Leitsatz (amtlich)

Es bestehen ernstliche Zweifel daran, ob die ATV 2 a Satz 2 nicht auch auf getrennt, aber gleichzeitig gestellte Fruchtsaftkonzentrate und Aromakonzentrate der Tarifst. 20.07 B II a 6 aa und bb bzw. der Tarifnr. 33.04 des GZT, die nach der Einfuhr zur Gewinnung von konzentrierten Essenzen vermischt werden sollen, anwendbar ist, Insbesondere, ob solche Waren, obwohl sie vor dem maßgebenden Zeltpunkt nicht Teil einer vollständigen oder fertigen Ware waren, sondern getrennt hergestellt worden sind, als zerlegt gestellt angesehen werden können.

 

Normenkette

FGO § 69 Abs. 3; ATV 2 a S. 2; GTZ Tarifst. 20.07 A III a; GTZ Tarifst. 20.07 B II a 6 aa und bb; GTZ Tarifnr. 33.04

 

Tatbestand

Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) ließ am 22. Oktober 1974 eine Sendung mit Weichselkirsch-Konzentrat (40 Fässer) und Weichselkirscharoma-Konzentrat (4 Fässer) und am 27. März 1975 eine Sendung mit Johannisbeer-Konzentrat (28 Fässer) und Johannisbeeraroma-Konzentrat (4 Fässer) aus Jugoslawien zum freien Verkehr abfertigen. Die Sendungen wurden jeweils gemeinsam gestellt und angemeldet. Das Zollamt (ZA), eine Dienststelle des Antragsgegners und Beschwerdeführers (Hauptzollamt - HZA -), wies das Weichselkirsch-Konzentrat der Tarifstelle 20.07 B II a 6 aa, das Johannisbeer-Konzentrat der Tarifstelle 20.07 B II a 6 bb und die Aromakonzentrate jeweils der Tarifnr. 33.04 des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) zu. Auf Grund der Untersuchungsergebnisse von bei der Abfertigung gezogenen Stichproben wies das ZA, gestützt auf die von der Zoll technischen Prüfungs- und Lehranstalt (ZPLA) gefundenen Dichten (Weichselkirsch- bzw. Johannisbeer-Konzentrat 1,37 bzw. 1,381; Weichselkirscharoma bzw. Johannisbeeraroma-Konzentrat 0,9813 bzw. 0,9864) die Konzentrate nunmehr der Tarifst. 20.07 A 111 a zu und fordert mit zwei Bescheiden Zoll nach.

Mit Schreiben vom 10. April bzw. 27. Juli 1975 beantragte die Antragstellerin beim Finanzgericht (FG) die Aussetzung der Vollziehung der mit dem Einspruch angefochtenen Bescheide. Das FG verband die beiden Finanzstreitsachen zu gemeinsamer Entscheidung und setzte die Vollziehung der Änderungsbescheide aus. Daß ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestünden, begründete es wie folgt: nach dem unbestrittenen Vortrag der Antragstellerin sei es üblich, bei Fruchtsäften das Fruchtsaftkonzentrat und das Aromakonzentrat grundsätzlich getrennt herzustellen und aufzubewahren und erst unmittelbar vor dem Verbrauch wieder zusammenzusetzen. Beide Konzentrate bildeten, wie eine zerlegt zur Abfertigung gestellte Maschine, eine einzige, einheitliche Ware. Die fertige Ware weise unbestritten eine Dichte von unter 1,33 auf. Die ATV 2 a sei im Gegensatz zur Auffassung des HZA für alle Kapitel des Gemeinsamen Zolltarifs verbindlich. Die Rdnr. 11 der Erläuterungen zur ATV 2 stünde dieser Auffassung nicht entgegen.

