Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsätzliche Bedeutung: Klärungsfähigkeit - verspätetes Umformulieren der Rechtsfrage
Leitsatz (NV)
1. Rechtsfragen, die sich nur stellen können, wenn von einem anderen als dem vom FG festgestellten Sachverhalt ausgegangen wird, können im Revisionsverfahren nicht geklärt werden, es sei denn, dass in Bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Verfahrensrügen erhoben werden oder dass die Bindung des BFH an den festgestellten Sachverhalt aus anderen Gründen entfällt.
2. Die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde ist hinsichtlich der Anforderungen an ihre Begründung grundsätzlich nur nach den innerhalb der Begründungsfrist vorgebrachten Ausführungen zu beurteilen; spätere Darlegungen sind - abgesehen von bloßen Erläuterungen und Ergänzungen des fristgemäßen Vorbringens - nicht zu berücksichtigen. Die Umformulierung der herauszustellenden Rechtsfrage ist in diesem Sinne verspätet und damit unbeachtlich, wenn dadurch erstmalig die Erfordernisse an die Klärungsfähigkeit der herauszustellenden Rechtsfrage erfüllt werden sollen.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2, § 116 Abs. 3 Sätze 1, 3
Verfahrensgang
FG Baden-Württemberg (Urteil vom 10.05.2011; Aktenzeichen 2 K 238/06) |
Gründe
Rz. 1
Die Beschwerde der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat keinen Erfolg.
Rz. 2
1. Die Voraussetzungen zur Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sind nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gebotenen Form dargelegt worden.
Rz. 3
a) Machen die Kläger geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), so müssen sie zunächst eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herausstellen. Dafür ist erforderlich, dass sie die entscheidungserhebliche Rechtsfrage hinreichend konkretisieren. Des Weiteren muss in der Beschwerdebegründung schlüssig und substantiiert unter Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen dargetan werden, weshalb die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall klärungsfähig ist. Dazu muss dargelegt werden, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Frage zweifelhaft und streitig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 22. März 2011 X B 151/10, BFH/NV 2011, 1165; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 Rz 32, m.w.N.).
Rz. 4
b) An einem solchen Vorbringen fehlt es.
Rz. 5
aa) Die Kläger haben in ihrem Schriftsatz vom 18. August 2011 die Rechtsfrage formuliert, ob bei der Abgrenzung von Gebäude und Betriebsvorrichtung einem zum Aufenthalt von Menschen geeigneten Flächenanteil allein wegen seiner Größe eine untergeordnete Bedeutung abgesprochen werden kann, selbst wenn eine Nutzung dieser Flächen nicht in Betracht kommt. Diese Rechtsfrage ist im Streitfall nicht klärungsfähig.
Rz. 6
(1) Ob die für die Zulassung maßgebliche Rechtsfrage im anschließenden Revisionsverfahren klärungsfähig ist, bestimmt sich danach, ob die Frage für das Finanzgericht (FG) entscheidungserheblich war. Dies ist nur dann der Fall, wenn eine Aussage zu dieser Rechtsfrage erforderlich war, um die vom FG getroffene Entscheidung zu begründen (z.B. Senatsbeschluss vom 16. Januar 2007 X B 5/06, BFH/NV 2007, 720, m.w.N.). Die Feststellung und Würdigung des Sachverhalts ist Aufgabe des FG. Daher können Rechtsfragen, die sich nur stellen können, wenn von einem anderen als dem vom FG festgestellten Sachverhalt ausgegangen wird, im Revisionsverfahren nicht geklärt werden (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 28. August 2003 VII B 359/02, BFH/NV 2004, 153, und vom 15. Dezember 2006 V B 58/06, BFH/NV 2007, 743; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 30), es sei denn, es werden in Bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Verfahrensrügen erhoben oder die Bindung des BFH an den festgestellten Sachverhalt entfällt aus anderen Gründen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 4. Mai 1993 V B 13/93, BFH/NV 1994, 181, und vom 24. Juli 1996 VIII B 95/95, BFH/NV 1997, 127; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 30).
