Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Aussetzung des Verfahrens über Kostenerinnerung wegen anhängiger Verfassungsbeschwerde gegen die Hauptsacheentscheidung
Leitsatz (NV)
1. Das Verfahren über den Kostenansatz nach Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht im Hinblick auf eine Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss über die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 74 FGO auszusetzen.
2. Wer geltend macht, durch eine zu hohe Steuerfestsetzung in seinen Rechten aus der Geltung eines Verfassungsgrundsatzes verletzt zu sein, muss einen konkreten Sachantrag auf Herabsetzung der Steuer auf den nach seiner Auffassung noch mit der Verfassung zu vereinbarenden Betrag stellen oder zumindest sein Begehren so genau umschreiben, dass das Gericht die betragsmäßigen Grenzen seiner Entscheidungsbefugnis bestimmen kann. Dieser Antrag ist bei der Ermittlung des Streitwerts zugrunde zu legen.
Normenkette
FGO § 74; GKG §§ 4, 14, 19 Abs. 1, § 63 Abs. 1
Tatbestand
Die Kostenschuldnerin und Erinnerungsführerin (Erinnerungsführerin) hatte Klage gegen die Gewerbesteuermessbescheide 1993 bis 1996 erhoben. Diese war darauf gestützt, dass das Finanzamt (FA) das Einspruchsverfahren weiter hätte ruhen lassen müssen. Außerdem sei das Klageverfahren gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auszusetzen. Der Sache nach hielt die Erinnerungsführerin die Gewerbesteuermessbescheide wegen Verstoßes gegen den sog. Halbteilungsgrundsatz für rechtswidrig. Sie beantragte deshalb, die Einspruchsentscheidung aufzuheben, hilfsweise die Gewerbesteuermessbeträge 1993 bis 1995 ersatzlos aufzuheben und den Gewerbesteuermessbetrag 1996 auf 11 112 DM herabzusetzen.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab, ohne die Revision gegen sein Urteil zuzulassen.
Daraufhin erhob die Erinnerungsführerin Nichtzulassungsbeschwerde. Der beschließende Senat folgte dem zugleich gestellten Antrag auf Aussetzung bzw. Ruhen des Verfahrens nicht und wies die Nichtzulassungsbeschwerde durch Beschluss vom 15. April 2005 als unbegründet zurück.
Mit Kostenrechnung vom 4. Juli 2005 setzte die Kostenstelle des Bundesfinanzhofs (BFH) Gerichtskosten in Höhe von 2 912,00 € fest. Dabei ging sie von einem Streitwert von 194 156 € aus, den sie unter Übernahme des im erstinstanzlichen Urteil festgesetzten Streitwerts ermittelte. Das FG hatte den Streitwert entsprechend dem Klageantrag aus den streitigen Gewerbesteuermessbeträgen unter Anwendung der jeweiligen Hebesätze errechnet. Gegen die Kostenrechnung vom 4. Juli 2005 richtet sich die Erinnerung vom 15. Juli 2005.
Die Erinnerungsführerin trägt vor: Nach § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) sei der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Vorrangiges Interesse sei die Aufhebung der Einspruchsentscheidung gewesen. Bei dem FG sei primär die Aufhebung der Einspruchsentscheidung, hilfsweise die Aussetzung des Verfahrens und weiter hilfsweise --auf Drängen des FG-- eine geänderte Steuerfestsetzung beantragt worden. Die Beachtung des Halbteilungsgrundsatzes sei also der zweite Hilfsantrag, was den Kostenansatz zweifelhaft mache (vgl. BFH-Urteil vom 17. November 1987 VII R 68/85, BFH/NV 1988, 457). Die Bedeutung der Sache lasse sich der Höhe nach erst nach Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) über die Verfassungsbeschwerde zum Halbteilungsgrundsatz (Az. 2 BvR 2194/99) bemessen. Der BFH habe anerkannt, dass bei verfassungsrechtlichen Streitpunkten ein exakt bezifferter Klageantrag nicht gestellt werden könne (BFH-Beschluss vom 18. August 2005 VI R 123/94, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2005, 1605). Die Streitwertfestsetzung mit 100 v.H. der Steuer sei auch deshalb unzutreffend, weil eine anteilige Herabsetzung der Steuer in Bezug auf sämtliche Steuern und Abgaben des Steuerpflichtigen beantragt worden sei. Außerdem sei der Kostenansatz für ein Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren dem Grunde nach fraglich (vgl. BFH-Beschlüsse vom 14. September 1995 VII E 3/95, BFH/NV 1996, 244, und vom 4. Januar 1994 III E 1/93, BFH/NV 1994, 572).
Die Erinnerungsführerin beantragt,
- die aufschiebende Wirkung der Erinnerung anzuordnen,
- das Verfahren im Hinblick darauf, dass gegen die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde Verfassungsbeschwerde erhoben worden sei, nach § 74 FGO auszusetzen,
- den Ausgang der Erinnerung in der Parallelsache I E 3/05 abzuwarten.
Die Vertreterin der Staatskasse (Erinnerungsgegnerin) beantragt, die Erinnerung zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Erinnerung ist nicht begründet.
