Entscheidungsstichwort (Thema)
Im PKH-Verfahren: mangelhafte Ausführungen zur Sach- und Rechtslage in der mündlichen Verhandlung infolge fehlender Rechtskenntnisse eröffnen nicht zulassungsfreie Revision nach § 116 Abs. 1 Nr. 3; Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs kann nur mit der NZB geltend gemacht werden; Frist zur Einlegung der NZB nicht verlängerbar; Wiedereinsetzung bei Antrag auf PKH
Normenkette
FGO §§ 142, 116 Abs. 1 Nr. 3, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 119 Nr. 3, §§ 56, 54 Abs. 2, § 115 Abs. 3; ZPO § 224 Abs. 2
Tatbestand
I. Der Antragsteller, Kläger, Revisionskläger und Beschwerdeführer (Antragsteller) erhob mit Schriftsatz vom 4. Oktober 1996 fristgerecht Klage gegen mehrere Einspruchsentscheidungen des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ―FA―), ohne diese zu begründen und einen Antrag zu stellen. Er trug dazu vor, sein früherer Steuerberater mache die Herausgabe der für die Klagebegründung erforderlichen Unterlagen von der Zahlung der Honorarforderungen abhängig. Nachdem das Finanzgericht (FG) die Frist zur Begründung der Klage mehrmals verlängert hatte, wies es den Antragsteller mit Schreiben vom 14. April 1997 darauf hin, daß die Klage als unzulässig abgewiesen werden müsse, wenn der Gegenstand des Klagebegehrens nicht bezeichnet, d.h. wenn nicht zum Ausdruck gebracht werde, in welchen Punkten und in welchem Umfang seiner Ansicht nach eine Rechtsverletzung vorliege. Dieser Hinweis wurde in der gerichtlichen Anordnung vom 30. September 1997 wiederholt; gleichzeitig setzte das FG dem Antragsteller unter Hinweis auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eine Frist mit ausschließender Wirkung von zwei Monaten zur Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens. Mit Schriftsatz vom 24. November 1997 beantragte der Antragsteller die Aufhebung der im einzelnen genau bezeichneten Steuerbescheide. In der mündlichen Verhandlung wiederholte er diesen Antrag und wies erneut darauf hin, daß sein früherer Steuerberater die Herausgabe der angeforderten Unterlagen weiterhin verweigere. Ferner führte er aus, die angefochtenen Bescheide gingen auf eine Steuerfahndungsprüfung zurück und basierten auf ungerechtfertigten Schätzungen.
Das FG wies die Klage als unzulässig ab. Denn der Antragsteller habe innerhalb der Ausschlußfrist den Gegenstand des Klagebegehrens nicht bezeichnet. Eine genaue Bezeichnung der angefochtenen Verwaltungsakte reiche nicht aus; diese Angaben seien vielmehr nach § 65 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zusätzlich erforderlich. Die Angaben in der mündlichen Verhandlung seien nicht zu berücksichtigen, weil sie erst nach Ablauf der ermessensgerecht gesetzten Ausschlußfrist erfolgt seien. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden, da nicht zu erkennen sei, daß der Antragsteller die gesetzte Frist unverschuldet versäumt habe. Rechtsunkenntnis komme als Wiedereinsetzungsgrund nicht in Betracht, da bei Setzen der Frist auf die Folgen ihrer Nichteinhaltung hingewiesen worden sei. Insbesondere stelle die Tatsache, daß der frühere Steuerberater die Herausgabe der Unterlagen verweigere, keinen Wiedereinsetzungsgrund dar. Denn der Antragsteller sei nicht aufgefordert worden, die Klage zu begründen, sondern nur, den Klagegegenstand zu bezeichnen. Es sei weder erkennbar noch vorgetragen worden, daß die Unterlagen des früheren Steuerberaters hierfür erforderlich gewesen seien. Die Revision ließ das FG nicht zu.
