Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde; Aussetzung des Verfahrens; Verfahrensfehler
Leitsatz (NV)
- Zur Aussetzung des finanzgerichtlichen Verfahrens wegen eines anhängigen Strafverfahrens.
- Zu den Voraussetzungen einer ausreichenden Bezeichnung des Verfahrensfehlers, wenn gerügt wird, dass Zeugen nicht vernommen worden sind.
Normenkette
FGO §§ 74, 76, 115 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 S. 3
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wurde am 6. März 1996 durch Beamte des Bundesgrenzschutzes im grenznahen Raum mit rund … Stück Zigaretten, die er in seinem PKW transportierte, aufgegriffen; die genauen Angaben über die Stückzahl schwanken zwischen … und … Stück. Nach den Ermittlungen der Zollfahndung soll der Kläger bereits im zurückliegenden, nichtverjährten Zeitraum vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbrachte Zigaretten übernommen haben. Die Klägerin, die Ehefrau des Klägers, und Beschwerdeführerin (Klägerin) soll sich am Absatz der Zigaretten aktiv beteiligt haben. Auf der Grundlage dieser Ermittlungen setzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt ―HZA―) gegen den Kläger mit Steuerbescheid vom 22. April 1996 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26. August 1999 Einfuhrabgaben in Höhe von … DM fest. Dabei legte das HZA der Abgabenberechnung eine Menge von insgesamt … Stück unverzollter und unversteuerter Zigaretten zugrunde. Gegen die Klägerin erging am 22. April 1996 (Einspruchsentscheidung vom 26. August 1999) ebenfalls ein Steuerbescheid über Eingangsabgaben für jedoch nur … Stück unverzollter und unversteuerter Zigaretten in Höhe von … DM. In dieser Menge waren die am 6. März 1996 im PKW des Klägers aufgefundenen Zigaretten nicht enthalten. Die Klage gegen die Verwaltungsentscheidungen hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) hielt die Klage des Klägers und der Klägerin für unbegründet, weil die Kläger gemäß Art. 202 Abs. 1 und 3 Anstrich 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex) des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 302/1) i.V.m. § 21 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes und § 21 des Tabaksteuergesetzes Abgabenschuldner für die vom Kläger übernommenen Zigaretten, an denen auch die Klägerin Besitz gehabt habe, geworden seien. Die den Steuerbescheiden zugrunde gelegte Zigarettenmenge sei unter Berücksichtigung der in den Protokollen über die Vernehmung der Kläger am 6. März 1996 festgehaltenen diesbezüglichen Aussagen nicht überhöht. Den später gegebenen gegenteiligen klägerischen Darstellungen vermochte das FG nicht zu folgen.
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision machen die Kläger Verfahrensmängel geltend.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet.
1. Gemäß Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757) ist die Zulässigkeit und damit auch die Begründetheit der Nichtzulassungsbeschwerde noch nach § 115 Abs. 2 und 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in der vor In-Kraft-Treten des 2.FGOÄndG geltenden Fassung (FGO a.F.) zu beurteilen, weil das angefochtene Urteil vor dem 1. Januar 2001 verkündet worden ist.
2. Soweit die Kläger rügen, dass das FG das Verfahren nicht bis zum Abschluss des Strafverfahrens gegen die Kläger ausgesetzt habe, liegt kein Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO a.F.) vor. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob die Voraussetzungen des § 74 FGO für eine Aussetzung des Verfahrens vorliegen, wenn ein Strafverfahren anhängig ist, in dem es um Tatumstände geht, die auch entsprechenden Steuerbescheiden zugrunde liegen (so Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 7. Juli 1995 III B 8/95, BFH/NV 1996, 149). Denn unabhängig davon, war es sachgerecht, das Klageverfahren im Streitfall schon deswegen nicht auszusetzen, weil ―wie das FG festgestellt hat― das Strafverfahren nach dem Inhalt der Strafakten von vornherein auf zehn Fälle der illegalen Zigaretteneinfuhr nach Deutschland beschränkt war, so dass ohnehin ―wenn überhaupt― nur eine teilweise Klärung vom Ausgang des Strafverfahrens hätte erwartet werden können. Im Übrigen hat das FG nach § 76 FGO ein selbständiges Ermittlungsrecht und eine selbständige Ermittlungspflicht, so dass es nicht ohne weiteres an die im Strafverfahren getroffenen Feststellungen gebunden gewesen wäre (vgl. BFH-Beschluss vom 12. April 1994 I B 75, 77, 79/93, BFH/NV 1995, 40; auch Urteil vom 12. Januar 1988 VII R 74/84, BFH/NV 1988, 692).
