Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausfüllung der Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 Alternative 1 FGO bei Rechtsstreit über sachliche Unbilligkeit
Leitsatz (NV)
1. Hatte das FG gemäß § 102 FGO zu prüfen, ob das FA sein Ermessen dem Zweck des § 163 AO 1977 entsprechend ausgeübt und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten hat, können regelmäßig nur solche Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung sein, die sich auf die Unbilligkeit im Einzelfall beziehen.
2. Wird stattdessen geltend gemacht, die materielle Steuernorm müsse wegen des Gleichheitsgebots des Art. 3 Abs. 1 GG und des Grundrechts der Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG verfassungskonform i.S. des Klägers ausgelegt werden, handelt es sich um Rechtsfragen, die im Billigkeitsverfahren nicht klärungsfähig sind.
3. Zumindest solange der Steuerbescheid noch nicht bestandskräftig ist, können Billigkeitsgesichtspunkte nur unter der Annahme rechtserheblich sein, dass der Steuerbescheid rechtsmäßig ist.
Normenkette
FGO §§ 102, 115 Abs. 2 Nrn. 1-2; AO 1977 §§ 5, 163
Verfahrensgang
FG Bremen (Urteil vom 16.03.2005; Aktenzeichen 2 K 81/03 (2)) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) betreibt u.a. im X-Hafen einen Umschlagsbetrieb. Die dafür genutzten Hafengrundstücke hatte sie 1972 käuflich erworben und dabei Verpflichtungen aus einem sog. Altvertrag übernommen, den ein Voreigentümer der Grundstücke 1944 mit der Stadt X abgeschlossen hatte. Der Vertrag wurde mehrfach geändert, und zwar auch noch nach 1972 unter Mitwirkung der Klägerin. In der Fassung des Vertrages vom August 1977 heißt es, der Hafenkapitän werde vor dem Grundstück der Klägerin in erster Linie solchen Schiffen Löschplätze anweisen, die ihrem Umschlag dienen. Soweit der Hafenbereich der Klägerin nicht mit solchen Schiffen belegt sei, könne der Hafenkapitän nach vorheriger Benachrichtigung der Klägerin anderen Schiffen, die nicht nach Land löschen wollen, Liegeplätze vorübergehend anweisen. Die Klägerin habe den Willen, ihre Anlagen auf dem Kaufgrundstück stets voll zu beschäftigen und alles zu tun, um den Warenverkehr über den Hafen X zu fördern.
Das dem Umschlagsbetrieb der Klägerin dienende Betriebsvermögen ist über die jeweiligen Einheitswerte und die Berechnung des Gesamtvermögens in die Vermögensteuerbescheide für 1978 bis 1986 vom 16. Mai 1991, für 1987 und 1989 vom 19. August 1991 sowie für 1988 und 1990 vom 6. September 1991 eingegangen. Gegen die Bescheide ist jeweils Einspruch eingelegt. Die Klägerin verlangt, jenes Betriebsvermögen gemäß § 117 Abs. 1 Nr. 3 bzw. § 117 Nr. 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) in der für die jeweiligen Veranlagungszeiträume geltenden Fassung außer Ansatz zu lassen. Über die Einsprüche ist bislang nicht entschieden worden.
Im September 1990 beantragte die Klägerin, das Betriebsvermögen aus Billigkeitsgründen bei der Festsetzung der Vermögensteuer außer Ansatz zu lassen. Zweck des § 117 Abs. 1 Nr. 3 bzw. § 117 Nr. 2 BewG sei nämlich, das Betriebsvermögen privater Hafenbetriebe demjenigen von Hafenbetrieben in öffentlicher Hand dann gleichzustellen, wenn sie wie diese einer Betriebspflicht, einem Kontrahierungszwang und einem Tarifzwang unterliegen. Sie, die Klägerin, müsse sich schon aus Gründen der Marktbedingungen genauso verhalten wie die XX-Gesellschaft (XX), die der öffentlichen Hand gehöre und deren Betriebsvermögen von der Vermögensteuer befreit sei.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) lehnte den Antrag mit Bescheid vom 21. März 2002 sowie Einspruchsentscheidung vom 24. Januar 2003 ab. Eine sachliche Unbilligkeit scheide aus, da die Klägerin zwar einer Betriebspflicht, aber keinem Kontrahierungs- und Tarifzwang unterliege. Allerdings weiche selbst die XX wegen der Konkurrenz zu anderen Häfen "in allgemeiner Übung von den aufgestellten Tarifen ab". Auch die dagegen erhobene Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) war der Ansicht, das FA habe sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Eine Nichtberücksichtigung des Betriebsvermögens wegen sachlicher Unbilligkeit widerspräche der Wertung des Gesetzgebers, der auf einen rechtlichen Kontrahierungs- und Tarifzwang abgestellt habe. Wenn sich die Klägerin tatsächlich genauso verhalte wie die XX, geschehe dies freiwillig und aus wirtschaftlichem Interesse. Auch gewohnheitsrechtlich unterliege sie keinen vergleichbaren Zwängen.
Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin geltend, der Sache komme grundsätzliche Bedeutung wegen der Rechtsfrage zu, ob faktische Zwänge aufgrund der Marktgegebenheiten aus verfassungsrechtlichen Gründen --nämlich im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 und 12 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG)-- ebenso eine Gleichbehandlung privater Hafenbetriebe mit denen der öffentlichen Hand erforderten wie rechtliche Zwänge.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage betrifft nicht den Gegenstand des vorliegenden Finanzrechtsstreits. In dem Verfahren vor dem FG war gemäß § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu prüfen, ob das FA sein Ermessen dem Zweck des § 163 der Abgabenordnung (AO 1977) entsprechend ausgeübt und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten hat (§ 5 AO 1977). Der Zweck des § 163 AO 1977 als derjenigen Norm, die das FA zur Ermessensausübung ermächtigt, besteht aber darin, wegen Unbilligkeit im Einzelfall die Steuer niedriger festzusetzen, als sie nach dem jeweiligen Steuergesetz festzusetzen wäre. Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zielt aber nicht auf die Unbilligkeit im konkreten Fall ab, sondern auf die Auslegung der materiellen Steuernorm, indem geltend gemacht wird, diese müsse aus Gründen des Gleichbehandlungsgebots in Art. 3 Abs. 1 GG und des Grundrechts der Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG verfassungskonform dahin ausgelegt werden, dass auch ein faktischer Kontrahierungs- und Tarifzwang zur Befreiung des betroffenen Betriebsvermögens führe. Diese Frage ist im Billigkeitsverfahren jedoch nicht klärungsfähig, sondern in dem noch offenen Verfahren bezüglich der ergangenen Steuerbescheide nach den für eine verfassungskonforme Auslegung geltenden Grundsätzen zu prüfen. Dort sind dann auch, wenn die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung besteht, die Angaben zur behaupteten tatsächlichen Vergleichbarkeit des Marktauftritts der Klägerin mit der BLG zu prüfen. Sollte die Ausrichtung des klägerischen Geschäftsgebarens an der BLG etwa darauf beruhen, dass es sich um einen Nachfragemarkt und nicht um einen Anbietermarkt handelt, wäre eine Ausrichtung an der XX nicht auf deren Marktbeherrschung, sondern auf eine Marktschwäche zurückzuführen. Dies würde es aber der Klägerin bei einem Wechsel der Marktbedingungen ermöglichen, ihr Verhalten zu ändern.
Zumindest angesichts der Tatsache, dass die Vermögensteuerbescheide der Streitjahre noch nicht bestandskräftig sind, können im vorliegenden Billigkeitsverfahren die vorgetragenen Billigkeitsgesichtspunkte somit nur unter der Annahme rechtserheblich sein, die Vorschrift des § 117 BewG setze einen Kontrahierungs- und Tarifzwang im Rechtssinne zwingend voraus.
2. Die Beschwerde könnte daher nur Erfolg haben, wenn ihre Begründung so verstanden wird, dass auch unabhängig von den geltend gemachten Grundrechtspositionen die Frage aufgeworfen werden sollte, ob sich aus den (mikro)ökonomischen Rahmenbedingungen für den Handlungsspielraum der Klägerin Zwänge ergeben, die denen, die für einen Hafenbetrieb der öffentlichen Hand gelten, in einer Weise gleichen, dass es den § 117 BewG zugrunde liegenden gesetzgeberischen Wertungen widerspräche, der Klägerin die Befreiung ihres Hafenbetriebsvermögens von der Vermögensteuer zu versagen. Einer solchermaßen verstandenen Rechtsfrage kommt aber weder grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu noch erfordert sie eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts. Vielmehr handelte es sich um eine Frage des Einzelfalls.
Fundstellen
Haufe-Index 1568759 |
BFH/NV 2006, 1875 |