Gegen das dem Antragsteller am 23. Oktober 1998 zugestellte FG-Urteil hat dieser durch seinen Prozeßbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 20. November 1998 Revision und Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision eingelegt, ohne diese zu begründen. Die Frist zur Begründung der Revision wurde antragsgemäß verlängert, zuletzt bis zum 31. März 1999. Mit Schriftsatz vom 25. März 1999 beantragte der Antragsteller unter Beifügung einer formgerechten Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, ihm für das Revisionsverfahren Prozeßkostenhilfe (PKH) zu gewähren. Er trägt u.a. vor, das FG habe ihm kein rechtliches Gehör gewährt. Es habe seinen Antrag auf Gewährung von PKH für das Klageverfahren aus formellen Gründen abgelehnt. Er sei deshalb gezwungen gewesen, selbst vorzutragen, was angesichts der Kompliziertheit des Steuerfalles zu dem für ihn negativen Ergebnis geführt habe. Er sei deshalb auch nicht nach den Vorschriften des Gesetzes im Verfahren vertreten gewesen (§ 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO). Zudem sei ―worauf auch sein Prozeßbevollmächtigter in der Begründungsschrift vom 31. März 1999 hingewiesen habe― der Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnet worden. Seine Klage habe die Mußbestandteile enthalten; seinem Kenntnisstand nach habe er diese auch ausreichend formuliert. Selbst das FG gehe davon aus, daß er nicht aufgefordert worden sei, die Klage zu begründen. In der mündlichen Verhandlung sei zudem auf die Umstände hingewiesen worden, die eine Begründung der Klage unmöglich gemacht hätten. Durch eine ordnungsgemäße Vertretung hätte das Verfahren mit Sicherheit einen anderen Ausgang genommen.
Mit Beschluß vom 27. Mai 1998 hat der Senat die Beschwerde des Antragstellers gegen die Ablehnung des Antrags auf Gewährung von PKH für das Klageverfahren als unzulässig verworfen.
Entscheidungsgründe
II. Dem Antrag auf Bewilligung von PKH kann nicht entsprochen werden, weil im Streitfall die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
1. Nach § 142 FGO i.V.m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dem beim Prozeßgericht zu stellenden Antrag (§ 117 Abs. 1 Satz 1 ZPO) sind eine Erklärung der Partei über ihre persönlichen Verhältnisse sowie entsprechende Belege beizufügen (§ 117 Abs. 2 ZPO). Hierbei hat der Prozeßbeteiligte ―wie im Streitfall― die dafür eingeführten Vordrucke zu nutzen (§ 117 Abs. 4 ZPO).
Der gemäß § 118 ZPO von dem Prozeßgericht vorzunehmenden Prüfung der Erfolgsaussichten ist in der Rechtsmittelinstanz das Rechtsmittel zugrunde zu legen, das geeignet ist, zu der erkennbar erstrebten revisionsrechtlichen Überprüfung des FG-Urteils zu führen (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 31. August 1998 V S 9/98, BFH/NV 1999, 338). Das sind, weil das FG die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen hat, im vorliegenden Fall die zulassungsfreie Verfahrensrevision gemäß § 116 Abs. 1 FGO sowie die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 FGO (Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs).
2. Die zulassungsfreie Revision ist nur statthaft, wenn wesentliche Mängel des Verfahrens i.S. von § 116 Abs. 1 Nrn. 1 bis 5 FGO schlüssig gerügt werden. Eine schlüssige Rüge setzt voraus, daß die zur Begründung vorgetragenen Tatsachen, ihre Richtigkeit unterstellt, den behaupteten Verfahrensmangel ergeben. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor. Ein Verfahrensmangel i.S. von § 116 Abs. 1 Nr. 3, § 119 Nr. 4 FGO ist nicht schlüssig dargelegt. Der Antragsteller war im Verfahren vor dem FG vielmehr nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten.
§ 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO setzt voraus, daß der Beteiligte in gesetzwidriger Weise im Verfahren nicht vertreten war, weil das Gericht bei der Vorbereitung und Durchführung der mündlichen Verhandlung den Vorschriften des Gesetzes nicht genügt und dadurch dem Beteiligten die Teilnahme unmöglich gemacht hat. Ein Fall fehlender Vertretung läge somit insbesondere vor, wenn der Antragsteller nicht ordnungsgemäß geladen worden wäre (vgl. BFH-Beschlüsse vom 27. Januar 1988 IV R 14/86, BFHE 152, 196, BStBl II 1988, 447, und vom 9. Juli 1996 VII S 16/95, BFH/NV 1997, 143, 145). Davon kann aber im Streitfall nicht ausgegangen werden.
