Entscheidungsstichwort (Thema)
Gründe für die Ablehnung eines ganzen Spruchkörpers
Leitsatz (NV)
1. Ein Mißbrauch des Ablehnungsrechts durch Ablehnung des gesamten Spruchkörpers liegt beim Anknüpfen an eine von diesem getroffene Entscheidung nur vor, wenn das Gesuch gar nicht oder nur mit Umständen begründet wird, welche die Besorgnis der Befangenheit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtfertigen können.
2. Das Richterablehnungsverfahren schützt nicht gegen unrichtige Rechtsansichten des Richters.
3. Das Grundrecht auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) gebietet nicht, daß das gesamte Vorbringen eines Beteiligten ausdrücklich in der Entscheidung beschieden wird.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1; ZPO § 42 Abs. 1-2; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Mit seiner (geänderten) Klage beantragte der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), die Nichtigkeit des Bescheides des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt - FA -) vom 2. September 1991 betreffend die Vorauszahlung des Solidaritätszuschlages zum 10. Dezember 1991, 10. März und 10. Juni 1992 festzustellen. Der Kläger vertrat die Auffassung, der Solidaritätszuschlag sei als Ergänzungsabgabe keine Steuer und dürfe auch nicht wie eine solche behandelt werden. Die Behandlung einer Abgabe als Steuer sei ein offensichtlicher und schwerer Mangel, der zur Rechtsfolge des § 125 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) führe. Der Vorauszahlungsbescheid bedürfe als belastender Verwaltungsakt einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage. Das Solidaritätszuschlaggesetz (SolZG) regle aber die Möglichkeit, für eine Ergänzungabgabe eine Vorauszahlung anzufordern, nicht. Auch aus diesem Grund sei der Vorauszahlungsbescheid nichtig, da ein offensichtlicher Verstoß gegen den aus Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) abzuleitenden Grundsatz des Vorrangs und Vorbehalts des Gesetzes vorliege. Im übrigen sei die Anforderung des Solidaritätszuschlags unzulässig und unbegründet, da dieser verfassungswidrig sei. Dies sei aus den Gründen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in BVerfGE 67, 256, 274ff. anzunehmen.
Das Finanzgericht (FG) erließ am 17. Juni 1992 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am FG A und der Richter am FG B und C einen Vorbescheid, mit dem es die Klage abwies. Es vertrat die Auffassung, der Solidaritätszuschlag sei wie die mit dem Steueränderungsgesetz 1967 eingeführte Ergänzungsabgabe eine Steuer i.S. des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG, so daß es nicht an einer Ermächtigung zur Erhebung der Vorauszahlungen fehle. Das vom Kläger zitierte Urteil des BVerfG sei demgemäß nicht einschlägig. Die übrigen Bedenken des Klägers gegen die Verfassungsmäßigkeit des SolZG führten ebenfalls nicht zur Nichtigkeit des Bescheides.
Der Kläger stellte mit Schreiben vom 2. Juli 1992 Antrag auf mündliche Verhandlung. Zugleich beantragte er, die vorgenannten Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.
Der Kläger vertrat die Auffassung, die Entscheidungsgründe im Vorbescheid gingen auf seine entscheidenden Rechtsausführungen nicht ein. Darin liege eine Versagung des rechtlichen Gehörs. Insbesondere hätten die abgelehnten Richter seine Rechtsausführungen bezüglich der Behandlung einer Abgabe als Steuer, der ausreichenden gesetzlichen Grundlage für einen Vorauszahlungsbescheid und bezüglich der Verfassungsmäßigkeit des SolZG nicht verarbeitet. Die Nichtbeachtung nahezu aller vorgetragenen Argumente und damit die Nichtverarbeitung der diesbezüglichen Rechtsausführungen im Vorbescheid lasse bei ihm den Eindruck aufkommen, daß nicht mit der einen Gericht zu Gebote stehenden Sorgfalt und Unvoreingenommenheit vorgegangen werde. Von seinem Standpunkt aus sei deshalb bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon auszugehen, daß die Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werden. Es sei zu befürchten, daß das Gericht vergleichbar nachlässig mit dem Verarbeiten rechtlicher Argumente im weiteren Verlauf des Verfahrens umgehe.
Das FG hat die Ablehnungsgesuche des Klägers wegen Rechtsmißbrauches als unzulässig abgelehnt.
Dagegen ist die Beschwerde des Klägers gerichtet.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.
Das FG hat den Ablehnungsantrag im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Das Ablehnungsgesuch ist entgegen der Vorentscheidung zulässig, jedoch nicht begründet.
1. Ein Richter kann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 51 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i.V.m. § 42 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Dabei kommt es darauf an, ob der betroffene Beteiligte von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger objektiver Betrachtung Anlaß hat, Voreingenommenheit zu befürchten (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555, ständige Rechtsprechung).