Rz. 7
(2) Nach den Feststellungen des FG kam eine Nutzung der Reservefläche sowie der Arbeitsbühne --entgegen der Auffassung der Kläger-- in Betracht. So führte das FG aus, dass in dem Bauwerk der Aufenthalt von Menschen auch während des automatisch ablaufenden Lagerbetriebs möglich gewesen sei, denn es enthalte für den Aufenthalt von Menschen geeignete Flächen, die nicht von so untergeordneter Bedeutung seien, dass sie vernachlässigt werden könnten. So sei der Aufenthalt auf der Arbeitsbühne auch während des automatischen Lagerbetriebs möglich, wie auch die Reservefläche bei regulärem Betrieb des automatischen Lagers betreten werden könne und letztere nach Auffassung des FG auch als Lager genutzt wurde.
Rz. 8
(3) Diese Feststellungen des FG sind für den erkennenden Senat bindend (vgl. § 118 Abs. 2 FGO), da weder zulässige und begründete Verfahrensrügen in Bezug auf diese Feststellungen erhoben worden sind noch die Bindung des BFH an den festgestellten Sachverhalt aus anderen Gründen entfällt.
Rz. 9
Die im klägerischen Schriftsatz vom 13. Oktober 2011 gerügten --vermeintlichen-- Verfahrensmängel, also der Verstoß gegen die richterliche Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) sowie die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2, § 119 Nr. 3 FGO), sind nicht innerhalb der Beschwerdebegründungfrist nach § 116 Abs. 3 FGO vorgetragen worden und damit verspätet. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde insbesondere hinsichtlich der Anforderungen an ihre Begründung grundsätzlich nur nach den innerhalb der Begründungsfrist vorgebrachten Ausführungen zu beurteilen; spätere Darlegungen sind --abgesehen von bloßen Erläuterungen und Ergänzungen des fristgemäßen Vorbringens-- nicht zu berücksichtigen (z.B. Beschlüsse vom 27. März 1992 III B 547/90, BFHE 168, 17, BStBl II 1992, 842; vom 21. März 2006 X B 94/05, BFH/NV 2006, 1142, und vom 20. Juni 2007 X B 116/06, BFH/NV 2007, 1705; ebenso das Schrifttum: Gräber/ Ruban, a.a.O., § 116 Rz 22; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 116 FGO Rz 138 f.; Beermann in Beermann/Gosch, FGO § 116 Rz 53 f.). Damit sind --unabhängig von der Frage der Schlüssigkeit-- keine zulässigen Verfahrensrügen erhoben worden, da nicht innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist (§ 116 Abs. 3 FGO) die Tatsachen genau angegeben worden sind, die den Mangel ergeben, § 116 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO (vgl. auch Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 48).
Rz. 10
Ein Entfallen der Bindungswirkung kommt --entgegen der im Schriftsatz vom 13. Oktober 2011 geäußerten Auffassung der Kläger-- auch nicht wegen eines Verstoßes gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze in Betracht. Die Kläger führen insoweit aus, es verstieße gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze, allein aus der Bezeichnung der Reservefläche in den Bauakten auf deren tatsächliche Nutzung zu schließen. Die Sachverhaltswürdigung und die Grundsätze der Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich jedoch dem materiellen Recht zuzuordnen und deshalb der Prüfung des BFH im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde entzogen (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsbeschluss in BFH/NV 2011, 1165). Verstöße gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze stellen in der Regel materiell-rechtliche Fehler dar, und zwar auch dann, wenn sich diese Fehler auf die Würdigung von Tatsachen erstrecken (Senatsbeschluss in BFH/NV 2011, 1165); sie sind damit der Rüge eines Verfahrensmangels entzogen (z.B. BFH-Beschlüsse vom 5. Januar 2007 II B 31/06, BFH/NV 2007, 972, und in BFH/NV 2011, 1165; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 83). Im Übrigen ist ein solcher Verstoß auch nicht erkennbar, da das FG ausdrücklich auch darauf abgestellt hat, dass die Reservefläche ebenso wie die Arbeitsbühne auch bei regulärem Betrieb des automatischen Lagers hätte betreten werden können, weil diese Flächen durch Gitterwände gegen herabfallende Gegenstände gesichert gewesen seien. Insofern war die Tatsachenwürdigung des FG jedenfalls möglich.
