Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerbefreiung der Umsätze eines ambulanten Pflegedienstes
Leitsatz (NV)
1. Erbringt eine aus zwei Krankenpflegern bestehende Gesellschaft bürgerlichen Rechts Leistungen der häuslichen Krankenpflege (Behandlungspflege, Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung), kommt Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 UStG 1980 grundsätzlich nur für Leistungen der Behandlungspflege in Betracht.
2. Ein Steuerpflichtiger kann eine Steuerbefreiung nicht mit der Begründung beanspruchen, die Finanzverwaltung befreie andere Steuerpflichtige zu Unrecht von der Steuer (keine "Gleichheit im Unrecht").
3. Im gerichtlichen Verfahren auf Aus setzung der Vollziehung besteht keine Verpflichtung zur Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften.
Normenkette
UStG 1980 § 4 Nrn. 14, 16 Buchst. e, Nr. 18; SGB V § 37; GG Art. 3 Abs. 1; EWGRL 388/77 Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g; FGO § 69 Abs. 2-3
Tatbestand
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin), eine aus zwei Krankenpflegern bestehende Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), betreibt einen ambulanten Pflegedienst. Sie führte in den Streitjahren (1987 bis 1990) für Anspruchsberechtigte von Krankenkassen die häusliche Krankenpflege (Behandlungspflege, Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung) durch. Die Leistungen erbrachte sie aufgrund sog. Rahmenvereinbarungen mit den Krankenkassen gegen pro Tag bzw. pro Einsatz gezahlte Pauschalvergütung.
Die Antragstellerin beansprucht für diese Umsätze -- in vollem Umfang -- Steuerfreiheit. Sie ist der Auffassung, es handle sich um Umsätze aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit i. S. des § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980). Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) hingegen unterwarf die Umsätze im Anschluß an eine Umsatzsteuersonderprüfung in den Umsatzsteuerbescheiden 1987 bis 1990 der Besteuerung. Er hielt Steuerfreiheit zwar insoweit für gegeben, als die Umsätze auf das Gebiet der Behandlungspflege entfielen, sah sich aber aufgrund mangelnder Mitwirkung der Antragstellerin außerstande, die von ihr bewirkten Umsätze teilweise diesem Bereich zuzuordnen.
Auf den Einspruch der Antragstellerin änderte das FA die Steuerbescheide 1987, 1989 und 1990 in einem anderen Streitpunkt, hielt aber im übrigen an seiner Auffassung fest und lehnte es ab, die Vollziehung der Bescheide auszusetzen. Eine Einspruchsentscheidung ist noch nicht ergangen.
Dem Antrag der Antragstellerin gemäß § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf Aussetzung der Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide 1987 bis 1990 und der Zinsbescheide zur Umsatzsteuer 1989 und 1990 gab das Finanzgericht (FG) teilweise statt. Es folgte der Auffassung des FA zur Steuerfreiheit (nur) der auf die Behandlungspflege entfallenden Umsätze und setzte nach griffweiser Schätzung der begünstigten Umsätze die Vollziehung der angefochtenen Bescheide in Höhe eines Drittels der angeforderten Beträge aus.
Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit der -- vom FG zugelassenen -- Beschwerde. Sie macht geltend: Neben den Leistungen auf dem Gebiet der Behandlungspflege seien auch grundpflegerische Leistungen und Leistungen auf dem Gebiet der hauswirtschaft lichen Versorgung den heilberuflichen Tätigkeiten i. S. des § 4 Nr. 14 UStG 1980 zuzurechnen. Eine Aufteilung der Umsätze auf die einzelnen Bereiche nach objektiven Kriterien sei nicht möglich. Sie sei in ihrem Grundrecht der Besteuerungsgleichheit (Art. 3 des Grundgesetzes -- GG --) verletzt, weil den mit ihr konkurrierenden freien Wohlfahrtsverbänden zu Unrecht Umsatzsteuerfreiheit nach § 4 Nr. 18 UStG 1980 gewährt werde. Schließlich berufe sie sich auf die unmittel bare Geltung von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie des Rates (77/388/EWG) zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern -- Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage -- vom 17. Mai 1977 -- im folgenden: 6. EG-Richtlinie -- (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften -- ABlEG -- 1977 L 145, S. 1). Diese Vorschrift habe der nationale Gesetzgeber verspätet umgesetzt, nämlich erst mit der Einfügung des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG 1980 zum 1. Januar 1992, so daß die für den davor liegenden Zeitraum unmittelbare (steuerbefreiende) Wirkung entfalle.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
Die Antragstellerin kann eine Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Be scheide über den bereits vom FG verfügten Umfang hinaus nicht beanspruchen. Soweit das FG Aussetzung der Vollziehung abgelehnt hat, bestehen keine ernst lichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide (§ 69 Abs. 2 und 3 FGO).
1. Nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1980 sind u. a. die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Krankengymnast, Hebamme oder aus einer ähnlichen heil beruflichen Tätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfrei.
a) Wie der Senat in seinem Urteil vom 26. August 1993 V R 45/89, BFHE 172, 223 im einzelnen dargelegt hat, sind auf dem Gebiet der Hauskrankenpflege er brachte Leistungen der Grundpflege keine "ähnlichen heilberuflichen Tätigkeiten" im Sinne der bezeichneten Vorschrift. Zur Grundpflege zählen nach der Rahmenvereinbarung der Antragstellerin mit den Krankenkassen vom 9. Juli 1990 allgemeine pflegerische Maßnahmen wie Krankenbeobachtung, Körperpflege und Körperreinigung, betten und lagern, anziehen, vorbeugende Maßnahmen (Prophylaxen), soweit die jeweils auszuführende Tätigkeit nicht der Behandlungspflege zuzuordnen ist, Hilfen bei der Nahrungsaufnahme und allgemeine Mobilisation.
Die ferner von der Antragstellerin erbrachten Leistungen der hauswirtschaftlichen Versorgung (Tätigkeiten im hygienischen Bereich, Zubereitung/Aufwärmen von Mahlzeiten und die insoweit erforderlichen Einkäufe, Spülen, Entsorgung der Haushaltsabfälle, Reinigung von Wäsche und Kleidung, ggf. Heizen der Wohnung; vgl. Rahmenvereinbarung vom 9. Juli 1990) sind ebenfalls nicht heilberuflicher Art, die keiner näheren Darlegung bedarf.
Die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1980 kommt mithin grundsätzlich nur für Leistungen der Behandlungspflege in Betracht (vgl. List in Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, § 4 Nr. 14 Rz. 6 a. E.; Husmann in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, Umsatzsteuergesetz, § 4 Nr. 14 Anm. 23; Oberfinanzdirektion -- OFD -- Hamburg, Verfügung vom 10. Oktober 1988, Umsatzsteuer-Rundschau -- UR -- 1990, 197). Dabei handelt es sich um medizinische Hilfeleistungen wie Injektionen und Dekubitusbehandlung, die nur von besonders geschultem Pflegepersonal, wie etwa Krankenschwestern oder -pflegern, durchgeführt werden können (vgl. Senatsurteil vom 26. August 1993 V R 45/89 unter II. 3. d, m. w. N.). Dieses Begriffsverständnis liegt auch den Rahmenvereinbarungen zugrunde, die die Antragstellerin mit den Krankenkassen getroffen hat.
b) Leistungen der Behandlungspflege, Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung sind grundsätzlich voneinander trennbar. Dies ergibt sich aus § 37 des Sozialgesetzbuches -- Gesetzliche Krankenversicherung -- vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 1988, 2477) -- SGB V --. Davon gehen auch die Rahmenvereinbarungen aus, obwohl die Leistungen der Antragstellerin nicht gesondert vergütet wurden. Die Leistungsstatistiken, die die Antragstellerin exemplarisch vorgelegt hat, weisen die Anzahl der für die Krankenkassen geleisteten Pflegeeinsätze ebenfalls getrennt nach Grundpflege, Behandlungspflege und hauswirtschaftlicher Versorgung aus.