Das Ablehnungsgesuch muß sich grundsätzlich auf bestimmte Richter beziehen. Wegen Rechtsmißbrauchs ist es im allgemeinen unzulässig, pauschal den ganzen Spruchkörper oder alle Berufsrichter eines Spruchkörpers ohne Angabe ernstlicher Gründe in der Person des einzelnen Richters abzulehnen (BFH-Urteil vom 25. Oktober 1973 IV R 80/72, BFHE 110, 479, BStBl II 1974, 142; und Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 51 FGO Tz. 10 m.w.N.). Allerdings gilt dies nicht, wenn alle Mitglieder eines Spruchkörpers wegen Besorgnis der Befangenheit im Hinblick auf konkrete Anhaltspunkte in einer Kollegialentscheidung abgelehnt werden (ständige BFH-Rechtsprechung - z.B. BFH-Beschluß vom 27. Juli 1992 VIII B 59/91, BFH/NV 1993, 112, m.w.N., im Anschluß an Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 5. Dezember 1975 VI C 129.74, BVerwGE 50, 36, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Finanzgerichtsordnung, § 51, Rechtsspruch 28). Denn in einem solchen Fall kann der Betroffene wegen des Beratungsgeheimnisses nicht wissen, welcher Richter die Entscheidung mitgetragen hat (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 16. Dezember 1969 5 StR 468/69, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1970, 478). Ein Mißbrauch des Ablehnungsrechts durch Ablehnung des gesamten Spruchkörpers liegt beim Anknüpfen an eine von diesem getroffene Entscheidung daher nur vor, wenn das Gesuch gar nicht oder nur mit Umständen begründet wird, welche die Besorgnis der Befangenheit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtfertigen können (Urteil des BVerwG vom 2. Juli 1976 VI C 109.75, Die Öffentliche Verwaltung - DÖV - 1976, 747). So liegt der Streitfall jedoch nicht. Der Kläger hat sein Ablehnungsgesuch mit konkreten Umständen begründet, die den vom FG erlassenen Vorbescheid betreffen.
Über das somit zulässige Ablehnungsgesuch hätte das FG daher nicht durch die davon betroffenen Richter befinden dürfen. Die Beschwerde ist gleichwohl zurückzuweisen, weil das Ablehnungsgesuch unbegründet war.
Es ist insoweit unschädlich, daß die abgelehnten Richter keine dienstliche Äußerung über das Ablehnungsgesuch abgegeben haben, da der zur Entscheidung stehende Sachverhalt unstreitig feststeht (BFH-Beschluß vom 30. September 1986 VIII B 31/86, BFH/NV 1987, 308).
2. Das Ablehnungsgesuch war unbegründet, weil die Richterablehnung grundsätzlich nicht auf die Rüge rechtsfehlerhafter Entscheidung gestützt werden kann. Dies gilt insbesondere für die Rüge von Rechtsverstößen, die dem Gericht in einem früheren Verfahrensabschnitt oder in einem Parallelverfahren unterlaufen sind (vgl. BFH-Beschlüsse vom 7. Mai 1986 I B 70/85, BFH/NV 1987, 653, und vom 30. November 1987 VIII B 7/87, BFH/NV 1989, 639). Denn das Richterablehnungsverfahren schützt nicht gegen unrichtige Rechtsansichten des Richters. Dagegen können sich die Beteiligten mit den dafür vorgesehenen Rechtsbehelfen wehren. Rechtsfehler können nur ausnahmsweise, und zwar dann eine Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, daß die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber der ablehnenden Partei oder auf Willkür beruht (BFH-Beschluß vom 16. Februar 1989 X B 99/88, BFH/NV 1989, 708; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, § 51 Tz. 40). Die Fehlerhaftigkeit muß ohne weiteres feststellbar und gravierend sein sowie auf unsachliche Erwägungen schließen lassen (BFH-Beschluß vom 7. April 1988 X B 4/88, BFH/ NV 1989, 587, Ziff.II.3. a der Gründe).
Dies hat die Rechtsprechung z.B. angenommen, wenn der betroffene Richter die seiner richterlichen Tätigkeit gesetzten Schranken mißachtet und verfassungsrechtliche Grundrechte verletzt hat oder wenn in einer Weise gegen Verfahrensregeln verstoßen wurde, daß sich bei den Beteiligten der Eindruck der Voreingenommenheit aufdrängen konnte (vgl. Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 12. Mai 1977 1 Z 29/77 Deutsche Richterzeitung 1977, 244, 245).
Von einer solchen schwerwiegenden Fehlerhaftigkeit kann im Streitfall nicht deshalb gesprochen werden, weil das FG einen Steuerbescheid, mit dem Vorauszahlungen des Solidaritätszuschlags festgesetzt wurden, entgegen der Meinung des Klägers, nicht als nichtig beurteilt hat. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der erkennende Senat insoweit auf das Urteil des IV.Senats des BFH vom 25. Juni 1992 IV R 9/92 (BFHE 167, 551, BStBl II 1992, 702), der die vom Kläger angezweifelte Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlages bejaht und eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Erhebung von Vorauszahlungen erkannt hat.
Ebensowenig liegt ein solcher Rechtsverstoß des FG darin, daß es nicht sämtliche rechtliche Argumente des Klägers im von diesem gewünschten Umfang verarbeitet hat. Zum einen ist insoweit nichts für ein bewußt voreingenommenes Vorgehen der abgelehnten Richter erkennbar. Zum anderen gebietet das vom Kläger in diesem Zusammenhang geltend gemachte Grundrecht auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht, daß das gesamte Vorbringen eines Beteiligten ausdrücklich in der Entscheidung beschieden wird (Tipke/Kruse, a.a.O., § 96 FGO Tz. 22 a.E., mit zahlreichen Nachweisen).
Im übrigen konnte sich der Kläger das von ihm vermißte Gehör verschaffen, indem er aufgrund des von ihm kritisierten Vorbescheides mündliche Verhandlung beantragte.
Schließlich sind die abgelehnten Richter auch nicht deshalb befangen, weil sie in einem Vorbescheid ihre Rechtsmeinung kundgetan haben (Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 2. Aufl. 1987, § 51 Rdnr. 41 m.w.N.). Ein über die Äußerung ihrer Rechtsauffassung hinausgehender Begründungsüberhang, der auf eine unsachliche Einstellung der abgelehnten Richter zum Kläger schließen läßt (vgl. BFH-Beschluß vom 20. November 1990 VII B 32/90, BFH/NV 1991, 755), ist weder vorgetragen noch sonst erkennbar.
Fundstellen
Haufe-Index 419148 |
BFH/NV 1994, 637 |