1. Für die Erinnerung sind die Vorschriften des GKG in dessen Fassung vor In-Kraft-Treten des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl I 2004, 718) maßgebend (im Folgenden GKG a.F.). Die Neuregelung gilt erstmals für Rechtsstreitigkeiten, die nach dem 30. Juni 2004 anhängig geworden sind, und für Rechtsmittel, die nach dem 30. Juni 2004 eingelegt worden sind (§ 72 Nr. 1 GKG n.F.). Die Nichtzulassungsbeschwerde ist bereits im Februar 2004 erhoben worden.
2. Das Verfahren ist nicht nach § 74 FGO auszusetzen.
a) Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss über die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde ist für den Kostenansatz nach Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht vorgreiflich.
Gerichtskosten dürfen nach § 4 GKG a.F. angesetzt werden, sobald der ihnen zugrunde liegende Entstehungstatbestand verwirklicht ist und die Kosten fällig geworden sind (vgl. BFH-Beschluss vom 4. Juli 1986 VII E 3/85, BFH/NV 1987, 53). Mit der angefochtenen Kostenrechnung ist eine Gebühr für das Beschwerdeverfahren i.S. der Nr. 3402 des Kostenverzeichnisses nach Anlage 1 zu § 11 Abs. 1 GKG a.F. angesetzt worden. Diese ist nach § 63 Abs. 1 GKG a.F. mit der unbedingten Kostenentscheidung im Beschluss über die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde fällig geworden. Für die Frage, ob eine unbedingte Entscheidung im Sinne dieser Vorschrift vorliegt, ist die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde ohne Bedeutung, weil die Verfassungsbeschwerde den Bestand und die Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung, gegen die sie gerichtet ist, nicht berührt (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1987, 53).
b) Auch das Parallelverfahren I E 3/05 ist nicht vorgreiflich. Im Übrigen ist es durch Zurückweisung der Erinnerung mit Beschluss vom 3. August 2005 (juris) abgeschlossen worden.
3. Die Berechnung der Kosten in der angefochtenen Kostenrechnung ist nicht zu beanstanden. Sie beruht auf einer zutreffenden Ermittlung des Streitwerts. Der Streitwert richtet sich im Verfahren über die Zulassung eines Rechtsmittels nach dem für das Rechtsmittelverfahren geltenden Wert (§ 14 Abs. 3 GKG a.F.), der seinerseits von den Anträgen des Rechtsmittelführers abhängt (§ 14 Abs. 1 Satz 1 GKG a.F.). Der Streitwert einer Nichtzulassungsbeschwerde gegen ein klageabweisendes Urteil entspricht danach dem Streitwert im erstinstanzlichen Verfahren, wenn der Rechtsmittelführer sein Begehren im Rechtsmittelverfahren nicht einschränkt. Da die Erinnerungsführerin mit der Beschwerde keine Einschränkung des bisherigen Begehrens verbunden hat, ist folglich der den erstinstanzlichen Anträgen zu entnehmende Wert des Streitgegenstands maßgeblich.
Nach § 19 Abs. 1 Satz 2 GKG a.F. werden der Wert eines hauptsächlich geltend gemachten Anspruchs und eines Hilfsantrags zusammengerechnet, wenn der Hauptantrag abgewiesen und über den Hilfsantrag entschieden wird. Betreffen beide Anträge denselben Gegenstand, ist der Wert des höheren Anspruchs maßgebend (§ 19 Abs. 1 Satz 3 GKG a.F.).
Hauptantrag war vorliegend die Aufhebung der Einspruchsentscheidung, Hilfsantrag die Herabsetzung der Gewerbesteuermessbeträge. Da das FG über den Hilfsantrag entschieden hat, war mindestens der höhere beider Anträge für den Streitwert maßgebend, hier der Wert der Minderung der Gewerbesteuer. Diesen Wert hat die Kostenstelle zutreffend ermittelt.
Ohne Bedeutung ist, welche Berechnungen und Annahmen dem Antrag der Erinnerungsführerin auf Herabsetzung der Gewerbesteuermessbeträge zugrunde lagen. Insbesondere kann die Erinnerungsführerin nicht zu ihren Gunsten geltend machen, sie habe sich auf einen vom BVerfG noch näher zu konkretisierenden Grundsatz berufen. Wer geltend macht, durch eine zu hohe Steuerfestsetzung in seinen Rechten aus der Geltung eines Verfassungsgrundsatzes verletzt zu sein, muss einen konkreten Sachantrag auf Herabsetzung der Steuer auf den nach seiner Auffassung noch mit der Verfassung zu vereinbarenden Betrag stellen oder zumindest sein Begehren so genau umschreiben, dass das Gericht die betragsmäßigen Grenzen seiner Entscheidungsbefugnis bestimmen kann. Die Erinnerungsführerin hat sich für einen bezifferten Antrag entschieden, der der Ermittlung des Streitwerts zugrunde zu legen ist.
4. Bei dieser Sachlage war auf den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Erinnerung nicht weiter einzugehen.
5. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei (§ 5 Abs. 6 GKG a.F.).
Fundstellen
Haufe-Index 1460441 |
BFH/NV 2006, 561 |