Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung wegen „einseitiger Kontaktaufnahme“? Folgen unterlassener Bekanntgabe der dienstlichen Äußerung
Leitsatz (NV)
- Eine einseitige Kontaktaufnahme zu einem Beteiligten kann zwar geeignet sein, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Das bedeutet jedoch nicht, dass schon Telefongespräche des Richters mit einem Beteiligten von vornherein einen Befangenheitsgrund darstellen. Es kommt vielmehr auf den Inhalt des Gesprächs an.
- Allein aus dem Umstand, dass der Richter die Aufgabe der Prozessfürsorge wahrnimmt, kann der jeweilige Gegner nicht folgern, dass der Richter zu seinen Lasten voreingenommen sei.
- Bei der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch dürfen Tatsachen oder Beweisergebnisse aus der dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters nicht verwertet werden, wenn diese den Beteiligten nicht zur Stellungnahme zugesandt worden ist.
Normenkette
FGO § 51; ZPO § 42 Abs. 1
Tatbestand
I. Gegenstand des Klageverfahrens vor dem Finanzgericht ―FG― (6 K 7161/99 U) ist die Frage, ob der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) zu Recht abgelehnt hat, den gegen den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) als Geschäftsführer der S-GmbH erlassenen Haftungsbescheid für Umsatzsteuerrückstände aufzuheben. In diesem Verfahren lehnt der Kläger den Berichterstatter, Richter am FG A, wegen Besorgnis der Befangenheit ab.
Dem Befangenheitsgesuch liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Richter am FG A war ebenfalls Berichterstatter in dem Klageverfahren des Klägers wegen Lohnsteuerhaftung. In der mündlichen Verhandlung hob das FA auf Anregung des Berichterstatters den angefochtenen Haftungsbescheid auf und die Beteiligten erklärten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Sowohl der Berichterstatter als auch der Vertreter des FA waren irrigerweise davon ausgegangen, die dem Haftungsbescheid zugrunde liegende Lohnsteuerschuld sei zwischenzeitlich getilgt worden. Der Kläger ist besorgt, der Berichterstatter werde im Verfahren wegen Umsatzsteuerhaftung nicht unvoreingenommen sein und versuchen, seinen Fehler wieder gutzumachen.
Das FG hat das Gesuch des Klägers ohne Mitwirkung des abgelehnten Berichterstatters für unbegründet erklärt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers, der das FG nicht abgeholfen hat.
Der Kläger beantragt, den Beschluss des FG aufzuheben und Richter am FG A für befangen zu erklären.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat das Ablehnungsgesuch im Ergebnis zu Recht für unbegründet erklärt.
1. Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 42 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO). Gründe für ein solches Misstrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, der Richter werde nicht unvoreingenommen entscheiden. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Entscheidung wirklich von Voreingenommenheit beeinflusst ausfiele. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob der Beteiligte, der das Ablehnungsgesuch angebracht hat, von seinem Standpunkt aus bei Anlegung des angeführten objektiven Maßstabes Anlass hat, Voreingenommenheit zu befürchten (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555).
2. Bei der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch dürfen im Streitfall allerdings Tatsachen oder Beweisergebnisse aus der dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters nicht verwertet werden, weil diese den Beteiligten nicht zur Stellungnahme zugesandt worden ist (vgl. BFH-Beschluss vom 26. Juni 1995 XI B 11/95, BFH/NV 1995, 1083). In der Vorentscheidung hat die dienstliche Äußerung des Berichterstatters aber gar keinen Eingang gefunden. Die Vorentscheidung hätte auch ohne die dienstliche Äußerung ergehen können (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1995, 1083).