c) Im Streitfall ist (noch) nicht geklärt, welcher Teil der Umsätze, die die Antragstellerin in den Streitjahren bewirkt hat, auf die Behandlungspflege entfällt. Bei der gebotenen Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund präsenter Beweismittel und des unstreitigen Sachverhalts (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 16. Oktober 1991 I B 227--228/90, BFH/NV 1992, 341) ergibt sich aber kein Anhaltspunkt dafür, daß dies entgegen der Annahme des FG auf mehr als ein Drittel der Umsätze zutrifft. Daß die entsprechende griffweise Schätzung nicht willkürlich ist, wie die Antragstellerin meint, ergibt sich aus den von ihr selbst vorgelegten Leistungsstatistiken.
2. Der Hinweis der Antragstellerin, sie sei in ihrem Grundrecht der Besteuerungsgleichheit (Art. 3 GG) verletzt, weil die Finanzverwaltung die freien Wohlfahrtsverbände durch (unzutreffende) Gewährung der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 18 UStG 1980 rechtswidrig begünstige, geht fehl.
Der Gleichheitssatz verlangt für das Steuerrecht, daß die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden. Wird die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung des Erhebungsverfahrens prinzipiell verfehlt, so kann dies die Steuerpflichtigen in ihrem Grundrecht auf Besteuerungsgleichheit verletzen (vgl. Ur teil des Bundesverfassungsgerichts -- BVerfG -- vom 27. Juni 1991 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654 unter C. I.).
Um Fragen der rechtlichen Gestaltung des Erhebungsverfahrens geht es hier nicht. Die Antragstellerin rügt vielmehr (lediglich) unzutreffende Rechtsanwendung durch die Finanzverwaltung bei anderen Steuerpflichtigen. Einen Anspruch auf Anwendung einer rechtswidrigen Verwaltungspraxis vermittelt Art. 3 Abs. 1 GG aber nicht. Insoweit gibt es keine "Gleichheit im Unrecht" (vgl. BVerfG-Beschluß vom 28. Juni 1993 1 BvR 390/89, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -- HFR -- 1993, 592; BFH-Urteil vom 5. September 1990 X R 107--108/89, BFHE 161, 543, BStBl II 1990, 1060 unter 3.). Die Antragstellerin könnte deshalb nicht ebenfalls die rechtswidrige Gewährung einer Steuerbefreiung -- sollte diese tatsächlich vorliegen -- beanspruchen.
3. Auf eine unmittelbare Geltung von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG- Richtlinie kann sich die Antragstellerin nicht berufen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) kann sich ein Steuerpflichtiger auf eine Richtlinien- Bestimmung nur dann berufen, wenn diese inhaltlich unbedingt und hinreichend genau erscheint (vgl. EuGH-Urteil vom 25. Mai 1993 Rs. C-193/91, BStBl II 1993, 812). Daran fehlt es hier. Nach der bezeichneten Bestimmung befreien die Mitgliedstaaten die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen der Altenheime, durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen. Daß der von der Antragstellerin betriebene ambulante Pflegedienst als anerkannte Einrichtung mit sozialem Charakter anzu sehen oder jedenfalls derartigen Einrichtungen gleichzusetzen wäre, kann der bezeichneten Vorschrift nicht mit der für eine Berufbarkeit nötigen Eindeutigkeit entnommen werden. Eine Verpflichtung zur Einholung einer Vorabentscheidung gemäß Art. 177 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft besteht im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung nicht (BFH- Beschluß vom 2. Oktober 1989 V B 58/89, BFH/NV 1989, 812 unter 4. m. w. N.).
Fundstellen