Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassung der Revision in einer USt-Sache (Streit über das Vorliegen unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung)
Leitsatz (NV)
1. Das allgemeine Interesse aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit bzw. der Rechtsentwicklung an der im Revisionsverfahren zu erwartenden Entscheidung des BFH läßt sich u. a. mit Darlegungen darüber aufzeigen, welche widerstreitenden Meinungen in der Rechtsprechung und seitens der Finanzverwaltung vertreten werden.
2. Die Rechtsfrage, ob Vorsteuer gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967/73 und 1980 auch aus solchen Rechnungen abgezogen werden darf, in denen zur Bezeichnung des Leistungsgegenstandes Gewerke angeführt sind, obwohl in Wirklichkeit die Leistung in einer Überlassung von Arbeitnehmern bestanden hat, ist durch die bisherige BFH-Rechtsprechung noch nicht geklärt.
Normenkette
AO 1977 § 41; AÜG Art. 1 § 9 Nr. 1, § 10 Abs. 1; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 3; UStG 1967/1973 § 14 Abs. 1; UStG 1967/1973 § 15 Abs. 1; UStG 1980 § 14 Abs. 1, 4-5, § 15 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kl. betrieb nach den Feststellungen des FG in den Streitjahren (1978 bis 1981) ein Unternehmen, das . . . errichtete. Er bediente sich hierbei mehrerer Subunternehmer, die ihm Arbeitnehmer zur Verfügung stellten. Mit den Subunternehmern schloß er Verträge, welche die Erstellung bestimmter Gewerke zum Inhalt haben. Entsprechende Werkleistungen wurden seitens der Subunternehmer dem Kl. gegenüber mit gesondertem Ausweis von Umsatzsteuer berechnet.
Im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wurden die Vereinbarungen des Kl. mit bestimmten Subunternehmern als unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung angesehen. Es wurde angenommen, daß Abrechnungen zwischen den Subunternehmern und dem Kl. nicht auf der Erstellung bestimmter Gewerke basierten, sondern auf den geleisteten Arbeitsstunden der dem Kl. zur Verfügung gestellten Arbeitnehmer.
Aufgrund einer daraufhin durchgeführten Außenprüfung ließ das FA die von den Subunternehmern in ihren Rechnungen dem Kl. gegenüber ausgewiesene Umsatzsteuer nicht zum Vorsteuerabzug zu.
Mit der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage begehrt der Kl., die Rechnungen zum Vorsteuerabzug zuzulassen und die Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre zu mindern.
Das FG gab der Klage mit der Begründung statt, der Kl. sei zum umstrittenen Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967/73 und 1980 berechtigt. Die Umsatzsteuer sei dem Kl. gesondert in Rechnung gestellt worden. Es seien dabei sonstige Leistungen berechnet worden, die für das Unternehmen des Kl. ausgeführt worden seien. Die Art und der Umfang der sonstigen Leistungen seien nicht hinsichtlich des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 UStG 1967/73 und 1980 in den Rechnungen falsch bezeichnet worden. Aus den Rechnungen gehe eindeutig hervor, daß Arbeitskräfte, die seitens des jeweiligen Subunternehmers zur Verfügung gestellt worden seien, für den Kl. Gewerke hergestellt hätten. Ob die diesen Leistungen zugrundeliegende vertragliche Gestaltung als Werkvertrag oder als Vertrag über unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung i. S. des Art. 1 § 9 Nr. 1 des Gesetzes zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz - AÜG -) vom 7. August 1972 (BGBl I 1972, 1393) anzusehen sei, mit der Folge, daß der Vertrag nichtig sei und zwischen dem Kl. (Entleiher) und den Arbeitnehmern kraft des Art. 1 § 10 Abs. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis fingiert werde, spiele für die umsatzsteuerliche Betrachtung keine Rolle. Denn nach der wirtschaftlichen Betrachtungsweise gemäß § 41 AO 1977, die im Umsatzsteuerrecht besondere Bedeutung habe, sei darauf abzustellen, ob trotz der eventuellen Umwirksamkeit des Kausalgeschäfts die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis gleichwohl hätten eintreten und bestehen lassen (vgl. Urteil des BFH vom 2. April 1982 VI R 34/79, BFHE 135, 501, BStBl II 1982, 502; Beschluß des FG Düsseldorf vom 29. Februar 1984 XV 356/83 A -U-, EFG 1984, 469; Beschluß des FG München vom 17. April 1984 III 397/83 Aus U, EFG 1985, 314).
