Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Heranziehung von Strafurteilen im Aussetzung- und im Prozeßkostenhilfeverfahren
Leitsatz (NV)
Für die Prüfung der Erfolgsaussichten des summarischen Verfahrens der Vollziehungsaussetzung, das hinsichtlich des Prozeßstoffes auf die dem Gericht vorliegenden Unterlagen sowie auf sog. präsente Beweismittel beschränkt ist, darf sich das FG bei der Erforschung des Sachverhalts auf die tatsächlichen Feststellungen in einem Strafurteil stützen. Eine weitergehende Ermittlungspflicht des FG kommt auch im Rahmen der Prüfung der Erfolgsaussichten im Prozeßkostenhilfeverfahren nicht in Betracht, denn andernfalls wäre der Prüfungsumfang in diesem Verfahren umfassender als in dem Verfahren, dessen Erfolgsaussichten für die Gewährung der Prozeßkostenhilfe entscheidend sind.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 2 S. 2; ZPO §§ 114, 117 Abs. 2, § 118 Abs. 2 S. 3, § 294 Abs. 2
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) hatte ein Gewerbe mit dem Gegenstand Fug- und Gipsarbeiten angemeldet. Für die Monate Januar bis Juli 1980 gab der Antragsteller Umsatzsteuervoranmeldungen ab und machte darin Vorsteuern in Höhe von insgesamt . . DM geltend; davon sind . . . DM durch Rechnungen der Firma Z-Bau begründet.
Nach einer Steuerfahndungsprüfung setzte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) durch Bescheid vom 19. Juli 1985 die Umsatzsteuer 1980 auf . . . DM (Vorsteuern . . . DM) gegen den Antragsteller fest. Die aus den Rechnungen der Z-Bau geltend gemachten Vorsteuern erkannte das FA nicht an, weil die Z-Bau keine Lieferungen oder Leistungen an den Antragsteller erbracht habe. Vielmehr habe der Antragsteller selbst die Rechnungen ausgestellt, um Vorsteuern geltend machen zu können. Über die hiergegen anhängige Klage hat das Finanzgericht (FG) noch nicht entschieden. Den Antrag des Antragstellers, die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides vom 19. Juli 1985 in Höhe von . . . DM (entsprechend den aus den Rechnungen der Z-Bau geltend gemachten Vorsteuern) auszusetzen, hat das FG durch Beschluß vom 2. Juni 1986 abgelehnt. Dabei stützte sich das FG im wesentlichen auf das Urteil des Amtgesrichts F vom . . ., durch das der Antragsteller sowie der Inhaber der Z-Bau, A, wegen Steuerhinterziehung zu Freiheitsstrafen verurteilt worden waren. Nach dem Inhalt des Strafurteils hat der Antragsteller (in der Hauptverhandlung) eingeräumt, daß es sich bei den den streitigen Vorsteuerbeträgen zugrunde liegenden Rechnungen der Z-Bau um Scheinrechnungen gehandelt habe, denen keine Leistungen der Z-Bau zugrunde gelegen hätten und die der Antragsteller selbst auf Formularen der Z-Bau erstellt habe. Im übrigen, so führte das Amtgericht weiter aus, sei das Unternehmen von den beiden Angeklagten gemeinsam betrieben worden.
Mit Schriftsatz vom 5. November 1987 beantragte der Antragsteller erneut Aussetzung der Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides 1980. Er berief sich dabei insbesondere auf eine Erklärung der für den Antragsteller tätig gewesenen Buchhalterin. Mit Schriftsatz vom 24. November 1987 beantragte der Antragsteller Prozeßkostenhilfe für das Aussetzungsverfahren. Durch Beschluß vom 11. Januar 1988 hat das FG diesen Antrag abgelehnt, weil der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Maßgebend hierfür sei das Geständnis des Antragstellers vor dem Amtsgericht; die Erklärung der früheren Buchhalterin sei demgegenüber von geringem Beweiswert; außerdem enthalte sie keine Angaben darüber, welche Leistungen für den Antragsteller erbracht worden seien.Mit der Beschwerde gegen den Beschluß vom 11. Januar 1988 bringt der Antragsteller vor, das FG habe seinen Vortrag unberücksichtigt gelassen, daß das Urteil des Amtsgerichts F nicht präjudizierend wirken könne. Der Antragsteller habe die Folgen dieses Urteils nicht erkannt. Er sei während der Verhandlung nicht in der Lage gewesen, dem Prozeßgeschehen zu folgen und insofern seine Rechtshandlungen und Erklärungen richtig einzuschätzen. Er sei obrigkeitshörig und habe sich im Zustand verminderter Wahrnehmungs- und Urteilsfähigkeit befunden; hierfür werde Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens angetreten. Die Barzahlungen erklärten sich daraus, daß der Inhaber der Z-Bau wegen der von ihm in bar zu entrichtenden Löhne an seine Arbeitnehmer auf Barzahlung der Rechnungen bestanden habe. Den Leistungen der Z-Bau habe im übrigen ein Werkrahmenvertrag zugrunde gelegen, aus dem sich ergebe, daß die Z-Bau Subunternehmer des Antragstellers gewesen sei; für die Annahme des Amtsgerichts F, es habe sich nicht um zwei selbständige, sondern um ein Unternehmen gehandelt, sei danach kein Raum. Das ergebe sich auch aus einem Verfahren vor dem Sozialgericht L, in dem sich der Antragsteller gegen die Inanspruchnahme für Sozialversicherungsbeiträge durch die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) wehre. Dem Antragsteller sei vom Sozialgericht L Prozeßkostenhilfe gewährt worden.
