Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldanspruch von Ausländern
Leitsatz (NV)
1. § 62 Abs. 2 EStG verlangt einen Aufenthaltstitel nach dem AufenthG. Sind Sachverhalte vor 2005 betroffen, sind Aufenthaltsgenehmigungen i.S. des § 5 AuslG 1990 entsprechend den Fortgeltungsbestimmungen in § 101 AufenthG als Aufenthaltstitel i.S. des AufenthG zu behandeln.
2. Die Familienkassen bzw. die Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit haben nicht darüber zu befinden, ob der Ausländer, der lediglich eine sog. Fiktionsbescheinigung nach § 69 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AuslG 1990 vorgelegt hat, eine Aufenthaltsgenehmigung bzw. einen Aufenthaltstitel beanspruchen kann. Dies obliegt den Ausländerbehörden bzw. den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Normenkette
EStG 2002 § 62 Abs. 2; AufenthG § 101; AuslG 1990 §§ 5, 69 Abs. 3 S. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die aus dem ehemaligen Jugoslawien stammende Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hielt sich mit ihren drei Kindern seit Januar 1992 in Deutschland auf. Bis Oktober 2000 war sie erwerbstätig. Von ihrem Ehemann und Vater des im Juni 1993 geborenen vierten Kindes, das die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, lebte sie dauernd getrennt. Seit April 2003 ist sie in Serbien in zweiter Ehe verheiratet.
Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) setzte zunächst Kindergeld für vier Kinder fest. Nach Einstellen der Kindergeldzahlung ab September 2001 legte die Klägerin u.a. Kopien ihres Reisepasses mit zunächst bis 12. November 2001 geltender, zuletzt bis 19. Juni 2003 verlängerter vorläufiger Aufenthaltserlaubnis nach § 69 Abs. 3 des Ausländergesetzes (AuslG 1990) sowie einen Rentenversicherungsverlauf vor, in dem Beitragszeiten bis 25. Oktober 2000 dokumentiert sind. Die Familienkasse hob mit Bescheid vom 29. März 2004 die Festsetzung des Kindergeldes ab September 2001 auf. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Nach Auffassung des Finanzgerichts (FG) habe die Familienkasse von einer Änderung der für den Kindergeldanspruch maßgeblichen Verhältnisse ausgehen dürfen, was den bisherigen Aufenthaltsstatus und insbesondere die nicht mehr ersichtliche Erwerbstätigkeit betreffe. Die Klägerin sei der wiederholten Aufforderung zum entsprechenden Nachweis auch innerhalb der gesetzten Ausschlussfrist nach § 79b Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht nachgekommen und habe nur auf in der Vergangenheit liegende Verhältnisse und Nachweise hingewiesen. Das Innehaben eines Aufenthaltstitels aus familiären Gründen sei lediglich behauptet. Schließlich bestünden erhebliche Zweifel, ob sich die Klägerin noch im gesamten Streitzeitraum im Inland aufgehalten habe.
Zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), die Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO) sowie einen Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) geltend. Die grundsätzliche Bedeutung ergebe sich aufgrund der Vorlagebeschlüsse des FG Köln vom 9. Mai 2007 10 K 1690/07 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2007, 1247) sowie 10 K 1689/07 (Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst --DStRE-- 2008, 160). Um eine einheitliche Rechtsprechung zu sichern, bedürfe es einer Entscheidung des BFH auch deshalb, weil sich die Verwaltungspraxis zu § 81 Abs. 4 und 5 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) gegenüber derjenigen zum inhaltsgleichen § 69 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AuslG 1990 womöglich geändert habe. Zudem könne eine Bescheinigung nach § 69 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AuslG 1990, die ja ein gesetzliches Aufenthaltsrecht bestätige, nicht als erste Stufe eines aufenthaltsbeendenden Bescheides angesehen werden. Wie die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- (vgl. Urteil vom 29. September 1998 1 C 14/97, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1999, 306) zeige, könne eine Aufenthaltserlaubnis auch rückwirkend erteilt werden. Das FG habe den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt. Es habe den Vortrag nicht zur Kenntnis genommen, dass sie wegen ihres deutschen Kindes im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 15 AuslG 1990 sowie einer Arbeitserlaubnis nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 der Arbeitserlaubnisverordnung gewesen sei. Schließlich habe das FG verfahrensfehlerhaft ihren Antrag auf Aussetzung des Klageverfahrens bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Vorlagebeschlüsse des FG Köln in EFG 2007, 1247 und in DStRE 2008, 160 abgelehnt. Hilfsweise sei das Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision auszusetzen.
