Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit einer tatsächlichen Verständigung; Treu und Glauben
Normenkette
AO 1977 §§ 88, 204, 4
Verfahrensgang
FG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 15.09.2004; Aktenzeichen 1 K 2848/02) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer tatsächlichen Verständigung.
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine GmbH. Für die Streitjahre 1997 bis 1999 wurde bei der Klägerin eine Betriebsprüfung durchgeführt. Dabei kam der Prüfer zu dem Ergebnis, dass die von einer weiteren Gesellschaft an die Klägerin erbrachten Lieferungen und Leistungen zu überhöhten Preisen verrechnet worden seien und dass die Klägerin ihrerseits Leistungen erbracht habe, ohne dafür fremdübliche Entgelte erhalten zu haben. Dem Prüfungsbericht zufolge verständigte man sich in der Schlussbesprechung auf eine Erhöhung der Ergebnisse der Streitjahre durch Reingewinnzuschätzungen. An der Schlussbesprechung nahmen auf Seiten der Klägerin zwei ihrer Gesellschafter und ihr damaliger Steuerberater teil, auf Seiten der Finanzverwaltung der Sachgebietsleiter der Betriebsprüfung sowie der Prüfer. Einwendungen behielt sich die Klägerin nicht vor. Die Schlussbesprechung fand am 13. Juli 2001 statt. Die Niederschrift wurde vom Vorsteher des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt ―FA―) am 8. August 2001 unterschrieben. Am 30. Oktober 2001 ergingen entsprechend geänderte Bescheide. Am 9. November 2001 unterzeichnete der Geschäftsführer der Klägerin die Niederschrift.
Der gegen die geänderten Bescheide eingelegte Einspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg. Die Klage wurde abgewiesen. Das Finanzgericht (FG) kam zu dem Ergebnis, dass die Beteiligten hinsichtlich der streitigen Gewinnzuschätzungen eine tatsächliche Verständigung getroffen hätten. Diese sei zwar nicht bereits am 13. Juli 2001 zustande gekommen, da das FA nicht durch einen für die Entscheidung über die Steuerfestsetzung zuständigen Amtsträger vertreten gewesen sei. Jedoch sei die Unterzeichnung der Niederschrift durch den Vorsteher des FA am 8. August 2001 als Angebot zum Abschluss einer tatsächlichen Verständigung zu werten. Dieses Angebot habe die Klägerin mit der Gegenzeichnung ihres Geschäftsführers angenommen. Mit dem Eingang der unterzeichneten Niederschrift beim FA am 9. November 2001 sei die tatsächliche Verständigung wirksam geworden.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin geltend, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung zu (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) und sowohl die Fortbildung des Rechts als auch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderten eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs ―BFH― (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO); darüber hinaus liege eine Verfahrensmangel vor (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
Die Klägerin beantragt, die Revision zuzulassen.
Das FA tritt der Beschwerde entgegen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet und war daher zurückzuweisen. Die von der Klägerin geltend gemachten Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 FGO) liegen nicht vor.
1. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO eine Entscheidung des BFH.
a) Das gilt zunächst im Hinblick auf die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage, in welcher Weise ein Amtsträger am Abschluss einer tatsächlichen Verständigung beteiligt sein muss. Durch die Rechtsprechung ist hinreichend geklärt, dass eine verbindliche Zusage, eine tatsächliche Verständigung oder eine sonstige Bindung des FA nach Treu und Glauben nur dann angenommen werden kann, wenn das FA durch einen für die Entscheidung über die Steuerfestsetzung zuständigen Amtsträger (Vorsteher oder Sachgebietsleiter) vertreten worden ist (vgl. BFH-Beschluss vom 9. Dezember 2004 VII B 129/04, BFH/NV 2005, 663, zur Bindung an eine Mitteilung nach Treu und Glauben; BFH-Urteil vom 7. Juli 2004 X R 24/03, BFHE 206, 292, BStBl II 2004, 975, zur tatsächlichen Verständigung, und vom 31. März 2004 I R 71/03, BFHE 206, 42, BStBl II 2004, 742, zur verbindlichen Zusage). Äußerungen des Betriebsprüfers, Berichte oder Mitteilungen der Außenprüfung reichen für eine solche Bindung grundsätzlich nicht aus (BFH-Urteile vom 21. Juni 2001 V R 33/99, BFH/NV 2001, 1619; vom 23. Mai 1991 V R 1/88, BFH/NV 1991, 846; ebenso: Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordung, Finanzgerichtsordnung, § 201 AO Tz. 13; Sauer in Beermann/Gosch, AO § 201 Rz. 25 f.). Gesichtspunkte, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Rechtsfrage durch den BFH erforderlich machen und eine Zulassung der Revision rechtfertigen könnten (vgl. BFH-Beschluss vom 30. August 2005 IV B 102/03, BFHE 210, 365, BStBl II 2005, 864, unter I. 1. a, m.w.N.), sind nicht erkennbar.
