsaufwand verringert werden.
Das Auseinanderfallen der Vermögensteuerpflicht und der Pflicht, ohne Aufforderung eine Steuererklärung abzugeben, ist wegen der damit verbundenen Gefahr eines Vollzugsdefizits von Verfassungs wegen nur hinnehmbar, weil auf den jeweils nächsten Hauptveranlagungszeitpunkt wiederum unaufgefordert eine Steuererklärung abzugeben war und diese die tatsächlichen Anhaltspunkte lieferte, um beurteilen zu können, ob auf die vorangegangenen Stichtage eine Neuveranlagung oder Nachveranlagung in Betracht kam und daher eine Steuererklärung auf solche Stichtage anzufordern war. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) leitet aus dem Verfassungsgebot der Belastungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--) für Steuern, deren Festsetzung auf Steuererklärungen beruht, die Notwendigkeit ab, die Steuerpflichtigen nicht nur materiell-rechtlich gleichmäßig zu belasten, sondern auch einen gleichmäßigen Verwaltungsvollzug durch gesetzgeberische Maßnahmen abzustützen (Urteil vom 27. Juni 1991 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239). Die Funktion der Steuererklärungen auf Hauptveranlagungszeitpunkte, den Verwaltungsvollzug durch Neuveranlagungen auf jeweils vorausgegangene Stichtage und erst recht durch Nachveranlagungen auf derartige Stichtage zu ermöglichen, diente daher dem Gebot der Belastungsgleichheit. Derjenige, der keine oder falsche Vermögensteuererklärungen abgibt, verhindert, dass die aufeinander abgestimmten Vorschriften über die Veranlagung zur Vermögensteuer gemäß den §§ 15 bis 19 VStG ihre Wirkung entfalten können, das tatsächlich vorhandene Vermögen lückenlos zu erfassen.
Mit dem Beschluss in BFH/NV 2001, 1532 hat der BFH, bezogen auf eine Neuveranlagung und eine unvollständige Erklärung auf den folgenden Hauptveranlagungszeitpunkt, ausgesprochen, dass die Abgabe der unvollständigen Erklärung den objektiven Tatbestand einer Hinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 nicht nur bezüglich der auf den Hauptveranlagungszeitpunkt festzusetzenden Steuer erfüllt, sondern auch bezüglich der Steuer für die vorausgegangenen Kalenderjahre, und zwar insoweit, als diese Steuern im Wege einer Neuveranlagung heraufzusetzen gewesen wären. Daran ist mit der Maßgabe festzuhalten, dass dies erst recht auch für materiell-rechtlich gebotene Nachveranlagungen auf vorausgegangene Stichtage gilt, und zwar im Umfang der gesamten dabei festzusetzenden Steuern. Entsprechendes gilt darüber hinaus aber auch, wenn auf den folgenden Hauptveranlagungszeitpunkt keine Erklärung abgegeben wird. Allerdings ist dann die einschlägige Strafnorm nicht mehr § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977, sondern die Nr. 2 der Vorschrift. Die verletzte Erklärungspflicht bestand --wie ausgeführt-- auch, um dieser nachzuveranlagenden Steuer willen.
Hinsichtlich der Beendigung der Hinterziehung der nachzuveranlagenden Steuer durch Unterlassen gilt dasselbe, was für die Hinterziehung der auf den nachfolgenden Hauptveranlagungszeitpunkt festzusetzenden Vermögensteuer gilt. Maßgebend ist, wann die zuständige Finanzbehörde die Veranlagungsarbeiten für den nachfolgenden Hauptveranlagungszeitraum abgeschlossen hat (vgl. dazu BGH in BStBl II 2002, 259, unter II.).
Auch hinsichtlich der Erfüllung des subjektiven Tatbestandes des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 bestehen im Streitfall keine ernstlichen Zweifel. Das FG geht (unausgesprochen) davon aus, dass bezüglich des nachfolgenden Hauptfeststellungszeitpunkts 1. Januar 1993 der subjektive Tatbestand dieses Unterlassungsdelikts erfüllt ist. Der Senat hat im Rahmen des Aussetzungsverfahrens keine Veranlassung, daran zu zweifeln, zumal auch der Antragsteller insoweit keine Einwendungen vorgebracht hat.
Fundstellen
Haufe-Index 1422730 |
BFH/NV 2005, 1977 |