Ausweislich des Sitzungsprotokolls hat das FG dem ordnungsgemäß geladenen Antragsteller in der mündlichen Verhandlung ausreichend Gelegenheit gegeben, Ausführungen zur Sach- und Rechtslage zu machen und die aus seiner Sicht erforderlichen Klageanträge zu stellen. Diese Möglichkeit hat der Antragsteller, dessen Antrag auf Gewährung von PKH für das Klageverfahren zuvor bestandskräftig abgelehnt worden war, auch persönlich wahrgenommen. Soweit er nun vorträgt, aufgrund seiner fehlenden Rechtskenntnisse nicht in der Lage gewesen zu sein, sein Anliegen fachkundig vorzutragen, kann darauf der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht gestützt werden. Die sachkundige Vertretung liegt grundsätzlich in der Prozeßverantwortung der Beteiligten.
Bei dieser Sachlage führt die summarische Prüfung der Erfolgsaussichten zu dem Ergebnis, daß das vom Antragsteller beabsichtigte Revisionsverfahren nicht hinreichend erfolgversprechend ist. Es besteht keine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß im Revisionsverfahren das Vorliegen der Voraussetzungen des § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO (nicht ordnungsgemäße Vertretung des Antragstellers im Klageverfahren) festgestellt werden kann.
3. Die von dem Antragsteller zudem erhobene Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 119 Abs. 1 Nr. 3 FGO) fällt nicht unter die in § 116 Abs. 1 FGO abschließend aufgeführten Verfahrensmängel und kann nur mit der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend gemacht werden (BFH-Urteil vom 29. November 1985 VI R 13/82, BFHE 145, 125, BStBl II 1986, 187; BFH-Beschluß vom 19. Juli 1995 X R 41/94, BFH/NV 1996, 54). Auch das Vorbringen des Antragstellers, das FG habe § 65 FGO falsch angewandt, gehört nicht zu den Gründen für eine (nach § 116 Nr. 3 FGO) zulassungsfreie Revision. Soweit es sich dabei nicht um eine Sachrüge handelt, könnte ein derartiger Mangel ebenfalls nur im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht werden (vgl. dazu z.B. BFH-Beschluß vom 17. Juni 1998 X B 139/97, BFH/NV 1999, 187, m.w.N.).
4. Der Senat vermag bei summarischer Prüfung auch nicht zu erkennen, daß im Streitfall die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Rechtsverfolgung durch eine Nichtzulassungsbeschwerde nach § 115 Abs. 2 FGO vorliegen würden. Dieses Rechtsmittel kann schon deshalb keinen Erfolg haben, weil die gemäß § 115 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. Abs. 2 FGO erforderliche Beschwerdebegründung nicht innerhalb der einmonatigen Beschwerdefrist (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 115 Anm. 55) ―d.h. bis zum 23. November 1998― beim FG eingereicht wurde. Die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ist im Gegensatz zur Begründungsfrist für die Revision nicht verlängerungsfähig (vgl. § 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 224 Abs. 2 ZPO; BFH-Beschluß vom 30. Dezember 1986 VIII B 39/86, BFH/NV 1988, 711, ständige Rechtsprechung). Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind im Streitfall nicht gegeben.
Verfügt ein Beteiligter nicht über ausreichende Mittel für die Beiziehung eines fachkundigen Prozeßvertreters bei der Einlegung eines Rechtsmittels in einem finanzgerichtlichen Verfahren, so besteht zwar, nachdem ihm PKH bewilligt worden ist, die Möglichkeit zu einer wirksamen formgerechten Einlegung des Rechtsmittels auch nach Ablauf der Rechtsmittelfrist. Voraussetzung dafür ist jedoch, daß wegen der Mittellosigkeit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann. Einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann jedoch nur entsprochen werden, wenn das Gesuch um Bewilligung der PKH innerhalb der Rechtsmittelfrist eingereicht wurde (vgl. BFH-Beschlüsse vom 26. Februar 1985 VII S 1/85, BFH/NV 1986, 354, und vom 31. Juli 1985 I S 14/85, BFH/NV 1987, 260). Das ist hier nicht geschehen. Die Frist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 115 Abs. 3 Satz 1 FGO) lief am 23. November 1998 ab. Der Antrag auf Bewilligung der PKH ging jedoch erst am 26. März 1999 ein. Gründe, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung dieser Frist rechtfertigen könnten, sind nicht vorgetragen worden und auch nicht ersichtlich.
5. Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen, da Gerichtsgebühren nicht erhoben werden (BFH-Beschluß vom 17. Juli 1969 V B 29/69, BFHE 96, 257, BStBl II 1969, 593).
Fundstellen