b) Die von der Klägerin in diesem Zusammenhang und unter Hinweis auf die BFH-Beschlüsse vom 28. Juli 1993 XI R 68/92 (BFH/NV 1994, 290) und vom 25. November 1997 IX R 47/94 (BFH/NV 1998, 580) aufgeworfene weitere Frage, ob Erklärungen eines nicht befugten Amtsträgers nachträglich genehmigt werden können, ist im Streitfall nicht entscheidungserheblich. Denn das FG hat die Unterzeichnung der Niederschrift durch den Vorsteher des FA am 8. August 2001 nicht als Genehmigung einer im Rahmen der Schlussbesprechung getroffenen Vereinbarung gewertet, sondern als Angebot zum Abschluss einer ―neuen― tatsächlichen Verständigung. Ob diese Würdigung des vom FG festgestellten Sachverhalts zutreffend ist, ist im Rahmen der Beschwerde nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FGO nicht maßgeblich.
c) Ebenso wenig rechtfertigt die Frage, ob eine tatsächliche Verständigung auch dann noch Bindungswirkung entfalten kann, wenn ihr Inhalt bereits durch entsprechende Steuerbescheide umgesetzt worden ist, eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 FGO. Zwar hat das FG eine entsprechende Bindungswirkung angenommen (S. 13 des FG-Urteils), dies jedoch mit den Besonderheiten des vorliegenden Streitfalls begründet, vor allem der inhaltlichen Umsetzung der tatsächlichen Verständigung durch die Bescheide vom 30. Oktober 2001 und der Annahme der Verständigung durch den Geschäftsführer der Klägerin am 9. November 2001. Ein über diesen Einzelfall hinausgehendes allgemeines (abstraktes) Interesse an der Klärung der von der Klägerin benannten rechtlichen Problematik vermag der Senat vor diesem Hintergrund nicht zu erkennen.
d) Des Weiteren ist ebenfalls hinreichend geklärt, dass eine tatsächliche Verständigung keine Bindungswirkung gegenüber Dritten entfaltet, soweit diese an dem Abschluss der Verständigung nicht mitgewirkt haben (BFH-Urteil in BFHE 206, 292, 297 ff., BStBl II 2004, 975, 977 f.; vgl. Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., Vor § 118 AO Tz. 32, m.w.N.). Auch insoweit hat die Klägerin keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen, die eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 FGO rechtfertigen würden.
2. Schließlich liegt auch kein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vor, auf dem die Entscheidung beruhen könnte. Das FG hat weder seine Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 FGO verletzt noch die aus § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO resultierende Verpflichtung, den Inhalt der Akten vollständig zu berücksichtigen. Die widersprüchlichen Ansichten der Beteiligten zu der Frage, ob bzw. wann eine tatsächliche Verständigung geschlossen wurde, hat das FG im Tatbestand seines Urteils wiedergegeben (insbesondere S. 4 f. und 8 f. des FG-Urteils) und in den Entscheidungsgründen gewürdigt (insbesondere S. 12 f. und 15 f. des FG-Urteils). Da dem FG zufolge am 13. Juli 2001 jedenfalls keine wirksame Verständigung geschlossen wurde, kam es auf die ―nach Ansicht der Klägerin nicht hinreichend aufgeklärte― Frage, ob der Prüfer "den Eindruck seiner Befugnis zum Abschluss einer tatsächlichen Verständigung" vermittelt habe, nicht an.
Fundstellen