Entscheidungsstichwort (Thema)
Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache; "rückwirkende" Anwendung verschärfenden Richterrechts bei Betriebsaufspaltung
Leitsatz (NV)
1. Hat der BFH zu einer Rechtsfrage bereits Stellung genommen, muß der Beschwerdeführer, um eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darzutun, neue und gewichtige Gründe vorbringen, die es geboten erscheinen lassen, daß der BFH seinen Standpunkt erneut überprüft.
2. Die Rechtsprechung der Steuergerichte ist nicht gehindert, auch steuerverschärfende Änderungen zu entwickeln. Es ist dann Sache der obersten Verwaltungsbehörden, auf der Grundlage des § 163 AO 1977 durch Übergangsregelungen unbillige Auswirkungen -- auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes -- zu vermeiden (vgl. Beschluß des Großen Senats des BFH vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, unter C. I. 1.).
3. Von der -- als Voraussetzung für die Zu lässigkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde erforderlichen -- "Darlegung" der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache kann abgesehen werden, wenn die grundsätzliche Bedeutung "offenkundig" ist (vgl. BFH-Beschluß vom 9. Mai 1988 IV B 35/87, BFHE 153, 378, BStBl II 1988, 725).
4. Die Bewältigung der Folgen einer rückwirkend verschärfenden Rechtsprechung mittels Billigkeitsmaßnahmen der Verwaltung wirft keine "offenkundig" klärungsbedürftige Rechtsfrage auf.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 3 S. 3; AO 1977 § 163
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) war für die Jahre 1979 bis 1983 davon ausgegangen, der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) habe ein Grundstück mit aufstehendem Gebäude im Rahmen einer Betriebsaufspaltung vermietet. Auch für das Streitjahr 1984 hat das FA, insoweit der Erklärung des Klägers folgend, einen einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag festgesetzt. Im Anschluß an eine Außenprüfung vertrat der Kläger unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. November 1985 VIII R 342/82 (BFHE 145, 396, BStBl II 1986, 299) die Auffassung, eine Betriebsaufspaltung habe mangels sachlicher Verflechtung von Anfang an nicht vorgelegen. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) als unbegründet abgewiesen. Es hat sich dabei auf das Senatsurteil vom 26. Mai 1993 X R 78/91 (BFHE 171, 476, BStBl II 1993, 718) und auf die Erwägung gestützt, das vermietete Grundstück sei "auf alle Fälle" nach der Herstellung und Gestaltung des Gebäudes auf die Bedürfnisse der Betriebsgesellschaft zugeschnitten gewesen.
Mit der vorliegenden Beschwerde beantragt der Kläger, die Revision wegen Abweichung vom BFH-Urteil in BFHE 145, 396, BStBl II 1986, 299 und wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. In diesem Urteil habe der BFH die Rechtslage u. a. dahin präzisiert, daß wesentliche Betriebsgrundlage solche Wirtschaftsgüter seien, "bei denen es aus der Sicht des Betriebsunternehmens wirtschaftlich einen deutlichen Unterschied mache, ob sie sich im Eigentum des Unternehmens befinden und für die Betriebszweke besonders hergerichtet oder von einem Fremden gemietet sind". Da die Betriebsaufspaltung ausschließlich auf Richterrecht basiere und der Begriff der "wesentlichen Betriebsgrundlage" seit Beginn der 90er Jahre wesentlich erweitert worden sei, könne für die Rechtsanwendung nur der jeweilige Stand der Rechtsprechung maßgebend sein. Rechtsgrundsätzlich sei die Frage, ob eine verschärfende Rechtsprechung zum Nachteil des Steuerpflichtigen auf vor der Änderung verwirklichte Sachverhalte angewendet werden dürfe. Mit einem nach Ablauf der Beschwerdefrist eingereichten Schriftsatz vom 15. April 1996 haben die neu bestellten Bevollmächtigten des Klägers umfangreiche Ausführungen zur Frage der rückwirkend verschärfenden Rechtsprechung gemacht.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unzulässig. Der Kläger hat innerhalb der nicht verlängerten Beschwerdefrist weder eine Divergenz noch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i. S. des § 115 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dargelegt.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die vom Kläger als grundsätzlich bezeichnete Rechtsfrage überhaupt klärungsbedürftig ist. Dies würde voraussetzen, was indes fraglich ist, daß die Anwendung der Rechtsgrundsätze des BFH-Urteils in BFHE 145, 396, BStBl II 1986, 299 zu einer dem Kläger günstigeren steuerrechtlichen Beurteilung führen würde.
Jedenfalls genügt die bloße Behauptung, die Streitsache habe grundsätzliche Bedeutung, der Begründungspflicht nicht. Vielmehr muß der Beschwerdeführer in sich schlüssig und substantiiert auf die Rechtsfrage und ihre Bedeutung für die Allgemeinheit eingehen (vgl. BFH-Beschluß vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl. 1993, § 115 Rdnr. 61 ff., m. w. N. aus der Rechtsprechung des BFH). Im Hinblick darauf, daß die Rechtsprechung bislang mit bestimmter Maßgabe die Zulässigkeit einer rück wirkend verschärfenden Rechtsprechung bejaht hat, hätte der Kläger neue und gewichtige Gründe vorbringen müssen, die es geboten erscheinen lassen, daß der BFH seinen Standpunkt erneut überprüft (vgl. BFH-Beschluß vom 21. Juli 1977 IV B 16- 17/77, BFHE 123, 48, BStBl II 1977, 760).