3. Der Kläger stützt sein Ablehnungsgesuch allein auf Äußerungen oder Verhaltensweisen des abgelehnten Richters im vorausgehenden Klageverfahren wegen Lohnsteuerhaftung. Die Mitwirkung des Berichterstatters in einem anderen Verfahren des Klägers kann nach ständiger Rechtsprechung selbst dann, wenn es sich um ein Parallelverfahren handelt, die Besorgnis der Befangenheit nicht begründen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 25. April 1991 IV S 14-21/90, IV S 1/91, BFH/NV 1992, 394, 395; vom 27. August 1998 VII B 8/98, BFH/NV 1999, 480, bestätigt durch Bundesverfassungsgericht ―BVerfG― Beschluss vom 10. Dezember 1998 2 BvR 1889/98, nicht veröffentlicht). Denn das Richterablehnungsverfahren schützt nicht gegen unrichtige Rechtsansichten des Richters. Rechtsfehler können nur ausnahmsweise eine Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, dass die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber der ablehnenden Partei oder auf Willkür beruht (z.B. BFH-Beschluss vom 16. Februar 1989 X B 99/88, BFH/NV 1989, 708; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 51 Anm. 40, m.w.N.). Die Fehlerhaftigkeit muss ohne Weiteres feststellbar und gravierend sein sowie auf unsachliche Erwägungen schließen lassen (z.B. BFH-Beschluss vom 7. April 1988 X B 4/88, BFH/NV 1989, 587, II. 3. a der Gründe). Dergleichen kann der beschließende Senat aus den Darlegungen des Klägers nicht entnehmen.
a) Eine einseitige Kontaktaufnahme zu einem Beteiligten kann zwar geeignet sein, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Das bedeutet jedoch nicht, dass schon Telefongespräche des Richters mit einem Beteiligten von vornherein einen Befangenheitsgrund darstellen. Es kommt vielmehr auf den Inhalt des Gesprächs an (z.B. BFH-Beschluss vom 14. August 1997 XI B 68/96, BFH/NV 1998, 462, m.w.N.). Es muss sich dabei um die Erteilung von Hinweisen und Ratschlägen handeln, die den Eindruck einer den Gegner benachteiligenden Einflussnahme auf den Prozessverlauf erweckt (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1998, 462; vom 7. September 1994 II B 70/94, BFH/NV 1995, 414). Allein aus dem Umstand, dass der Richter die Aufgabe der Prozessfürsorge wahrnimmt, kann der jeweilige Gegner nicht folgern, dass der Richter zu seinen Lasten voreingenommen sei.
b) Die Besorgnis der Befangenheit lässt sich hiernach insbesondere nicht daraus ableiten, dass der Berichterstatter auf entsprechende Frage des Vertreters des FA diesem für den Fall, daß das FA Zweifel an der Erledigung des Rechtsstreits geltend machen wollte, die verfahrensrechtliche Situation nach übereinstimmender Erledigungserklärung erläutert hat.
Kein Grund zur Besorgnis der Befangenheit ist bei Anlegung eines objektiven Maßstabes auch der Hinweis des Richters, die Klage hätte möglicherweise keinen Erfolg gehabt, wenn der Rechtsstreit nicht in der Hauptsache erledigt worden wäre; denn die Tatsache, dass ein Richter in einem anderen gerichtlichen Verfahren des Klägers mit dem zu beurteilenden Sachverhalt befasst war und sich eine Meinung bilden musste, reicht dafür nicht (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 6. Februar 1996 X B 95/95, BFH/NV 1996, 752).
Die Richterablehnung dient nicht dazu, die Beteiligten gegen unrichtige Rechtsauffassungen des Richters, auch wenn diese auf einer Würdigung des festgestellten Sachverhalts beruhen, zu schützen.
c) Schließlich sieht der Senat auch keine Anhaltspunkte dafür, dass Richter am FG A seine "Fehler" im Verfahren wegen Lohnsteuerhaftung im vorliegenden Verfahren wiedergutmachen wird, in dem er hier in voreingenommener Weise auf einen für den Kläger ungünstigen Prozessausgang hinwirken wird. Bei Anlegung eines objektiven Maßstabes können aus dem ―für den Kläger vorteilhaften― Verhalten des Richters A in Verfahren wegen Lohnsteuerhaftung keine Prognosen für sein Verhalten im vorliegenden Verfahren erstellt werden.
Fundstellen
Haufe-Index 447426 |
BFH/NV 2001, 316 |