Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Kindergeld für Kinder mit Wohnsitz im außereuropäischen Ausland; keine PKH für NZB, wenn kein Zulassungsgrund eingreift
Leitsatz (NV)
1. Die Rechtsfrage, ob ein Anspruch auf Kindergeld für Kinder besteht, die sich wegen ihrer Schulausbildung überwiegend im außereuropäischen Ausland aufhalten, ist geklärt und hat keine grundsätzliche Bedeutung.
2. Die Gewährung von PKH für eine NZB kommt nur in Betracht, wenn die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dies ist nur der Fall, wenn ein die Zulassung der Revision rechtfertigender Grund vorliegt.
Normenkette
AO §§ 8-9; EStG § 62; FGO § 115 Abs. 2, § 142; ZPO § 114
Tatbestand
I. Der Kläger und Antragsteller (Antragsteller) ist türkischer Staatsangehöriger und bezog für seine am … 1991 geborene Tochter V zunächst Kindergeld.
Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) erfuhr im August 2002, dass V die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) verlassen hatte. Die Familienkasse hob daher die Festsetzung des Kindergeldes für V ab September 2002 auf. Im August 2003 beantragte der Antragsteller erneut Kindergeld unter Vorlage einer Bescheinigung, wonach V im August 2003 eine deutsche Schule besucht habe. Die Familienkasse stellte jedoch fest, dass V bereits seit dem 1. August 2002 beim Einwohnermeldeamt abgemeldet war und im August 2003 auch keine deutsche Schule besucht hatte. Die Familienkasse lehnte den Antrag auf Kindergeld daher mit Bescheid vom September 2003 ab. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
Der Antragsteller hat gegen das Urteil des Finanzgerichts (FG) Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und begehrt für das Verfahren wegen Nichtzulassung der Revision Prozesskostenhilfe (PKH) und Beiordnung einer Rechtsanwältin.
Zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde beruft sich der Antragsteller auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das FG-Urteil verkenne, dass nach mehreren Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) der Inlandswohnsitz beibehalten werde, wenn der Lebensmittelpunkt im Inland fortbestehe (BFH-Urteil vom 23. November 2000 VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294). Die allein aufgrund des Schulbesuchs im Ausland bedingte räumliche Trennung von den Eltern führe noch nicht zur Auflösung der familiären Wohn- und Lebensgemeinschaft. V habe mit 11 Jahren ausschließlich zum Zwecke des Schulbesuchs auf das Mittelstufeninternat in der Türkei gewechselt. Gerade die Tatsache, dass V nun in Jordanien zur Schule gehe, um dort ihren Realschulabschluss zu erlangen und eine weitere Sprache zu erlernen, widerlege eindeutig die haltlose Schlussfolgerung, das Kind fühle sich dem Heimatland ihrer Eltern mehr verbunden als dem Inland. Der Umstand, dass V in den Ferien stets auf schnellstem Wege in die Bundesrepublik gefahren sei, zeige, dass sie ihren Lebensmittelpunkt bei ihren Eltern und nicht in der Türkei oder Jordanien habe. Da er, der Antragsteller, somit Anspruch auf Kindergeld habe, sei die Nichtzulassung der Revision rechtswidrig und die Revision begründet.
Entscheidungsgründe
II. Der Antrag auf Gewährung von PKH wird abgelehnt.
1. Nach § 142 FGO i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
2. Die eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil kein die Zulassung der Revision rechtfertigender Grund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO vorliegt.
a) Der Rechtsstreit hat entgegen der Auffassung des Antragstellers keine grundsätzliche Bedeutung.
Der BFH hat mehrfach die Rechtsgrundsätze dargelegt, nach denen zu entscheiden ist, wo Kinder, die sich für mehrere Jahre im Ausland aufhalten, um dort zur Schule zu gehen, ihren Wohnsitz (§ 8 der Abgabenordnung --AO--) oder gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) haben (z.B. BFH-Beschluss vom 24. August 2001 VI B 122/01, BFH/NV 2002, 327, und BFH-Urteile vom 23. November 2000 VI R 165/99, BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279, und in BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294, jeweils m.w.N.).
Ob im Einzelfall bei Anwendung dieser Grundsätze davon auszugehen ist, dass ein Kind seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland oder im Inland hat, hat das FG unter Berücksichtigung der Umstände des Falles im Wege der Tatsachenwürdigung zu beurteilen. Der Entscheidung des FG als Tatsacheninstanz kommt insoweit keine grundsätzliche Bedeutung zu (Senatsbeschlüsse vom 22. Dezember 2005 III S 28/05 (PKH), BFH/NV 2006, 488, und vom 17. März 2006 III B 67/05, BFH/NV 2006, 1255).
Der Antragsteller hat keine Gesichtspunkte vorgetragen, die in der Rechtsprechung zu dem Problemkreis noch nicht gewürdigt worden wären. Das gilt insbesondere auch für seinen Hinweis auf den von V vorgenommenen Schulwechsel nach Jordanien. Das FG ist in den Entscheidungsgründen seines Urteils ausdrücklich darauf eingegangen und hat auch diesen Umstand erwogen. In diesem Zusammenhang war für das FG offenbar die dadurch bedingte Abwesenheit des Kindes vom Inland entscheidend. Dasselbe gilt für die Wohnverhältnisse im Inland, die das FG im Tatbestand seines Urteils gleichfalls ausdrücklich erwähnt hat. Soweit der Antragsteller ausführt, dass V sich in den Schulferien regelmäßig bis zu drei Monate im Inland aufhalte, hat das FG zutreffend auf die höchstrichterliche Rechtsprechung hingewiesen, wonach die Dauer des Aufenthalts --für sich genommen--‐ erst ab einem zeitlich zusammenhängenden Aufenthalt von mehr als sechs Monaten geeignet ist, nach § 9 AO einen Wohnsitz im Inland zu begründen.
b) Die Einwendungen des Antragstellers richten sich im Grunde gegen die sachliche Richtigkeit der Entscheidung des FG, die eine Zulassung der Revision nicht rechtfertigen (BFH-Beschluss vom 4. Juli 2002 IX B 169/01, BFH/NV 2002, 1476, m.w.N.).
c) Schließlich bestehen auch keine Anhaltspunkte für offensichtliche Rechtsanwendungsfehler des FG von erheblichem Gewicht im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzeswidrigen Entscheidung, die ausnahmsweise zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2. Alt. 2 FGO führen könnte (Senatsbeschluss in BFH/NV 2006, 488).
3. Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen. Gerichtsgebühren entstehen nicht (§ 142 FGO, § 1 Nr. 3 des Gerichtskostengesetzes i.V.m. dem Kostenverzeichnis).
Fundstellen