Mit seiner Beschwerde beantragt das HZA, den Beschluß des FG aufzuheben und den Aussetzungsantrag abzulehnen. Das HZA hält die ATV 2 a bei der Tarifierung von gleichzeitig eingeführten Fruchtsaftkonzentraten und Aromakonzentraten nicht für anwendbar. Getrennt eingeführte Konzentrate könnten nicht mit einer zerlegt zur Abfertigung gestellten Maschine gleichgestellt werden. Als zerlegte Waren i. S. der ATV 2 a könnten nur solche Erzeugnisse angesehen werden, deren Einzelteile durch eine in der Regel einfache Montage im Einfuhrland wieder zusammengesetzt werden. Die Wiederherstellung des ursprünglichen Erzeugnisses werde bei den getrennt eingeführten Konzentraten nicht durch ein einfaches Zusammensetzen erreicht. Der ursprüngliche Fruchtsaft werde vielmehr durch ein Vermischen der Komponenten Fruchtsaftkonzentrat und Aromakonzentrat unter Zugabe von Wasser wieder hergestellt; es würden die einzelnen Komponenten zu einem anderen als dem Ausgangsprodukt verarbeitet.

Die Antragstellerin begründet ihren Antrag, die Beschwerde zurückzuweisen, im wesentlichen damit, daß die ATV 2 a ohne Einschränkung für alle Kapitel des Gemeinsamen Zolltarifs verbindlich sei. Die Handelsüblichkeit der getrennten Herstellung von Fruchtsaftkonzentrat und Aromakonzentrat und der Wiederzusammensetzung vor dem Verbrauch äußere sich auch darin, daß für beide Produkte grundsätzlich, was unbestritten ist, der gleiche Preis berechnet werde. Es sei unüblich, etwa nur Saftkonzentrat oder Aromakonzentrat zu kaufen; beide Konzentrate würden als einheitliche Ware behandelt. Sie - die Antragstellerin - erteile ihre Aufträge grundsätzlich mit dem Zusatz „Saftkonzentrat mit dem dazugehörigen Aromakonzentrat”. Die Empfängerin der eingeführten Konzentrate stelle keine Fruchtsäfte her, sondern nach dem Zusammenfügen beider Konzentrate ohne Hinzufügung von Wasser konzentrierte natürliche oder natürlich schmeckende Essenzen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist nicht begründet.

Ernstliche Zweifel i. S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei der summarischen Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Die für die Unrechtmäßigkeit des Bescheides sprechenden Bedenken rechtlicher oder tatsächlicher Art brauchen nicht zu überwiegen (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30. Juni 1967 III B 21/66, BFHE 89, 92, BStBl III 1967, 533; vom 24. Oktober 1967 II B 17/67, BFHE 90, 532, BStBl II 1968, 229).

Im Streitfalle bestehen solche ernstlichen Zweifel nicht in tatsächlicher Hinsicht. Es ist unbestritten, daß die von der Antragstellerin gestellten Partien Weichselkirsch- bzw. Johannisbeer-Konzentrat eine Dichte bei 15° C von mehr als 1,33 hatten und damit, für sich betrachtet, der Tarifst. 20.07 A III A („Fruchtsäfte … mit einer Dichte bei 15° C von mehr als 1,33: … andere; mit einem Wert von mehr als 109,80 DM für 100 kg Eigengewicht”) zugeordnet worden müßten. Ebenso unbestritten ist, daß bei einer Mischung der Weichselkirsch- bzw. Johannisbeer-Konzentrate mit den gleichzeitig gestellten und abgefertigten Aromakonzentraten (die Antragstellerin spricht insoweit von Zusammensetzung beider Produkte) ein Fruchtsaft mit einer Dichte von weniger als 1,33 bei 15° C entstehen würde, der der vor der Antragstellerin beanspruchten Tarifst. 29.07 B II a 6 aa bzw. bb zugewiesen werden könnte. Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestehen aber in rechtlicher Hinsicht. Die Rechtsauffassung des HZA, daß die gleichzeitig gestellten Fruchtsaftkonzentrate auf der einen und die Aromakonzentrate auf der anderen Seite getrennt tarifiert werden müßten und daß bei der Tarifierung nicht auf die ATV 2 a zurückgegriffen werden könne, begegnet Bedenken, die i. S. der zitierten Rechtsprechung des BFH ausreichen, ernstliche Zweifel zu begründen. Die ATV 2 a hat folgenden Wortlaut:

„Jede Anführung einer Ware in einer Tarifnummer gilt auch für die unvollständige oder unfertige Ware, wenn sie die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale einer vollständigen oder fertigen Ware hat. Sie gilt auch für die vollständige oder fertige oder nach den vorstehenden Bestimmungen als solche geltende Ware, wenn sie zerlegt gestellt wird.”

