Entscheidungsstichwort (Thema)

Kostenentscheidung nach Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache

 

Leitsatz (NV)

Ist nach dem bisherigen Sach- und Streitstand sowie ohne eingehende Prüfung der Rechtslage nicht mit annähernder Wahrscheinlichkeit festzustellen, wer in einem Rechtsstreit obsiegt hätte, so entspricht es bei einer Kostenentscheidung nach §##138 Abs. 1 FGO billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens den Beteiligten je zur Hälfte aufzuerlegen.

 

Normenkette

FGO § 138 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Beschwerdeführerin) stellte beim Finanzgericht (FG) am 8. Januar 1985 den Antrag, den Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Zwangsvollstreckung gegen sie vorläufig einzustellen und - insbesondere - die Verfügung an die Bank K (Pfändungsverfügung) zurückzunehmen, bis in dem beim FG anhängigen Verfahren wegen Aufhebung eines Grunderwerbsteuerbescheids eine endgültige Entscheidung getroffen oder über Stundungs- und Aufrechnungsansprüche entschieden sei.

Das FG lehnte den Antrag mit der Begründung ab, ein Anordnungsanspruch liege nicht vor. Eine vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 258 der Abgabenordnung (AO 1977) komme nicht in Betracht, weil die Beschwerdeführerin keine Tatsachen glaubhaft gemacht habe, aus denen sich ableiten lasse, daß die Zwangsvollstreckung unbillig sei. Auch aus den §§ 222, 226 AO 1977 ergäben sich keine Anordnungsansprüche, da die Beschwerdeführerin nichts glaubhaft gemacht habe, was ihre behaupteten Stundungs- und Aufrechnungsansprüche stützen könne.

Die Beschwerdeführerin legte gegen den Beschluß des FG Beschwerde ein.

Im Verlaufe des Beschwerdeverfahrens trug sie folgendes vor: Das FA habe am 10. Februar 1984 Grunderwerbsteuer in Höhe von 2 995 DM festgesetzt. Sie - die Beschwerdeführerin - habe dagegen Einspruch eingelegt und Klage erhoben. Außerdem habe sie Aussetzung der Vollziehung beantragt. Zuvor seien Anträge auf Verrechnung mit einem Lohnsteuerguthaben aus dem Jahre 1982 gestellt worden. Der Lohnsteueranspruch habe auch tatsächlich bestanden, und zwar in Höhe von 4 297 DM, wie sich aus dem beigefügten Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheid ergebe. Mit Schreiben vom 18. Oktober 1984 habe das FA Aussetzung der Vollziehung in Höhe von 345 DM gewährt, so daß das FA weiterhin 2 650 DM begehrt habe. Infolge des Aufrechnungsanspruchs sei aber der gesamte weiter verfolgte Anspruch bereits untergegangen. Ein weiteres Guthaben habe ihr - der Beschwerdeführerin - aus den Beschlüssen vom 5. November 1984 und 5. März 1985 in Höhe von mindestens 404 DM zugestanden. Dieses Geld habe sie bis heute nicht erhalten. Weitere Ansprüche seien in Kürze zu erwarten.

Das FA führte dazu aus, die behaupteten Aufrechnungs- und Stundungsansprüche seien nicht glaubhaft gemacht. Im übrigen sei ein Teilbetrag der Grunderwerbsteuer in Höhe der zu erwartenden Erstattung der Einkommensteuer 1982 gestundet worden. Eine Stundung wegen beantragter Investitionszulage habe nicht ausgesprochen werden können, da ein Anspruch nicht gegeben gewesen sei. Die durch Kostenfestsetzungsbeschluß vom 5. März 1985 an die Beschwerdeführerin zu zahlenden Gebühren in Höhe von 404 DM würden gegen die noch rückständige Grunderwerbsteuer aufgerechnet.

Inzwischen haben die Beteiligten übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Die Beschwerdeführerin hat ihre Erledigungserklärung damit begründet, das FA habe ihrem Antrag in vollem Umfang entsprochen.

 

Entscheidungsgründe

Nachdem die Beteiligten übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist nur noch über die Auferlegung der Kosten zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung ist nach § 138 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu treffen.

§ 138 Abs. 2 Satz 1 FGO ist nicht anwendbar. Dabei kommt es im Streitfall nicht darauf an, ob diese Vorschrift anwendbar wäre, wenn feststünde, daß die Pfändungsverfügung, gegen die der Antrag auf einstweilige Anordnung gerichtet ist, angefochte

n worden ist. Denn im Streitfall kann nicht davon ausgegangen werden, daß das zutrifft. Auch die Beschwerdeführerin hat das nicht dargelegt.

Nach § 138 Abs. 1 FGO hat der erkennende Senat nach billigem Ermessen über die Auferlegung der Kosten zu entscheiden, wobei der bisherige Sach- und Streitstand zu berücksichtigen ist. Eine weitere Sachverhaltsaufklärung ist danach nicht erforderlich; auch einer eingehenden Prüfung der Rechtslage bedarf es nicht (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. November 1971 I B 14/70, BFHE 104, 39, BStBl II 1972, 222).

Läßt sich nach dem bisherigen Sach- und Streitstand sowie ohne eingehende Prüfung der Rechtslage nicht mit annähernder Wahrscheinlichkeit feststellen, wer in einem Rechtsstreit obgesiegt hätte, so entspricht es billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens den Beteiligten je zur Hälfte aufzuerlegen (vgl. Beschluß des BFH vom 21. August 1974 I B 27/74, BFHE 113, 345, BStBl II 1975, 38).

Danach ist es auch im Streitfall gerechtfertigt, jedem Verfahrensbeteiligten die Hälfte der Kosten aufzuerlegen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß dem Antrag der Beschwerdeführerin in der Vorinstanz zu entnehmen ist, sie begehre im wesentlichen eine Aufhebung der Pfändungsverfügung durch eine Maßnahme, wie sie in § 258 AO 1977 vorgesehen ist. Schon die Tatsache, daß die Verfügung während des Rechtsstreits aufgehoben worden ist, spricht dafür, daß der Antrag auf einstweilige Anordnung zumindest aufgrund des Vorbringens der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren nicht aussichtslos war. Andererseits kann aufgrund des bisherigen Sach- und Streitstandes aber nicht abschließend beurteilt werden, ob eine Anrufung des Gerichts erforderlich war, um eine Aufhebung der Pfändungsverfügung zu erreichen. Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand ist nicht auszuschließen, daß für die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache Tatsachen maßgebend gewesen sind, die erst nach Einlegung der Beschwerde (5. Februar 1985) eingetreten oder dem FA bekanntgeworden sind und daß das FA auf diese Tatsachen in angemessener Zeit durch Aufhebung der Pfändungsverfügung reagiert hat. So datiert der Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich, auf den die Beschwerdeführerin sich beruft und der auch nach Angaben des FA offenbar maßgeblich zur Erledigung beigetragen hat, vom 3. April 1985. Aus diesem Grunde ist auch nicht auszuschließen, daß ein Anordnungsgrund (Gefährdung eines Rechts oder Notwendigkeit der vorläufigen Regelung eines Zustandes; vgl. dazu Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 114 Anm. 8) nicht bestanden hat und der Antrag auf einstweilige Anordnung auch deshalb keinen Erfolg hätte haben können.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414106

BFH/NV 1986, 351

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