Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Der Steuerpflichtige, der gegen die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheids (Steuermeßbescheids) durch das FA (§ 69 Abs. 2 FGO) Klage erhoben hat, kann, solange dieses Verfahren anhängig ist, keinen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 FGO stellen.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 2-3
Tatbestand
Der Antragsteller hat in dem Rechtsstreit wegen Gewerbesteuer 1955 gegen das Urteil des Finanzgerichts (FG), durch das seine Berufung zurückgewiesen wurde, Rechtsbeschwerde (Revision) eingelegt mit dem Antrag, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Sachaufklärung an das FG zurückzuweisen.
Weiter stellt er den Antrag, gemäß § 69 Abs. 3 FGO die Vollziehung des angefochtenen Steuermeßbescheids bis zur Entscheidung über die Revision auszusetzen.
Dazu trägt er vor, ein entsprechender Aussetzungsantrag sei vom Finanzamt (FA) abgelehnt und auch die Beschwerde dagegen von der Oberfinanzdirektion (OFD) abgewiesen worden. Zur Zeit sei ein Klageverfahren gegen diese Ablehnung beim FG anhängig. Der Vorsitzende der Kammer habe das FA nach § 114 FGO angewiesen, einstweilen keinerlei Vollstreckungs- und Beitreibungsmaßnahmen vorzunehmen. Das FA habe dagegen gemäß § 114 Abs. 2 FGO die Entscheidung des Gerichts beantragt. Diese Entscheidung könne aber nicht ergehen, weil die neuen ehrenamtlichen Finanzrichter noch nicht gewählt seien.
Entscheidungsgründe
Der auf § 69 Abs. 3 FGO gestützte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Bescheids ist nicht zulässig.
Zwar ist auch der BFH als Gericht der Hauptsache im Sinne dieser Vorschrift anzusehen, wenn - wie im Streitfall - die Hauptsache bei ihm anhängig ist (§ 121 FGO; BFH-Beschluß VII S 2/66 vom 27. Januar 1966, BStBl 1966 III S. 174). Das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO könnte auch nicht deshalb verneint werden, weil ein Steuerpflichtiger von der Möglichkeit, die Aussetzung der Vollziehung beim FA zu beantragen (§ 69 Abs. 2 Satz 2 FGO) keinen Gebrauch gemacht hat (Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Münster III B 34/61 vom 29. März 1961, Deutsches Verwaltungsblatt 1961 S. 747, für die ähnliche Vorschrift des § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung). Denn die beiden Verfahren nach § 69 Abs. 2 und § 69 Abs. 3 FGO stehen selbständig nebeneinander. Der Steuerpflichtige kann wählen, auf welchem Weg er die Aussetzung der Vollziehung betreiben will. Hat er aber eines der beiden Verfahren in Gang gesetzt und ist dieses noch anhängig, dann steht der Einleitung des anderen Verfahrens die Rechtshängigkeit der Streitsache entgegen (§ 66 Abs. 1, 2 FGO). Denn die Anträge nach § 69 Abs. 2 Satz 2 und nach § 69 Abs. 3 Sätze 1 und 2 FGO sind auf dasselbe Ziel, die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes, gerichtet und nach denselben Richtlinien (§ 69 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz FGO) zu prüfen. Die Entscheidung in einem Verfahren würde die im anderen Verfahren überflüssig machen - ein Merkmal für das Vorliegen der Rechtshängigkeit (Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 9. Aufl., S. 481 f.). Der BFH hat bereits entschieden, daß der Kläger, der die Ablehnung der Aussetzung der Durchführung einer vom FA erklärten Aufrechnung mit der Revision beim BFH angreift, vor diesem Gericht nicht den Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO stellen kann, weil es sich um das gleiche Begehren, um denselben Streitgegenstand handelt, über den sonst doppelt entschieden werden würde (BFH-Beschluß VII S 2/66, a. a. O.). Nichts anderes gilt aber, wenn der Rechtsstreit im Anschluß an die Entscheidung des FA, durch die es die Aussetzung der Vollziehung abgelehnt hat, noch beim FG anhängig ist, zumal in diesem Fall die Gefahr widerstreitender Entscheidungen bestünde, die gerade durch den Ausschluß eines zweiten, gleichgerichteten Verfahrens bei Rechtshängigkeit vermieden werden soll (Rosenberg, a. a. O.).
Das Wort "auch" in § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO führt zu keiner anderen Beurteilung. Es bringt nur zum Ausdruck, daß der Steuerpflichtige zwei Möglichkeiten hat, die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes zu betreiben. Damit ist aber nicht gesagt, daß die beiden Verfahren gleichzeitig nebeneinander laufen können. Der Steuerpflichtige muß sich vielmehr nach allgemeinen Grundsätzen (§ 66 FGO) für das eine oder andere entscheiden.
Im vorliegenden Fall ist die Klage des Antragstellers gegen die ablehnende Entscheidung des FA noch beim FG anhängig. Daher ist sein Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO unzulässig. Die Tatsache, daß die neuen, ehrenamtlichen Finanzrichter noch nicht gewählt sind, vermag an der Rechtsanhängigkeit der Streitsache (§ 66 FGO) nichts zu ändern, da es sich nur um eine vorübergehende Verzögerung des Verfahrens handelt. Außerdem ist nach dem eigenen Vortrag des Antragstellers der derzeitige Stand des Verfahrens so, daß durch Anordnung des Vorsitzenden der Kammer Vollziehungs- und Beitreibungsmaßnahmen untersagt sind.
Fundstellen
Haufe-Index 412077 |
BStBl III 1966, 358 |
BFHE 1966, 56 |
BFHE 86, 56 |