Entscheidungsstichwort (Thema)
Fernbleiben eines Beteiligten, dessen persönliches Erscheinen angeordnet ist
Leitsatz (NV)
1. Das Vorbringen, die Klägerin habe keine Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem FG erhalten, der Vorsitzende Richter sei über ihre Abwesenheit verärgert gewesen und habe deswegen ihrem Bevollmächtigten unsachliche Fragen gestellt, wodurch das Urteil beeinflusst worden sei, reicht zur Darlegung einer Verletzung des rechtlichen Gehörs aus.
2. Bleibt ein Beteiligter, dessen persönliches Erscheinen angeordnet ist, dem Termin zur mündlichen Verhandlung fern, so darf das Gericht ein schuldhaftes Verhalten des Beteiligten nicht schon bei dessen erstmaligem Ausbleiben, sondern erst dann annehmen, wenn der Beteiligte nach erneuter Anordnung des persönlichen Erscheinens ohne ausreichende Entschuldigung einem weiteren Termin fernbleibt.
Normenkette
FGO §§ 80, 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 S. 3
Verfahrensgang
FG München (Urteil vom 22.03.2007; Aktenzeichen 11 K 2206/03) |
Tatbestand
I. Im Klageverfahren der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), in dem es um Verluste der Klägerin aus dem Betrieb einer privaten Musikschule ging, ordnete das Finanzgericht (FG) das persönliche Erscheinen der Klägerin an. Im Termin zur mündlichen Verhandlung erschien nur der Bevollmächtigte der Kläger; die Klägerin erschien hingegen nicht. Das FG stellte fest, dass die Klägerin ausweislich der Postzustellungsurkunde zum Termin geladen worden war. Nach Erörterung der Streitsache wurde die mündliche Verhandlung geschlossen. Das FG wies sodann die Klage ab, weil zur Überzeugung des Senats nicht feststehe, dass die Klägerin die Querflöte, das Schlagzeug und die Oboe aus nahezu ausschließlich beruflichen Gründen angeschafft und hierfür verwendet habe.
Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde machen die Kläger geltend, die Klägerin habe keine Ladung zur mündlichen Verhandlung erhalten. Das angefochtene Urteil sei dadurch beeinflusst worden, dass der Vorsitzende Richter sich durch die Abwesenheit der Klägerin sehr verärgert gezeigt, deshalb unsachliche Fragen gestellt und dem Bevollmächtigten vorgehalten habe, er sei zu wenig vorbereitet.
Die Kläger beantragen sinngemäß, die Revision zuzulassen.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen, weil ein Verfahrensmangel nicht substantiiert dargelegt sei.
Entscheidungsgründe
II. 1. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger erfüllt die Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Mit dem Vorbringen, die Klägerin habe keine Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem FG erhalten, der Vorsitzende Richter des FG sei über ihre Abwesenheit verärgert gewesen und habe deswegen unsachliche Fragen gestellt, wodurch das Urteil beeinflusst worden sei, rügen die Kläger sinngemäß, dass durch den Ausschluss der Klägerin von der mündlichen Verhandlung ihr rechtliches Gehör verletzt worden sei (Verstoß gegen § 96 Abs. 2 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes). Weiterer Sachvortrag war für diese Rüge nicht erforderlich. Die schlüssige Rüge der Verletzung des Rechts auf Gehör erfordert nämlich keine Ausführungen darüber, was bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen worden wäre und dass dieser Vortrag die Entscheidung des Gerichts hätte beeinflussen können, wenn das Gericht verfahrensfehlerhaft in Abwesenheit des Rechtsmittelführers aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden hat (Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 3. September 2001 GrS 3/98, BFHE 196, 39, BStBl II 2001, 802).
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist auch begründet, weil die Vorentscheidung das rechtliche Gehör der Kläger verletzt. Das FG hätte, nachdem die Klägerin, deren persönliches Erscheinen angeordnet war, dem Termin zur mündlichen Verhandlung jedoch ferngeblieben war, nicht ohne weiteres die Klage abweisen dürfen.
Bleibt ein Beteiligter, dessen persönliches Erscheinen gemäß § 80 FGO angeordnet ist, dem Termin ohne Verschulden fern, so darf er darauf vertrauen, dass das Gericht keine Sachentscheidung trifft; denn dadurch würde sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
Bleibt ein solcher Beteiligter hingegen schuldhaft dem Termin zur mündlichen Verhandlung fern, so kann das Gericht dies zwar grundsätzlich als Verletzung der Mitwirkungspflicht werten (BFH-Urteil vom 29. Juni 1972 V R 9/71, BFHE 107, 1, BStBl II 1972, 952). Ein schuldhaftes Verhalten des Beteiligten darf das Gericht aber nicht schon bei dessen erstmaligem Ausbleiben, sondern erst dann annehmen, wenn der Beteiligte nach erneuter Anordnung des persönlichen Erscheinens ohne ausreichende Entschuldigung einem weiteren Termin fernbleibt (Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 80 FGO Rz 102 ff.; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 80 Rz 11).
Die Vorentscheidung entspricht diesen Maßstäben nicht, weil das FG schon nach dem erstmaligen Ausbleiben der Klägerin die Klage abgewiesen hat, ohne ihr in einem weiteren Termin Gelegenheit zu geben, die Gründe ihres Ausbleibens zu erläutern und unterlassene Ausführungen nachzuholen. Dass die Klägerin nach den Feststellungen des FG wirksam durch Postzustellungsurkunde zur mündlichen Verhandlung geladen worden war, ist insoweit unerheblich.
Die Vorentscheidung beruht auch i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO auf dieser Verletzung des rechtlichen Gehörs. Hat das Gericht aufgrund einer verfahrensfehlerhaft ohne den Rechtsmittelführer durchgeführten mündlichen Verhandlung entschieden, so wird die Ursächlichkeit dieser Verletzung des rechtlichen Gehörs für die angefochtene Entscheidung gemäß § 119 Nr. 3 FGO unwiderlegbar vermutet (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 196, 39, BStBl II 2001, 802 unter C.III.1. der Gründe). Dies gilt ebenso im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde.
3. Der Senat hält es für sachdienlich, gemäß § 116 Abs. 6 FGO die Vorentscheidung aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Fundstellen