Nach dem Beschluß des Großen Senats des BFH vom 25. Juni 1984 GrS 4/82 (BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, unter C. I. 1.) ist die Streitfrage für den Bereich des Steuerrechts dahin gelöst, daß die Rechtsprechung nicht gehindert ist, auch steuerverschärfende Änderungen zu entwickeln, und daß es dann Sache der obersten Verwaltungsbehörden ist, auf der Grundlage des § 163 der Abgabenordnung (AO 1977) durch Übergangsregelungen unbillige Auswirkungen -- auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes -- zu vermeiden (ferner Beschluß vom 5. Juli 1990 GrS 2/89, BFHE 161, 332, BStBl II 1990, 837, unter C. III. 4.). Diese Auffassung hat der BFH in ständiger Rechtsprechung vertreten (z. B. Urteile vom 19. November 1985 VIII R 4/83, BFHE 145, 375, BStBl II 1986, 289, unter 3. a. E.; vom 18. Oktober 1988 VII R 123/85, BFHE 154, 446, 449 f., BStBl II 1989, 76; vom 17. September 1992 IV R 49/91, BFH/NV 1993, 95, zu einem Fall der Betriebsaufspaltung; vom 30. August 1994 IX R 63/92, BFH/NV 1995, 388; s. ferner Scholtz in Koch/Scholtz, Abgabenordnung, Kommentar, 5. Aufl. 1996, § 4 Rdnr. 57 f., m. w. N.). Sie wird auch im Schrifttum gebilligt (statt vieler Maurer in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, 1988, Band III., § 60 Rdnr. 106 ff.).
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat entschieden, daß auch die Änderung einer feststehenden Rechtsprechung gegen das Gebot des Vertrauensschutzes verstoßen kann (Beschluß vom 25. Januar 1989 2 BvR 2058/83, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -- HFR -- 1989, 395). Das Rechtsstaatsgebot verlangt eine an den Kriterien der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit im Einzelfall vorzunehmende Abwägung zwischen den Belangen der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und den Interessen des einzelnen am Fortbestand einer Rechtslage, auf die er sich eingerichtet hat und auf deren Fortbestand er vertrauen durfte (BVerfG-Beschluß vom 16. Dezember 1981 1 BvR 898/79 u. a., BVerfGE 59, 128, 165 f.).
Der hiernach erforderlichen Interessenabwägung (vgl. Medicus, Über die Rückwirkung von Rechtsprechung, Neue Juristische Wochenschrift 1995, 2577, 2582 ff.), die rechtstechnisch nur unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebiets bewältigt werden kann, trägt die Rechtsprechung des BFH wie dargelegt dadurch Rechnung, daß sie die Einschränkung von Rückwirkungsfolgen dem Bereich der Billigkeitsmaßnahmen zuordnet. Dabei ist die Aussage des Beschlusses in BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751 dahin zu verstehen, daß -- nicht nur in Ausnahmefällen -- ein Rechtsanspruch auf "abfedernde" Überleitungsregelungen bestehen kann. Auch Kritiker der BFH-Rechtsprechung gehen davon aus, "daß die Finanzverwaltung auf breiter Front billigkeitsgetreu verfährt" (so Felix, Zum Rückwirkungsverbot verschärfend geänderter Rechtsprechung in Festschrift für Klaus Tipke, 1995, S. 71 ff., 91). Die Auffassung, es sei "unangemessen, unzumutbar und unverhältnismäßig", den Steuerbürger auf den "subsidiären Billigkeitsweg" zu verweisen (so Felix, a.a.O.), drängt sich nicht auf.
Auch der BFH-Beschluß vom 31. Januar 1996 II B 107/95 (BFH/NV 1996, 459 a. E.) geht implizit davon aus, daß die Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage nicht "offenkundig" i. S. des BFH-Beschlusses vom 9. Mai 1988 VI B 35/87 (BFHE 153, 378, BStBl II 1988, 725) ist und deswegen einer näheren Darlegung bedurft hätte. Hiernach wäre es für die Schlüssigkeit der von dem Kläger behaupteten grundsätzlichen Bedeutung erforderlich gewesen, in Auseinandersetzung mit der vorhandenen Rechtsprechung und Literatur zur Frage der rückwirkenden Anwendung einer verschärfenden Rechtsprechung darzutun, daß insoweit eine ungeklärte, im Interesse der Allgemeinheit klärungsbedürftige Rechtsfrage vorliegt. Der nach Ablauf der Beschwerdefrist eingereichte Schriftsatz vom 15. April 1996 enthält eine erstmalige Auseinandersetzung mit der als rechtsgrundsätzlich angesprochenen Problematik und nicht lediglich eine Ergänzung und Vertiefung einer bereits den Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechenden, rechtzeitig vorgetragenen Beschwerdebegründung.
Im übrigen ergeht die Entscheidung gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ohne Begründung.
Fundstellen
Haufe-Index 421802 |
BFH/NV 1997, 329 |