Selbst wenn man mit dem FA annähme, eine eventuelle Arbeitnehmerüberlassung würde zur unrichtigen Bezeichnung der Art der sonstigen Leistung i. S. des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 UStG 1967/73 und 1980 führen, hätte dies für den Vorsteuerabzug keine Bedeutung. Sowohl gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967/73, der für die Jahre 1978 und 1979 Anwendung finde, als auch gemäß des wegen der Jahre 1980 und 1981 anzuwendenden § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980 sei nicht tatbestandsmäßige Voraussetzung für den Vorsteuerabzug, daß die Rechnungen sämtliche Angaben des § 14 Abs. 1 UStG 1967/73 und 1980 enthielten; denn der Rechnungsbegriff des § 15 UStG 1967/73 und 1980 sei nicht mit dem des § 14 Abs. 1 UStG 1967/73 und 1980 identisch. Dies gelte auch für § 15 UStG 1980 trotz des gegenüber § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967/73 geänderten Wortlautes. Die Formulierung ,,Rechnungen im Sinne des § 14" beziehe sich nach ihrer Entstehungsgeschichte nur auf § 14 Abs. 4 und 5 UStG 1980. Danach liege eine Rechnung auch vor, wenn in einer Abrechnung nicht sämtliche Merkmale des § 14 Abs. 1 UStG 1980 enthalten seien (vgl. BFH-Urteile vom 17. Mai 1979 V R 112/74, BFHE 128, 115, BStBl II 1979, 657, und vom 24. April 1986 V R 138/78, BFHE 146, 489, BStBl II 1986, 581; Beschluß des FG München in EFG 1985, 314; Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 6. März 1985 1 K 202/84, EFG 1985, 579; a. A.: Beschluß des FG Düsseldorf vom 27. Mai 1983 XIII 221/83 A -U-, EFG 1984, 146; Urteil des FG Münster vom 13. Juni 1984 V 7113/83 U, EFG 1985, 203).
Das Urteil enthält keinen Ausspruch über die Zulassung der Revision.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht das FA geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung. Das FG habe über die Rechtsfrage zu entscheiden gehabt, ob in Rechnung gestellte Umsatzsteuer aus Abrechnungen, die eine Arbeitnehmerüberlassung verschleierten, gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967/73 und 1980 als Vorsteuer abgezogen werden dürfe. Das Ergebnis, zu dem das FG gekommen sei, stehe in Widerspruch zu dem im Einvernehmen mit dem BMF und den obersten Finanzbehörden der anderen Länder ergangenen Erlaß des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 6. Dezember 1985 S 7300 - 35 - V C 4 (vgl. BMF-Schreiben vom 6. Dezember 1985 IV A 1 - S 7300 - 41/85, USt-Kartei, S 7300 Karte 9). Das FG sei der Meinung, für den Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967/73 und 1980 sei nicht tatbestandsmäßige Voraussetzung, daß die Rechnung sämtliche Angaben des § 14 Abs. 1 UStG 1967/73 und 1980 enthalten müßte. Der Rechnungsbegriff des § 15 sei nicht identisch mit dem des § 14 Abs. 1 UStG 1967/73 und 1980. Dem stehe die Ansicht des BMF sowie die der obersten Finanzbehörden der Länder gegenüber, wonach ein Vorsteuerabzug nicht in Betracht komme, wenn die an den Unternehmer ausgeführte Leistung in der Rechnung nicht oder nicht zutreffend bezeichnet worden sei. Die bisher ergangene finanzgerichtliche Rechtsprechung sei nicht einheitlich. Während der XIII. Senat des FG Düsseldorf in seinem Beschluß in EFG 1984, 146 und das FG Münster mit Urteil in EFG 1985, 203 die von der Verwaltung vertretene Rechtsauffassung stützten, vertrete der XV. Senat des FG Düsseldorf in seinem Beschluß in EFG 1984, 469 und das FG Rheinland-Pfalz mit Urteil in EFG 1985, 579 die in der Vorentscheidung geäußerte Meinung. Soweit ersichtlich, habe der BFH zur vorliegenden Problematik bisher noch keine Entscheidung getroffen.
Nach Auffassung des FA verstoße die Vorentscheidung gegen § 15 Abs. 1 UStG 1967/73 und 1980. Die Rechtsfrage sei wegen ihrer nicht unerheblichen Auswirkungen von allgemeinem Interesse, so daß eine Klärung durch den BFH geboten sei.