Rz. 11
(4) Die im Schriftsatz vom 13. Oktober 2011 (hilfsweise) neu formulierte Rechtsfrage, ob bei der Abgrenzung von Gebäude und Betriebsvorrichtung einem zum Aufenthalt von Menschen geeigneten Flächenanteil allein wegen seiner Größe eine untergeordnete Bedeutung abgesprochen werden könne, selbst wenn eine intensive Nutzung dieser Flächen in der Praxis nicht in Betracht komme, kann folglich auch nicht die Klärungsfähigkeit der herausgestellten Rechtsfrage begründen. Diese weitere Begründung der Beschwerde der Kläger im Schriftsatz vom 13. Oktober 2011 ist --wie oben dargestellt-- verspätet und damit unbeachtlich. Bei der Umformulierung der herauszustellenden Rechtsfrage handelt es sich nicht um eine bloße Erläuterung oder Ergänzung des fristgemäßen Vorbringens. Die Ausführungen der Kläger dienen vielmehr dazu, die Erfordernisse an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache in Bezug auf die Klärungsfähigkeit der herauszustellenden Rechtsfrage erstmalig zu erfüllen.
Rz. 12
bb) Schließlich fehlt es an der erforderlichen Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der von den Klägern herausgestellten Rechtsfrage.
Rz. 13
(1) Es bleibt unklar, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft und umstritten ist. Gerade die von den Klägern genannten Urteile des BFH vom 14. November 1975 III R 150/74 (BFHE 117, 492, BStBl II 1976, 198), und vom 9. Juli 2009 II R 7/08 (BFH/NV 2009, 1609) machen deutlich, dass nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei der Gesamtwürdigung, ob ein Teil oder Teile eines Bauwerks, die zum Aufenthalt von Menschen geeignet sind, von untergeordneter Bedeutung sind, nicht nur auf die Größenverhältnisse der Bauteile abgestellt werden darf, sondern es auch auf die Intensität der Nutzung ankommt. Im Übrigen setzen sich die Kläger insbesondere nicht mit den Auffassungen in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung und des Schrifttums auseinander (vgl. z.B. Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 10. März 1998 2 K 2778/97, Entscheidungen der Finanzgerichte 1998, 1113, rkr.; Gürsching/Stenger, Bewertungsrecht, § 68 BewG Rz 53).
Rz. 14
(2) Soweit die Kläger (sinngemäß) ausführen, die Rechtsfrage sei klärungsbedürftig, weil der BFH über einen vergleichbaren Fall bislang noch nicht entschieden habe, ist dieses Vorbringen nicht ausreichend. Allein das Fehlen einer Entscheidung des BFH zu der konkreten Fallgestaltung begründet weder einen Klärungsbedarf noch erst recht das erforderliche Allgemeininteresse (z.B. BFH-Beschlüsse vom 8. August 2002 II B 62/01, BFH/NV 2003, 62, und vom 5. Dezember 2007 VIII B 79/07, BFH/NV 2008, 732; Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 34).
Rz. 15
2. Insoweit haben die Kläger auch die Anforderungen an die Darlegung des Revisionszulassungsgrundes der Notwendigkeit einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) nicht erfüllt. Es gelten die zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO höchstrichterlich entwickelten Anforderungen (Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2004 X B 48/04, BFH/NV 2005, 698; zur Qualifikation dieses Zulassungsgrundes als speziellen Tatbestand der "Grundsatzrevision", vgl. auch Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 38). Daher erfordert auch dieser Zulassungsgrund das Herausstellen einer klärungsbedürftigen, entscheidungserheblichen und klärbaren Rechtsfrage, deren Klärung in einem künftigen Revisionsverfahren zu erwarten ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 9. Februar 2006 X B 107/05, BFH/NV 2006, 938, und vom 7. Juni 2011 X B 212/10, BFH/NV 2011, 1709; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 41 und § 116 Rz 38, 32).
Rz. 16
3. Sollten sich die Einwendungen der Kläger (auch) gegen die materiell-rechtliche Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung richten, können diese im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht zum Erfolg führen. Fehler in der Anwendung des materiellen Rechts im konkreten Einzelfall --so sie denn vorliegen-- rechtfertigen für sich genommen nicht die Zulassung der Revision (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 4. August 2010 X B 198/09, BFH/NV 2010, 2102; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 24 und § 116 Rz 34). Eine Ausnahme hiervon kommt nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO nur dann in Betracht, wenn das angefochtene Urteil derart schwerwiegende Fehler bei der Auslegung des revisiblen Rechts aufweist, dass die Entscheidung des FG "objektiv willkürlich" erscheint oder auf sachfremden Erwägungen beruht und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist (z.B. Senatsbeschluss in BFH/NV 2011, 1709). Dies ist weder vorgetragen noch erkennbar.
Fundstellen
Haufe-Index 2916447 |
BFH/NV 2012, 749 |