Der Antragsteller beantragt, ihm unter Aufhebung des Beschlusses des FG vom 11. Januar 1988 Prozeßkostenhilfe für das Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides 1980 zu gewähren.
Das FA widersetzt sich dem Antrag.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Nach § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozeßkostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dem Antrag sind nach § 142 Abs. 1 FGO i. V. m. § 117 Abs. 2 ZPO eine Erklärung des Beteiligten über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie entsprechende Belege beizufügen. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Antragsteller hat schon nicht die vorgeschriebene Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abgegeben und entsprechende Belege vorgelegt; dies hätte der Antragsteller im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nachholen können (§ 155 FGO i. V. m. §§ 127, 570 ZPO). Es bestand allerdings keine Veranlassung, den Antragsteller hierauf hinzuweisen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung - der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides 1980 bzw. die Abänderung des Beschlusses vom 2. Juni 1986 (§ 69 Abs. 3 Satz 5 FGO) - keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Das FG hat ernstliche Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO an der Rechtmäßigkeit des Umsatzsteuerbescheides 1980 zu Recht verneint. Das FG durfte sich dabei im Rahmen der ihm obliegenden Erforschung des Sachverhalts auf die tatsächlichen Feststellungen in dem Strafurteil des Amtsgerichts F stützen. Die Verwertung strafgerichtlicher Feststellungen wird vom Bundesfinanzhof (BFH) mit bestimmten Einschränkungen im Rahmen des Klageverfahrens für zulässig angesehen (Urteil vom 10. Januar 1978 VII R 106/74, BFHE 124, 305, BStBl II 1978, 311). Für die Prüfung der Erfolgsaussichten des summarischen Verfahrens der Vollziehungsaussetzung, das hinsichtlich des Prozeßstoffes auf die dem Gericht vorliegenden Unterlagen sowie auf sog. präsente Beweismittel (§ 294 Abs. 2 ZPO) beschränkt ist, gilt dies um so mehr. Eine weitergehende Ermittlungspflicht des FG kommt auch im Rahmen der Prüfung der Erfolgsaussichten im Prozeßkostenhilfeverfahren nicht in Betracht, denn andernfalls wäre der Prüfungsumfang in diesem Verfahren umfassender als in dem Verfahren, dessen Erfolgsaussichten für die Gewährung der Prozeßkostenhilfe entscheidend sind. Insbesondere kommt eine Beweiserhebung durch Vernehmung von Sachverständigen und Zeugen nicht in Frage (siehe auch § 118 Abs. 2 Satz 3 ZPO).
Nach dem danach zugrunde zu legenden Sachverhalt macht der Antragsteller zu Unrecht die streitigen Vorsteuern geltend, weil den vorgelegten Rechnungen keine Lieferungen der Z-Bau zugrunde liegen. Auch aus der Erklärung der früheren Buchhalterin und aus der Vorlage des Rahmenvertrages ergibt sich nicht, daß Lieferungen tatsächlich ausgeführt worden seien. Aus der vom Antragsteller dem erkennenden Senat vorgelegten Aussage des Zeugen A, des Inhabers der Z-Bau und Mitangeklagten des Antragstellers, läßt sich ebenso nichts anderes entnehmen. Unbeachtlich ist, daß das Sozialgericht L dem Kläger Prozeßkostenhilfe gewährt haben soll; denn auch wenn der Kläger nicht Mitinhaber der Z-Bau gewesen ist und deshalb nicht für die Sozialversicherungsbeiträge in Anspruch genommen werden kann, ergibt sich daraus nicht, daß die Z-Bau an den Kläger die in den Rechnungen aufgeführten Lieferungen erbracht habe.
Fundstellen