Leitsatz (amtlich)
Es bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, daß bei der Einfuhr von Marktordnungswaren aufgrund der VO Nr. 974/71 erhobene Währungsausgleichsbeträge seit dem Inkrafttreten der VO Nr. 2746/72 Abschöpfungen i. S. des § 1 AbG sind.
Normenkette
AbG §§ 1-2; EWGV 974/71; EWGV 2746/72; FGO § 69 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) beantragte am 11. Januar 1978 bei einem dem Antragsgegner und Beschwerdeführer (Hauptzollamt -- HZA --) unterstehenden Zollamt (ZA) die Abfertigung von französischem Sprühsüßmolkenpulver zum freien Verkehr. Das ZA gab dem Antrag mit vorläufigem Bescheid ohne Erhebung von Währungsausgleichsbeträgen statt. Nachdem die Zolltechnische Prüfungsund Lehranstalt (ZPLA) aufgrund von entnommenen Warenproben zu dem Ergebnis gekommen war, daß es sich bei der Ware um währungsausgleichspflichtiges Milchpulver handele, forderte das ZA durch Änderungsbescheid vom 21. Oktober 1981 Währungsausgleichsbeträge nach. Der Einspruch hatte keinen Erfolg, worauf die Antragstellerin beim Finanzgericht (FG) Klage erhob (II 607/81). Nach Ablehnung ihres Aussetzungsantrages durch das HZA beantragte die Antragstellerin die Aussetzung der Vollziehung beim FG.
Das FG des Saarlandes setzte die Vollziehung des Bescheides bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung der Entscheidung des FG in der Hauptsache II 607/81 aus (Beschluß vom 10. Mai 1982 II 606/81, Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1983, 32). Es ließ die Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu (Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs -- BFH-EntlG i. d. F. vom 4. August 1980, BGBl I 1980, 1147, i. V. m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Das FG bejahte ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide mit der Begründung, es bestehe eine rechtliche Unsicherheit darüber, ob es eine nationale verfahrensrechtliche Rechtsgrundlage für die Heranziehung der Antragstellerin zu innergemeinschaftlichen Währungsausgleichsbeträgen gebe. Soweit das HZA für die Durchsetzung der auf EWG-Recht beruhenden Währungsausgleichsforderung in verfahrens- und zuständigkeitsrechtlicher Hinsicht auf das Abschöpfungserhebungsgesetz (AbG) zurückgreife, sei ihm entgegenzuhalten, daß § 1 Nr. 1 AbG die nach diesem Gesetz festzusetzenden Abgaben ausdrücklich als Abschöpfungen definiere. Demgegenüber dienten Währungsausgleichsbeträge dazu, bei einer unterschiedlichen Währungsbewertung nach wie vor einen im wesentlichen einheitlichen EG-Marktpreis zu gewährleisten. Es erscheine deshalb fraglich, ob sich Währungsausgleichsbeträge mit Abschöpfungen im Sinne des AbG gleichsetzen ließen (bejahend: Schneider, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern -- ZfZ -- 1981, 139/140). Die von Voß (Nationale Vorschriften zur Durchführung des EWG-Rechts im Bereich des Zoll- und Agrarverwaltungsrechts, Recht der internationalen Wirtschaft/Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters -- RIW/AWD -- 1979, 657 -- 662/663 --) vertretene Rechtsauffassung, daß es für die Geltendmachung von Währungsausgleichsbeträgen beim Warenverkehr zwischen EG-Staaten an Entsprechenden nationalen Verfahrensund Zuständigkeitsbestimmungen fehle, sei nicht von vornherein von der Hand zu weisen.
Entscheidungsgründe
Die vom HZA eingelegte Beschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Nach § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO soll die Aussetzung der Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestehen. Solche sind zu bejahen, wenn bei der summarischen Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs -- BFH --, so zuletzt der Große Senat im Beschluß vom 5. März 1979 GrS 5/77, BFHE 127, 140, BStBl II 1979, 570).