Der Kl. ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten. Er macht geltend, dem FA sei zwar darin zuzustimmen, daß die finanzgerichtliche Rechtsprechung bisher zum Problemkreis des Vorsteuerabzugs bei derartig gelagerten Sachverhalten unterschiedliche Auffassungen vertreten habe (u. a.: Urteil des FG Rheinland-Pfalz in EFG 1985, 579; Beschluß des FG Düsseldorf in EFG 1984, 469; Urteil des FG Hamburg vom 25. Juli 1986 II 160/86, EFG 1987, 150; a. A.: Beschluß des FG Düsseldorf in EFG 1984, 146; Urteil des FG Münster in EFG 1985, 203). Der BFH habe aber zu dieser Problematik inzwischen in seinem Urteil in BFHE 146, 489, BStBl II 1986, 581 ausführlich Stellung genommen und sei zu dem Ergebnis gekommen, daß für die Inanspruchnahme des Vorsteuerabzuges gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967/73 die in § 14 Abs. 1 Nr. 3 UStG 1967/73 aufgeführten Angaben keine zwingenden Voraussetzungen darstellten. Diese Entscheidung habe gleichermaßen für § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980 Bedeutung, wie sich aus der Entwicklungsgeschichte des UStG 1980 ableiten lasse. Da die Vorentscheidung im Einklang mit der BFH-Rechtsprechung stehe, die bereits eine Klärung herbeigeführt habe, sei grundsätzliche Bedeutung i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu verneinen. Der Nichtzulassungsbeschwerde sei daher nicht stattzugeben.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde des FA ist zulässig und begründet; die Revision war zuzulassen.
1. Für die Beschwerde, mit der die Nichtzulassung der Revision selbständig angefochten werden kann (§ 115 Abs. 3 Satz 1 FGO), sind die in § 115 Abs. 2 FGO angeführten Zulassungsgründe maßgebend, d. h. u. a. der Umstand, daß die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1). Unter grundsätzlicher Bedeutung ist nach der BFH-Rechtsprechung zu verstehen, daß die im Revisionsverfahren zu erwartende Entscheidung des BFH aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit bzw. der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt (vgl. BFH-Beschluß vom 27. Juni 1985 I B 23/85, BFHE 144, 133, BStBl II 1985, 605, m.w.N.).
2. Nach dem Vorbringen des FA sind diese Voraussetzungen erfüllt.
Das FA hat zutreffend dargelegt, die Klagestattgabe durch das FG beruhe darauf, daß das FG die Rechtsfrage bejaht hat, ob Vorsteuer gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967/73 und 1980 auch aus solchen Rechnungen abgezogen werden darf, in denen zur Bezeichnung des Leistungsgegenstandes Gewerke angeführt sind, obwohl in Wirklichkeit die Leistung in einer Überlassung von Arbeitnehmern bestanden hat. Das FA hat ferner die grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage dargetan, indem es darauf hingewiesen hat, daß nur ein Teil der Finanzgerichte gleicher Ansicht wie das FG sei, während andere Finanzgerichte sowie die Finanzverwaltung die erörterte Rechtsfrage verneinten. Daß das FA hierbei nicht auf andere vergleichbare Fälle näher eingegangen ist, die noch abschließend entschieden werden müßten, ist nicht schädlich. Das Interesse der Allgemeinheit läßt sich u. a. mit Darlegungen darüber aufzeigen, welche widerstreitenden Meinungen in der Rechtsprechung und seitens der Finanzverwaltung vertreten werden (vgl. Herrmann, Die Zulassung der Revision und die Nichtzulassungsbeschwerde im Steuerprozeß, Rdnr. 153, m.w.N.).
Entgegen der Annahme des Kl. fehlt es nicht im Hinblick auf neuere Rechtsprechung des erkennenden Senats an der Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage, was gegebenenfalls die Annahme des Vorliegens der grundsätzlichen Bedeutung ausschlösse (vgl. Herrmann, a.a.O., Rdnr. 144 f.; Klein/Ruban, Der Zugang zum Bundesfinanzhof, Nichtzulassungsbeschwerde, Revision, Rdnr. 50 ff.).
In seinen Beschlüssen vom 21. Februar 1985 V B 27/84 (BFHE 143, 171) und vom 4. Juli 1985 V B 15/85 (BFH/NV 1985, 182), die beide § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980 betreffen, ist der Senat der erörterten Rechtsfrage nur so weit nachgegangen, bis sich ernstliche Zweifel eingestellt haben. Mit den später ergangenen Urteilen in BFHE 146, 489, BStBl II 1986, 581 und vom 12. Juni 1986 V R 75/78 (BFHE 146, 569, BStBl II 1986, 721) hat der Senat zwar - für Warenvorbezüge im Einzelhandel - in Beziehung auf § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967/73 entschieden, das Abrechnungspapier, auf das das Vorsteuerabzugsbegehren gestützt werde, müsse Angaben tatsächlicher Art enthalten, welche die Identifizierung der Leistung ermöglichen, über die abgerechnet worden sei. Zu sonstigen Leistungen als Vorbezügen, bei denen sich im Verhältnis zu Lieferungen wegen der Vielfältigkeit des Leistungsgegenstandes für dessen Bezeichnung im Abrechnungspapier zusätzliche Probleme ergeben, liegt ein entsprechendes Senatsurteil noch nicht vor.
Fundstellen