Die Auslegung dieser nicht leicht verständlichen Tarifierungsvorschrift, die materieller Bestandteil des Gemeinsamen Zolltarifs ist, bereitet erhebliche Schwierigkeiten. Im Streitfalle dürfte Satz 1 der ATV 2 a nicht anwendbar sein, weil es dort um die tarifliche Zuweisung von unvollständigen oder unfertigen Waren geht, was weder für die Fruchtsaftkonzentrate noch für die Aromakonzentrate zutreffen dürfte. Die Antragstellerin hat beide Warengruppen in der Zollanmeldung als fertige Waren der Tarifst. 20.07 B II a 6 aa bzw. bb und der Tarifnr. 33.04 angemeldet und nicht als unvollständige oder unfertige Waren der von ihr für richtiggehaltenen Tarifst. 20.07 A III a. Auch die Beteiligten und das FG haben als Grundlage für die streitige Tarifierung die ATV 2 a Satz 2 angesehen. Diese Vorschrift besagt im Ergebnis, daß die Zuweisung einer vollständigen und fertigen Ware zu einer Tarifnummer sich nicht dadurch ändert, daß diese Ware zerlegt gestellt wird. Sie kann nur dann Bedeutung erlangen, wenn die zerlegt gestellten Teile an sich verschiedenen Tarifnummern zugewiesen werden müßten. Gehören sie ohnehin derselben Tarifnummer an, käme es für die Tarifierung auf die ATV 2 a Satz 2 nicht an.

Die Verwendung des Begriffs „zerlegt” braucht bei summarischer Prüfung nicht notwendigerweise zu bedeuten, daß eine ursprünglich vollständige Ware vor der Verzollung in Teile oder Bestandteile zerlegt worden ist. Das ist im Streitfalle deshalb von Bedeutung, weil nach dem eigenen Vortrag der Antragstellerin Fruchtsaftkonzentrate und Aromakonzentrate grundsätzlich getrennt hergestellt und bis zu ihrer späteren Vermischung aufbewahrt werden, die eingeführten Fruchtsaft- bzw. Aromakonzentrate also vor der Abfertigung keine einheitliche, vollständige Ware darstellten. Der Begriff „zerlegt” braucht ferner nicht so verstanden zu werden, daß er nur auf mechanisch zerlegbare und wieder zusammensetzbare Maschinen oder ähnliche Waren anwendbar ist. Es muß einer genauen Prüfung im Verfahren zur Hauptsache vorbehalten bleiben, die Rechtsfrage zu prüfen, ob die ATV 2 a Satz 2 auch auf Waren des Abschnitts IV, zu denen die streitigen Konzentrate gehören, angewendet werden kann. Es wird ferner zu prüfen sein, ob bei der Auslegung der ATV 2 a Satz 2 auf die die Gerichte nicht bindenden Brüsseler Erläuterungen unter Abs. 7 (Randnr. 11 der Erläuterungen zum Zolltarif) zurückgegriffen werden kann. Nach dieser Erläuterung wird die ATV 2 a Satz 2 im allgemeinen nicht auf Waren der Abschnitte I bis VI des Gemeinsamen Zolltarifschemas angewendet. Schon der Wortlaut dieser Erläuterung („im allgemeinen”) läßt erkennen, daß Ausnahmen denkbar sind. Ob ein Ausnahmefall vorliegt, muß bei Waren der Abschnitte I bis VI von Fall zu Fall geprüft und entschieden werden. Möglicherweise wird es für die Entscheidung darauf ankommen, den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften im Streitfalle um die Auslegung der ATV 2 a Satz 2 zu bitten. Das macht besonders deutlich, das ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Änderungsbescheide bestehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 510433

BFHE 1977, 540

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