Solche ernstliche Zweifel vermag der Senat hinsichtlich der vom FG aufgeworfenen Rechtsfrage, ob es für die Erhebung der Währungsausgleichsbeträge im nationalen Bereich eine verfahrens- und zuständigkeitsrechtliche Grundlage gebe, nicht festzustellen. Der Senat hat mit Urteil vom 27. Juli 1982 VII R 30/80 (BFHE 136, 433) entschieden, daß Währungsausgleichsbeträge, die im Jahre 1976 aufgrund der Verordnung (EWG) Nr. 2539/76 (VO Nr. 2539/76) der Kommission vom 19. Oktober 1976 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften -- ABlEG -- L 289/1 vom 30. Oktober 1976) und Verordnung (EWG) Nr. 3004/76 (VO Nr. 3004/76) der Kommission vom 10. Dezember 1976 (ABlEG L 342/23 vom 11. Dezember 1976) erhoben wurden, Abschöpfungen i. S. des § 1 AbG waren und daß auf sie die für Zölle geltenden Vorschriften anzuwenden sind. Diese Entscheidung hat über den Einzelfall hinaus Bedeutung. In den Gründen hat der Senat ausgeführt, daß die Erhebung der Währungsausgleichsbeträge durch eine Verordnung der EWG zugelassen war, die auf dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) beruht (Verordnung [EWG] Nr. 974/71 -- VO Nr. 974/71 -- des Rates vom 12. Mai 1971, ABlEG L 106/1 vom 12. Mai 1971). Nach § 2 AbG finden also, wie der Senat weiter ausgeführt hat, die für Zölle geltenden Vorschriften Anwendung (Bail/Schädel/Hutter, Kommentar Zollrecht, G Rdnr. 15). Das HZA hat in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hingewiesen, daß die VO Nr. 974/71 nicht mehr, wie zunächst, auf Art. 103 EWGV, sondern seit dem Inkrafttreten der Verordnung (EWG) Nr. 2746/72 (VO Nr. 2746/72) des Rates vom 19. Dezember 1972 (ABlEG L 291/148 vom 28. Dezember 1972) auf die Art. 28, 43 und 235 gestützt ist. Sie ist damit, was den Art. 43 als Rechtsgrundlage betrifft, als Regelung der gemeinsamen Agrarpolitik (und nicht mehr, wie vorher, der Konjunkturpolitik) zu begreifen.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß § 1 AbG, in dem als Grundlage für die Erhebung von Abschöpfungen u. a. Art. 43 EWGV ausdrücklich erwähnt ist, als Oberbegriff den Begriff "Abgabe" verwendet und daß der Begriff "Abschöpfung" dem vorangestellten Begriff "Abgabe" in Klammern hinzugefügt ist. Geht man davon aus, daß die VO Nr. 974/71 von (bei der Einfuhr) zu erhebenden Währungsausgleichsbeträgen spricht, so ergeben sich keine Zweifel daran, daß die in § 1 AbG verwendeten Begriffe "Abgabe (Abschöpfung)" auch die bei der Einfuhr zu erhebenden Währungsausgleichsbeträge erfassen.
Die Bedenken von Voß (a. a. O.) teilt der Senat nicht. Voß hat sich im Zusammenhang mit § 1 AbG nicht damit auseinandergesetzt, daß die VO Nr. 974/71 u. a. auf Art. 43 EWGV gestützt ist. Im übrigen entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), daß der Vollzug des unmittelbar in den Mitgliedstaaten geltenden europäischen Rechts, sofern es dafür keine EWGrechtliche Regelung gibt, den Mitgliedstaaten überlassen ist. Es steht somit der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) frei, Währungsausgleichsbeträge, die bei der Einfuhr erhoben werden, in einem Gesetz zu regeln, das die Erhebung einer Abgabe (Abschöpfung) bei der Einfuhr von Waren betrifft, wenn die Abgabe in einer Verordnung vorgeschrieben ist, die u. a. aufgrund des Art. 43 EWGV erlassen worden ist.
Handelt es sich danach bei den bei der Einfuhr zu erhebenden Währungsausgleichsbeträgen um eine Abgabe (Abschöpfung) und finden auf die Währungsausgleichsabgaben die für Zölle geltenden Vorschriften Anwendung mit der weiteren Rechtsfolge, daß die Abschöpfung durch die Finanzbehörden erhoben wird (§ 2 Abs. 2 AbG), so folgt daraus, daß das HZA gemäß § 12 Abs. 2 des Finanzverwaltungsgesetzes für die Erhebung der Währungsausgleichsabgaben zuständig und auch grundsätzlich dazu berechtigt war, den Bescheid gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung zu ändern.
Fundstellen
Haufe-Index 74418 |
BStBl II 1983, 250 |