3. Soweit die Kläger rügen, das FG habe seine Verpflichtung zur Aufklärung des Sachverhalts verletzt, weil es nicht alle Zeugen gehört habe, deren Vernehmung angeblich in dem anhängigen Strafverfahren anstand, ist der Verfahrensfehler nicht hinreichend bezeichnet (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO a.F.).
Das FG hat in seinem Urteil ausführlich begründet, dass es die drei sich aus der Strafakte ergebenden polnischen Staatsangehörigen, die Mitglieder der Bande gewesen sein sollen, der auch der Kläger zeitweise angehörte, nicht gehört habe, weil sie in der mündlichen Verhandlung von den Klägern nicht präsentiert worden seien, eine Ladung aller Wahrscheinlichkeit nach erfolglos geblieben wäre und mit der Republik Polen kein Rechtshilfeabkommen für den Bereich des Steuer- und Zollrechts bestehe, das die Vernehmung von Zeugen in der Republik Polen zulasse. Demgegenüber reicht der Vortrag der Kläger, dass die Zeugen im Rahmen einer Videoschaltung (§ 247a der Strafprozessordnung) nach Polen hätten gehört werden können, zur Begründung eines Verfahrensfehlers nicht aus. Der Senat lässt dahingestellt, ob die Videoschaltung im Streitfall tatsächlich und rechtlich überhaupt eine realistische Möglichkeit dargestellt hätte. Denn zur Entkräftung der in dem Protokoll über die Vernehmung des Klägers vom 6. März 1996 festgehaltenen Aussagen über die Menge der vom ihm in der Zeit vor dem 6. März 1996 übernommenen Zigaretten, auf die sich das FG stützt, hätte vorgetragen werden müssen, welche genauen Angaben die betreffenden Zeugen über die Mengen der tatsächlich vom Kläger übernommenen Zigaretten hätten machen können. Ohne solche Angaben ist nicht ersichtlich, weshalb das FG-Urteil auf der unterlassenen Zeugenvernehmung der in Polen ansässigen Zeugen beruhen soll.
Auch die Rüge, das FG habe seine Sachaufklärungspflicht verletzt, weil es nicht die Beamten als Zeugen gehört habe, die die Klägerin am 6. März 1996 vernommen haben, ist nicht ausreichend begründet. Es hätte im Einzelnen dargestellt werden müssen, was diese Zeugen anderes als in der Vernehmungsniederschrift dargestellt, auf die sich das FG zur Begründung seines Urteils bezogen hat, ausgesagt hätten.
Soweit die Kläger die Würdigung der Aussagen der als Zeugen vernommenen Vernehmungsbeamten und der im Vernehmungsprotokoll festgehaltenen Aussagen des Klägers über die Anzahl der übernommenen Zigaretten beanstanden oder meinen, die Feststellungen des FG reichten hinsichtlich des Zeitpunkts, von dem an die Klägerin wusste, dass sich die Zigaretten in ihrem Besitz befunden haben, nicht aus, werden damit keine Verfahrensfehler, sondern angebliche materielle Fehler des Urteils beanstandet, die eine Zulassung der Revision auf der Grundlage des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO a.F. nicht rechtfertigen (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 115 Anm. 27, 28).
4. Mit der Behauptung, der Kläger habe den Steuerbescheid nicht erhalten, ist kein finanzgerichtlicher Verfahrensfehler geltend gemacht worden, der nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO a.F. zur Zulassung der Revision führen könnte.
Fundstellen