Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung Berufsrecht Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Wer seinen in genauer Kenntnis der Rechtslage gegen eine feststehende Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs in einer bestimmten Rechtsfrage gerichteten Rechtsbehelf nach Bekanntwerden einer diese Rechtsprechung bestätigenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zurücknimmt, hat keinen Anspruch auf Kostenfreiheit wegen unverschuldeter Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse.

 

Normenkette

FGO § 140; GKG § 7 Abs. 1 S. 3

 

Tatbestand

Die Beschwerdeführerin Stpfl. führt seit 1962 einen Rechtsstreit gegen ihre Heranziehung zur Lohnsummensteuer für 1961 und für das erste Halbjahr 1962 nach § 6 Abs. 2 §§ 23 ff. GewStG. Nach Ergehen des Beschlusses des BVerfG 1 BvR 33/64 vom 21. Dezember 1966 (NJW 1967, 545; HFR 1967, 149), der die Vereinbarkeit der Lohnsummensteuer mit dem Grundgesetz bestätigte, nahm die Stpfl. ihre Klage am 17. Mai 1967 zurück. Das FG beschloß daraufhin am 26. Mai 1967 die Einstellung des Verfahrens gemäß § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO mit voller Kostenpflicht der Stpfl. gemäß § 136 Abs. 2 FGO. Den Antrag der Stpfl., ihr die Kosten aus Billigkeitsgründen entsprechend § 319 Abs. 1 AO a, F. zu erlassen, deutete das FG in einen der gegenwärtigen Rechtslage entsprechenden Antrag nach § 7 des Gerichtskostengesetzes (GKG), § 140 Abs. 1 FGO um. Das FG hielt aber die Voraussetzungen der Abstandnahme von der Kostentragungspflicht für nicht erfüllt, da die Stpfl. nicht aus unverschuldeter Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse des Rechtsstreit geführt habe.

Der rechtzeitig eingelegten Beschwerde (§ 129 Abs. 1 FGO) half das FG nicht ab und legte sie dem BFH zur Entscheidung vor (§ 130 Abs. 1 FGO).

Der Beschwerdegegner (FA) beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen. Die Stpfl. sei sich während des ganzen Verfahrens der Zweifelhaftigkeit der Rechtslage in einem nach ihren eigenen Erklärungen gegen eine antiquierte und unsoziale Steuer betriebenen Musterprozeß bewußt gewesen. Es sei nicht der Sinn des § 7 Abs. 1 Satz 3 GKG, der unterlegenen Partei das mit dem ungünstigen Ausgang eines Prozesses verbundene Risiko abzunehmen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die Kostenentscheidung des FG folgt zwangsläufig aus der Zurücknahme des Rechtsbehelfs durch die Stpfl. (§ 136 Abs. 2 FGO). Zu prüfen bleibt nur noch, ob nach der gemäß § 140 Abs. 1 FGO anwendbaren Vorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 3 GKG (vgl. Beschluß des BFH III B 8/66 vom 24. Februar 1967, BFH 88, BStBl III 1967, 369) bei der hier vorliegenden Zurücknahme eines Antrages von der Erhebung der Kosten abgesehen werden kann. Voraussetzung dazu wäre, daß der Antrag auf unverschuldeter Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse beruhte.

Ein für die Rechtsbehelfseinlegung ursächlicher Sachverhaltsirrtum scheidet hier ohne weiteres aus. Entschuldbare Rechtsunkenntnis, wie sie bei einem in Steuerfragen Unbewanderten, dennoch aber nicht mutwillig und von seinem Standpunkt aus verständig Handelnden gegeben sein könnte, liegt hier ebenfalls nicht vor. Wer die für und gegen seine Rechtsauffassung sprechenden Gründe genau kennt und in seiner Argumentation berücksichtigt, handelt nicht in unverschuldeter Unkenntnis der rechtlichen Verhältnisse. Selbst wenn die Rechtslage zweifelhaft und das Rechtsmittel daher insoweit verständlich war, hat die Rechtsprechung diese Umstände für sich allein nicht als Rechtfertigung für die Abstandnahme von der Kostenerhebung angesehen. Nach § 136 Abs. 2 FGO kann die gesetzliche Kostenfolge nach der Rechtsprechung dann unbillig sein, wenn eine besonders schwierige, bisher noch nicht höchstrichterlich entschiedene Rechtsfrage erstmals an den BFH herangetragen wird oder wenn sich dessen Rechtsprechung ändert, ohne daß der Steuerpflichtige damit ernsthaft rechnen mußte und sie daher in das abschätzbare Prozeßrisiko nicht einzubeziehen brauchte (BFH-Urteile IV 350/51 U vom 13. März 1952, BFH 56, 264, BStBl III 1952, 104; III 207/57 U vom 13. Juni 1958, BFH 67, 219, BStBl III 1958, 356, und BFH- Beschluß IV 609/56 vom 4. Februar 1960, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Reichsabgabenordnung, § 319, Rechtsspruch 6).

Im Streitfall sind die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 3 GKG nicht erfüllt. Mit den meisten Verwaltungsgerichten und dem Bundesverwaltungsgericht (Urteil VII C 6/64 vom 26. Juni 1964, Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bd. 19 S. 68) hat auch der BFH im Urteil IV 166/63 S vom 13. Dezember 1963 (BFH 78, 116, BStBl III 1964, 47) schon vor dem Beschluß des BVerfG 1 BvR 33/64, a. a. O., die Erhebung der Lohnsummensteuer als mit dem GG für vereinbar erklärt. Es kann dem Sinn und Zweck des § 7 GKG selbst dann nicht entsprechen, den Steuerpflichtigen das kostenmäßige Prozeßrisiko für Rechtsbehelfe gegen anerkanntes geltendes Steuerrecht abzunehmen, wenn die Erwartungen weiter Kreise auf eine änderung der Rechtslage nicht in Erfüllung gehen. Gerade in derartigen Fällen muß der Steuerpflichtige die Kostenfolgen eines Prozeßverlustes in seine überlegungen einbeziehen. Andernfalls würden alle "Musterprozesse" gegen eine feststehende Rechtsprechung entgegen der gesetzlichen Kostentragungspflicht ohne Kostenrisiko geführt werden können. In derartigen Fällen ist jedoch nicht Unkenntnis der rechtlichen Verhältnisse die Ursache der Rechtsbehelfseinlegung, sondern gerade umgekehrt die aus der eingehenden Befassung mit der Materie in Anspruch genommene bessere Erkenntnis gegenüber der von der Rechtsprechung vertretenen Auffassung.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412759

BStBl III 1967, 786

BFHE 1968, 97

BFHE 90, 97

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