Entscheidungsgründe
II. 1. Das Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist nicht im Hinblick auf die Vorlagebeschlüsse des FG Köln in EFG 2007, 1247 sowie in DStRE 2008, 160 entsprechend § 74 FGO auszusetzen. Das dem Beschluss in DStRE 2008, 160 zugrunde liegende Klageverfahren ist in der Hauptsache erledigt (Beschluss des FG Köln vom 23. Juli 2008 10 K 1689/07). Im Übrigen hat der Senat zur Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung der Kindergeldberechtigung von Ausländern in § 62 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) Stellung genommen und ausgeführt, weshalb er die vom FG Köln in dem Beschluss in EFG 2007, 1247 vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken nicht teilt (Urteile vom 15. März 2007 III R 93/03, BFHE 217, 443, BFH/NV 2007, 1234, sowie III R 54/05, BFH/NV 2007, 1298; vom 22. November 2007 III R 54/02, BFHE 220, 45, BFH/NV 2008, 457; III R 63/04, BFH/NV 2008, 771, sowie III R 60/99, BFHE 220, 39, BFH/NV 2008, 846).
2. Die Beschwerde ist unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO). Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
a) Die von der Klägerin behauptete grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nicht gegeben. Der Senat hat bereits entschieden, dass § 62 Abs. 2 EStG u.a. einen Aufenthaltstitel verlangt, der auf dem seit Januar 2005 geltenden AufenthG beruht (vgl. Urteil in BFHE 220, 39, BFH/NV 2008, 846). Betrifft der Sachverhalt --wie vorliegend-- einen Zeitraum vor 2005, in dem noch das durch das AufenthG abgelöste AuslG 1990 galt, sind Aufenthaltsgenehmigungen i.S. des § 5 AuslG 1990 entsprechend den Fortgeltungsbestimmungen in § 101 AufenthG als Aufenthaltstitel im Sinne des AufenthG zu behandeln. Eine Aufenthaltsgenehmigung hat die Klägerin aber nicht nachgewiesen. Innerhalb der vom FG gesetzten Ausschlussfrist hat sie lediglich eine Bescheinigung nach § 69 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AuslG 1990 vorgelegt.
b) Die von der Klägerin geltend gemachte Abweichung des angefochtenen Urteils insbesondere von der Rechtsprechung des BVerwG liegt nicht vor. Bei der Prüfung des Kindergeldanspruchs haben die Familienkassen bzw. die Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit nicht darüber zu befinden, ob der Ausländer, der lediglich eine sog. Fiktionsbescheinigung vorgelegt hat, eine Aufenthaltsgenehmigung bzw. einen Aufenthaltstitel --ggf. rückwirkend-- beanspruchen kann. Die Entscheidung hierüber obliegt allein den Ausländerbehörden bzw. den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit.
c) Schließlich liegen die geltend gemachten Verfahrensmängel nicht vor. Das Klageverfahren war nicht entsprechend § 74 FGO auszusetzen (vgl. oben unter 1.). Die angefochtene Entscheidung beruht auch nicht auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs. Die Klage hatte bereits deshalb keinen Erfolg, weil die Klägerin den --nach dem materiell-rechtlichen Standpunkt des FG maßgeblichen-- Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung bzw. eines Aufenthaltstitels nicht nachgewiesen hat.
Fundstellen
Haufe-Index 2258034 |
BFH/NV 2010, 32 |
BFH/NV 2010, 33 |